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Leipzig-Absage: Gemischte Gefühlslage bei den Verlagen

Zum dritten Mal muss die Leipziger Buchmesse ausfallen. Die Absage hatte sich nach zahlreichen Rückzügen von Ausstellern bereits angedeutet, obwohl die Messe bis zuletzt auf eine Durchführung gesetzt hatte.

Was der Börsenverein nach der Entscheidung mit einem Lob für den „kämpferischen“ Einsatz verband, teilten nicht alle Verlage gleichermaßen. Einigkeit dürfte darüber herrschen, dass die Leipziger Buchmesse ein relevanter Bestandteil des Jahreskalenders ist. Doch das Vorgehen sorgte im dritten Anlauf unter Corona-Bedingungen durchaus auch für Stirnrunzeln.

Leipziger Buchmesse 2022 ist abgesagt

Ein Rückblick

Im Frühjahr 2020 rauschte die erste Corona-Welle (auch) über Deutschland hinweg und brachte das öffentliche Leben weitgehend zum Erliegen. Dass die Leipziger Buchmesse mitten in den ersten Lockdown hinein kurzfristig abgesagt werden musste: logisch.

Im zweiten Jahr war frühzeitig klar, dass der März unter pandemischen Bedingungen kein idealer Zeitpunkt sein würde – was damals zur Entscheidung führte, die Messe in den Mai zu verschieben. Schon im vergangenen Jahr war eine deutliche Zurückhaltung bei den Verlagen zu spüren. Die Anmeldezahlen stagnierten, Zweifel wurden laut – trotz der Verschiebung in den Mai. Die unsichere Lage, der damals gerade erst beginnende Impf-Fortschritt und ein erneuter Lockdown machten eine Messe(teilnahme) unkalkulierbar. Ende Januar 2021 wurde also auch die zweite Buchmesse in Folge abgesagt. Die Frankfurter Buchmesse konnte sich dagegen im Oktober noch leidlich sicher fühlen. Vor allem Verlage aus dem deutschsprachigen Raum waren vertreten, viele aber mit abgespeckten Messeauftritten. 

Fehlende Online-Alternativen und Kommunikation

Zum Jahresbeginn 2022 beherrscht dagegen Omikron die Lage. Aufgrund der ungleich höheren Infektionszahlen sagten Verlage, darunter auch große Verlagsgruppen, nach und nach ihre Teilnahme an der Leipziger Buchmesse ab. 

In diesem Lichte verwundert es, dass die Leipziger sich vorab ausschließlich auf eine Präsenzmesse konzentriert hatten – und sie erneut für den März terminiert hatten. Das ist zwar der angestammte Messetermin, aber dieser ist in Pandemie-Zeiten mit der mittlerweile bekannten Winter-Infektionswelle schwierig zu kalkulieren. Digitale Alternativen gibt es keine: Die Messemacher teilten lediglich knapp mit, dass wegen der kurzfristigen Absage keine digitalen Angebote verfügbar seien. Die „Leipziger Zeitung“ bezeichnete das Vorgehen etwas gröblich sogar als „Komplettversagen der Organisation in diesem Jahr“.

Messechef Oliver Zille verteidigte den Verzicht auf digitale Alternativen am Donnerstag im „Deutschlandfunk“: Das Netz sei voll von Veranstaltungen, als Publikumsmesse sei Leipzig nicht im Internet zu organisieren. „Das ergibt keinen Sinn, auch wenn es vermeintlich naheliegt“, so Zille. „Eine digitale Leipziger Messe wird es auch in Zukunft nicht geben.“

Dass eine Messe mit digitale (Zusatz-)Angeboten allerdings auch aus ganz anderen Gründen sinnvoll wäre, nämlich mit Blick auf Inklusion und Teilhabemöglichkeiten, ist eine Kritik, die auch geäußert wird

In verschiedenen Interviews, u.a. mit dem „MDR“, formulierte Zille allerdings auch eine gewisse Enttäuschung. Noch Ende Januar und Anfang Februar hätte eine „übergroße Mehrheit der Verlage“ für eine Teilnahme votiert. Dann hätten die Verlage nach der politischen Zusage auf breiter Ebene ihr „Commitment zurückgezogen“. Die Absagen seien „querbeet“ durch alle Verlagsgrößen erfolgt, hier habe sich eine Zerrissenheit in der Bewertung der Pandemie gezeigt, die auch in der Gesellschaft selbst sichtbar sei. Zille ernüchtert: „Unsere Aufgabe ist es, einen Branchenüberblick zu geben. Wenn das am Ende von den Teilnehmern verunmöglicht wird, kann die Messe eben nicht stattfinden.“

Quelle: Leipziger Messe GmbH / Jens-Ulrich Koch

Bei einigen Verlagen dagegen ist zwischen den Zeilen und hinter den Kulissen ein gewisser Unmut zu spüren. Von „Durchhalteparolen“ ist da die Rede und von einem fehlenden Willen, sich die tatsächlichen Meinungsbilder bei den Verlagen einzuholen. Die Kommunikation mit den Ausstellern im Vorfeld sei unzureichend gewesen. Gerade mit Blick auf den Charakter der Messe als Endkundenmesse wäre eine Durchführung verantwortungslos gewesen.

