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Reader Analytics im wissenschaftlichen Publizieren

Über Bücher lässt sich schlecht streiten. Verlage haben außer den Verkaufszahlen nur dünne Metriken, mit denen sie die Qualität ihrer Produkte messen können. Reader Analytics wollen diesen Mangel beseitigen und dem Leser quasi über die Schulter und in den Kopf schauen. Kann damit das „Bauchgefühl“ bald in Pension geschickt werden?

Angebote wie Jellybooks versprechen den Belletristikverlagen valide Aussagen darüber, wie der berühmte „Wurm“ Buch dem nicht minder berühmten „Fisch“ Leser schmeckt, nachdem der „Angler“ Verlag ihn ins Wasser des Marktes gehängt hat. In der Wissenschaft macht sich KU Open Analytics des Open-Access-Verlages Knowledge Unlatched auf denselben Weg – und beansprucht zusätzlich, eine Metrik anzubieten, die die klassische Bewertung durch Peer Reviews ergänzt, qualifiziert und vielleicht langfristig ersetzt, da sie objektiver sei. Max Mosterd hat KU Open Analytics mitentwickelt und beschreibt im br-Channel Produktion und Prozesse, was sich ändert, wenn Wissenschaftler nicht nur sagen, was ihnen gefällt, sondern mit den Augen abstimmen.

Max Mosterd. Foto: Knowledge Unlatched.

Max Mosterd. Foto: Knowledge Unlatched.

Daten als Rohöl des Informationszeitalters? Zumindest der größte Teil der Produkte von Wissenschaftsverlagen befindet sich noch nicht im Ölzeitalter. Zwar erheben Verlage und Bibliotheken Daten im Publikationsprozess und bei der Rezeption der Inhalte. Aber Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler erfahren herzlich wenig über die Nutzung der von ihnen geschriebenen Inhalte. Ausnahmen wie Academia.edu und die Unternehmen der Digital Science-Gruppe bestätigen diese Regel.

Gerade neuere Geschäftsmodelle wie Open Access, geboren im Digitalen, sind ideal geeignet, die alte Analytics-Welt von Buchverkäufen und Zitierungen eines Inhalts durch andere Wissenschaftler hinter sich zu lassen und praktisch in Echtzeit die Nutzung von und die Arbeit mit Büchern zu messen. Solche hochvaliden Messungen erlauben bessere Rückschlüsse für den Produktions- und Erwerbungsprozess und für die Arbeit des wissenschaftlichen Publizierens.

Traditonelles wissenschaftliches Publizieren: Der »Bauch« entscheidet mit

Viele Mechanismen haben Wissenschaftsverlagen in der vergangenen Dekade geholfen, negative wirtschaftliche Folgen von Entscheidungsunsicherheiten zu minimieren. Die rasche Migration der Publikationen von Print zu Online und auch Print on Demand sind dabei echte Effizienztreiber gewesen und haben die Ergebnisse von Verlagen beflügelt.

Aber: Ein besseres Verständnis dessen, was denn gekauft, gelesen und in der eigenen Forschung genutzt wird, haben nur wenige Unternehmen in der Branche erworben. Sie lassen nach wie vor ihre Lektoren mit ihrer Erfahrung und ihrem Bauchgefühl entscheiden, was wie publiziert wird. Und auch wissenschaftliche Bibliotheken als die wesentlichen Käufer wissenschaftlicher Inhalte kaufen noch immer weitgehend auf Basis von Markenwahrnehmung, historischer Erfahrung und individuellen Einschätzungen von Erwerbungsbibliothekaren. Dabei gibt es längst die Möglichkeit, Fakten für Programmentscheidungen sprechen zu lassen und damit vermutlich effizienter als bisher zu arbeiten.

Open Access: Inhalte in der freien Wildbahn

Open Access-(OA-)Inhalte kann jedermann weltweit frei von Bezahlschranken nutzen. Sie sind ideal qualifiziert, um die Nutzung von Inhalten zu verstehen. Denn hier kann jeder ungehindert zugreifen und unabhängig von der finanziellen Potenz der eigenen Einrichtung Texte nutzen, die der eigenen Forschung Mehrwert bringen. Gleichzeitig erwarten ihrerseits Autorinnen und Autoren, die für die Publikation ihres Buches oder ihrer Artikel finanzielle Mittel besorgt haben, dass ihnen der Nutzen dieser Anstrengung unter Beweis gestellt wird. Erfahrungsgemäß interessiert Autoren wenig mehr als die Rezeption ihrer Inhalte durch Kolleginnen und Kollegen. Wer einmal mit den komfortablen Systemen von Anbietern wie Academia oder ResearchGate gearbeitet hat, möchte diese einfach verständlichen Daten nicht mehr missen. Allein: Die Entscheidung, welche Titel Open Access publiziert werden, ist ebenso wie beim klassischen Publizieren, weitgehend eine Bauchentscheidung – und eine, die dem Autorenwunsch folgt.