Verantwortung trügen die Verlage für ihre eigenen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, denen es wohl kaum zuzumuten sei, ohne effektiven Schutz vor Infektionen Standarbeit zu betreiben.

Nach dem politischen „Go“ für die Messe mussten die Verlage entscheiden – mit unterschiedlichem Ergebnis. Diogenes beispielsweise hatte am Dienstag, also vor der Komplettabsage seitens der Messe, einen Mittelweg betont: „Die Leipziger Buchmesse ist für uns immer eine Herzensangelegenheit, sowohl für den Verlag als auch für unsere Autor:innen. Ein eigener Stand ist für uns jedoch angesichts der aktuellen Pandemie-Lage mit zu vielen Unsicherheiten verbunden.“ Stattdessen wolle man sich an einem Gemeinschaftsstand beteiligen – und so immerhin präsent sein. Auch andere mittlere und kleinere Verlage wollten auf buchreport-Nachfrage am Wochenanfang an ihrer Messeteilnahme (mit Stand) festhalten.

Für Präsenz hatte auch der Hamburger Verlag Argument und Ariadne geworben. Verlegerin Else Laudan: „Die Leipziger Buchmesse mit ihrem echten Lesepublikum und ihren unzähligen Veranstaltungen und einer ganzen Region im generationsübergreifenden Literaturfieber ist kulturell unglaublich wichtig. Sie ermöglicht weit mehr als Marketingpräsentationen. Hier blüht gesellschaftliche Kultur rund um Literatur und Sachbuch, hier ist der Ort des Zusammenkommens und der Neugier auf gute Publikationen, dabei spielen die engagierten Trüffelschweine und wagemutigen Unabhängigen eine gewichtige Rolle, ihre Präsenz ist in Leipzig prägend und leuchtend.“

Gunnar Cynybulk: „Besorgniserregend“

Die unterschiedlichen Bewertungen über das Pro oder Contra einer Teilnahme sorgen innerhalb der Branche für ein Knirschen. Hier und da klingen Vorwürfe durch – wie sie bespielsweise Gunnar Cynybulk äußert. Der frühere Ullstein-Verleger und Gründer des Kanon-Verlags formulierte via Facebook Kritik an Verlagen, die die Buchmesse „sang- und klanglos“ hätten fallen lassen, zugleich aber ihre Handelsvertreter auf Reisen schickten und die eigenen Autoren gerne zu „Leipzig liest“ geschickt hätten. Cynybulk nennt dies „doppelten Standard“ und schreibt: „Die fortschreitende Selbst-Amazonierung und Horizontenge mancher Häuser ist besorgniserregend. Der vitale Kern der Buchkultur besteht darin, dass Autor:innen und ihre Bücher mit wirklichen Leserinnen und Lesern, Buchändler:innen, Journalisten und Buchaficionados zusammengebracht werden.“

Im Börsenverein sahen sich Vorsteherin Karin Schmidt-Friderichs und Hauptgeschäftsführer Peter Kraus vom Cleff am Mittwochmittag gar bemüßigt, in einem Offenen Brief vor Schuldzuweisungen zu warnen.

Thilo Schmid: „Das Geld können wir besser investieren“

Eher kritisch hatte die Verlagsgruppe Oetinger die Entwicklung verfolgt. Man sei mit der Frankfurter Buchmesse in gutem Kontakt gewesen. „Das haben wir im Vorfeld der Leipziger Messe vermisst“, so Vertriebsgeschäftsführer Thilo Schmid. „Gewünscht hätten wir uns, dass die Messe nach zwei Jahren der Pandemie ihr Geschäftsmodell den Veränderungen in der Gesellschaft und der Branche angepasst hätte.“

Und weiter: „Für Kunden und Teilnehmer einer Messe wäre es wünschenswert, dass neben sicheren persönlichen Begegnungen auch hybride verlängerte Veranstaltungen möglich sind und das handelsfördernde, digitale Möglichkeiten angeboten und einsetzt werden. Eine Messe sollte ein Verstärker sein, eine Plattform, die die Branchenkräfte bündelt und die auf allen Kanälen sichtbar ist und bewusst macht, dass unsere Branche der Resonanzboden für persönliche und gesellschaftliche Entwicklung sein kann. (…) Ein reines Weiter so wie in den vergangenen Jahrzehnten kommt für uns nicht in Frage…und ist für unser Zielpublikum nicht länger interessant und relevant. Dafür gibt es effektivere, effizientere Möglichkeiten. Ein reines, sentimentales Messe-Fahne-hochhalten, das uns hohe 5- bis 6-stellige Beträge kostet, wollen und werden wir uns nicht mehr leisten. Das Geld können wir besser investieren. Wir brauchen moderne, agile, transformierte Messen. Offene, pulsierende Begegnungsorte. Sollte die Leipziger Buchmesse diese anbieten, werden wir selbstverständlich wieder vor Ort sein und auf Begegnungen und einen regen Austausch freuen!“

Börsenverein richtet Offenen Brief an Messemacher Oliver Zille

Reclam: Dauerpräsenz auf einer Großveranstaltung ausgeschlossen

Bei Reclam widersprach der Wunsch nach einer Präsenzveranstaltung der gegenwärtigen Realität in der Verlagsarbeit: „Seit Anfang des Jahres besteht in unserem Unternehmen aufgrund der Pandemie-Situation eine Reisebeschränkung, die eine Dauerpräsenz auf einer Großveranstaltung ausschließt. Nach erneuter gründlicher Prüfung der Corona- und Mitarbeiter:innen-Situation wurde nun der Beschluss gefasst, diese Beschränkung bis zum Zeitpunkt der Messe nicht zu lockern – somit konnten wir an einer Teilnehme leider nicht festhalten“, so Kommunikationschefin Lena Wehbring-Wolf.

So hatte auch HarperCollins gegenüber buchreport die eigene Absage begründet: „Wir haben die Teilnahme der Verlagsgruppe HarperCollins bedauerlicherweise im Januar 2022 abgesagt, da wir die weitere Entwicklung des Infektionsgeschehens, die damit verbundenen gesundheitlichen Risiken für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sowie sich möglicherweise verändernde Einschränkungen und Rahmenbedingungen für nicht kalkulierbar hielten und halten.“

Jo Lendle: „Frühjahr ohne Leipzig wie endloser Winter“

Bei „Deutschlandfunk Kultur“ sprach sich Hanser-Verleger Jo Lendle dagegen klar für Leipzig aus. Lendle hatte schon im vergangenen Jahr zu jenen Verlegern gezählt, die aktiv für die Frankfurter Buchmesse geworben hatten – und er hält auch Leipzig für unverändert wichtig. Die Absage der Messe sei bitter und schade: „Ein Frühjahr ohne Leipzig fühlt sich an wie ein unendlicher Winter.“ Hanser selbst sei bis zuletzt unentschlossen gewesen, man sei in enger Abstimmung mit der Messe gewesen. „Jetzt sind uns die Umstände zuvorgekommen.“ Für Lendle liegt die Gefahr in einer Haltung, nach der die Messe als Platz vielleicht nicht mehr notwendig sei. Er meint: „Wir brauchen diese Momente der Begegnung.“

Die Sorgen vieler Verlage und auch der Messe, dass es eine Veranstaltung mit „angezogener Handbremse“ sein würde, liege auf der Hand. Für Lendle steht die Branche vor „großen Fragen“: Die Bedeutung von Messen sei eine andere als früher, Aufmerksamkeit für Bücher und Autoren könne heute auch auf anderen Wegen hergestellt werden. Zugleich sei der wirtschaftliche Aufwand durchaus enorm. Aber: „Das ist auch eine große Gefahr. Leipzig ist gerade für kleinere Verlage unentbehrlich für die Sichtbarkeit.“ Man sei zusammen laut und wichtig, niemand sei groß genug, um ganz alleine „zu trommeln“. Er sei überzeugt, dass die Leipziger Buchmesse im Frühjahr 2023 wieder aufleben werde.

Mara Delius: „Leipziger Buchmesse schafft sich ab“

In der „Welt“ wurde Mara Delius, Herausgeberin der „Literarischen Welt“, am Donnerstag deutlicher. „Schafft sich eine Branche gerade selbst ab?“, schrieb sie. „Dass sich Leipzig für die großen Verlagsgruppen in diesem Jahr nicht zu lohnen scheint, ist dennoch fatal: Ihre Absage zwingt die Buchmesse dazu, sich selbst abzusagen; am schwersten trifft es ungerechter Weise die kleinen Verlage, die ihrerseits in der Mehrzahl an der Messe teilnehmen wollten.“ Die Messe werde sich vielleicht bald in einer absurden Situation wiederfinden, wenn kurz nach dem geplanten Start der Messe die Corona-Maßnahmen auslaufen …

Die nächste Ausgabe der Leipziger Buchmesse ist für 23. bis 26. März 2023 geplant.

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