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Zudem schafft OA verglichen mit wissenschaftlichen Bezahlinhalten eine zusätzliche Herausforderung: Nutzung findet per definitionem nicht nur innerhalb der gut gewarteten IP-Ranges von Bibliotheken statt, sondern eben auch außerhalb. Denn warum sollte sich ein Nutzer bei seiner Bibliothek einloggen, um ohnehin kostenfreie Inhalte lesen zu können? Was logisch klingt und einfach ist, schafft für Bibliotheken und Verlage gleichwohl erhebliche Probleme.

Gerade für Bibliotheken ist Open Access eine neue Art von Herausforderung: Nutzung außerhalb der eigenen IP-Range wird praktisch nicht berücksichtigt, und lediglich das Lesen und Downloaden in der eigenen Einrichtung wird für Erwerbungsentscheidungen berücksichtigt – ein doppelter Filter. Mit immer mehr verfügbaren OA-Büchern muss deren Nutzung jedoch vor allem dann systematisch in die Unterstützung dieses Modells durch Bibliotheken einfließen.

Verlage hingegen stehen vor allem unter Druck, die (bessere) Nutzung von Open Access-Inhalten im Vergleich zum Bezahl-Content nachweisen zu können. Um im Interesse der Autoren eine Maximierung der Nutzung zu erreichen, müssen die Inhalte auf möglichst vielen verfügbaren Plattformen gleichzeitig bereitgestellt werden. Dies verursacht in der Aufbereitung der Nutzungsdaten in einem übersichtlichen Report allerdings für alle Inhalteanbieter bisher ein fast unlösbares Problem. Ergebnis: Für die meisten OA-Autoren bleibt der Nutzungsnachweis ein Buch mit sieben Siegeln, allein weil Verlage die Aufbereitung und Zusammenführung der Daten nicht bewerkstelligen können.

KU Open Analytics: Nutzung transparent machen und nutzungsgetriebene Entscheidungen ermöglichen

Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, immer stärker dem Zwang der Quantifizierbarkeit ihrer Arbeit ausgesetzt, können ihren Forschungsfinanzierern nachweisen, wie die Ergebnisse ihrer Arbeit rezipiert wurden – im Zeitverlauf und nach Regionen. Dagegen sehen klassische Projektberichte mit Publikationslisten schon heute blass aus. KU Open Analytics schafft über ein einfaches Reporting Interface die Möglichkeit, den Radius der Nutzung um eine Stadt gezielt einzuschränken, sollte regionale Nutzung von Bedeutung sein.

Weiterführende Analysen: Verlegen nach Zahlen

In der Wissenschaft werden Metriken des Verlegens, wie etwa der Impact Factor, mit viel Skepsis betrachtet, und natürlich ist wissenschaftliche Brillianz nicht in Download-Zahlen oder an der Häufigkeit von Zitationen von Artikeln oder Büchern zu messen. Allerdings: Berufungen auf Lehrstühle und die Vergabe von Forschungsgeldern sind zunehmend von diesen „harten“ Daten abhängig. Und es ist für Wissenschaftlerinnen und Wissenschafter ein Kampf gegen Windmühlen, das Bedürfnis nach Quantifizierung zu ignorieren. Analysen zeigen, dass Vergleiche auf der Basis von KU Open Analytics durchaus Sinn machen können. Es ist ja unwahrscheinlich, dass in kurzer Zeit sämtliche Inhalte OA sein werden, unter anderem auch aus wirtschaftlichen Gründen. Und die Entwicklung des eigenen Titels im Feld der OA-Wettbewerber verfolgen zu können und künftige Publikationen zum Beispiel hinsichtlich Sprache oder Umfang optimieren zu können, ist eine der angebotenen Möglichkeiten.

Bild: Unsplash

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Von noch zentralerer Bedeutung sind valide Zahlen über Open Access für Bibliotheken, deren Ausgaben sich auch an wirtschaftlichen Parametern orientieren müssen. Nur wenn ein klarer Nutzen des Modells abgeleitet werden kann, werden wissenschaftliche Einrichtungen die finanzielle Ausstattung des Modells weiter stärken.

Das Angebot, das gemeinsam mit vier Verlagspartnern und unter Einbeziehung von Universitäten entwickelt wurde, steht ab Oktober 2018 als Abo-Modell mit verschiedenenen flexiblen Angebotsformen zur Verfügung. Die Nutzer können die Analysen zu jedem Zeitpunkt entweder individuell durchführen, oder mit Unterstützung von Knowledge Unlatched Antworten auf ihre konkreten Fragen erhalten.

Ausblick

Vom Ziel, sämtliche Nutzungsdaten über verschiedene Zugangsmodelle hinweg transparent zentral zur Verfügung stellen zu können und so im Rahmen eines Usage Data Repository großflächige quantitative Analysen von Disziplinen, Verlagsprogrammen, Verlagen und Einrichtungen zu ermöglichen, ist das wissenschaftliche Publizieren trotz aller Anstrengungen noch ein Gutteil entfernt. Mit KU Open Analytics ist jedoch für einen bisher stiefkindlich behandelten Ausschnitt, Open Access Bücher, ein wichtiger Anfang gemacht, um OA künftig noch effizienter einsetzen zu können. Dabei steht es den Nutzern aufgrund eines flexiblen Datenmodells frei, individuelle Fragen auf einer breiten empirischen Basis von Nutzungsdaten zu beantworten.

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