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Dolch als Olivenzweig getarnt

Nach Jahren des massiven Verdrängungswettbewerbs bindet der E-Book-Marktführer den Buchhandel ins digitale Geschäft ein. Die Sortimenter reagieren euphorisch auf das Friedensangebot aus Seattle. Künftig werde man gemeinsam mit Amazon dem Medium Buch eine glorreiche Zukunft bescheren. – Dem Wunschtraum aus Seattle steht in der Realität ein massiver Widerstand im Buchhandel entgegen. buchreport.de dokumentiert Meinungen aus Deutschland und den USA.

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Sowohl in den USA, wo das Programm in dieser Woche offiziell gestartet wurde, als auch diesseits des Atlantiks sorgt „Amazon Source“ für viel Kritik von Seiten des Buchhandels. Kernargument: Wieso mit dem Wettbewerber paktieren, wenn der gemeinsame Kunde spätestens in zwei Jahren nur noch bei Amazon einkauft? (die Buchhändler, die den Kindle vertreiben, bekommen nur zwei Jahre lang 10% Provision für jedes verkaufte E-Book).

Die Geschäftsführerin des Sortimenter-Ausschusses, Kyra Dreher, ist skeptisch, ob sich der Buchhandel auf das Angebot einlassen wird. Auf Nachfrage von buchreport.de erklärt sie: „Interessant ist der Versuch Amazons allemal, für den Vertrieb seiner Reader das Netz an stationären Buchhandlungen anzuzapfen. Dabei ist es die strategische und unternehmerische Entscheidung jedes einzelnen Buchhändlers, sich als Vertriebskanal für Amazon und damit als dessen Partner anzubieten oder eben auch nicht. Es würde mich allerdings wundern, wenn sich eine nennenswerte Anzahl deutscher Buchhändler bereit fände, mit Amazon zu paktieren. Die Stärke der deutschen Buchhändler liegt ja gerade darin, offene Systeme anzubieten und ihren Kunden erklärtermaßen die Wahl zu lassen, bei welchem Händler sie letztlich ihre digitalen Bücher beziehen wollen. Genau diese Stärke spielen bereits viele auch kleinere Buchhandlungen nicht zuletzt aufgrund der guten Alternativen unter den Lesegeräten erfolgreich aus, mit wachsender Tendenz. Auf Amazon gewartet wird hierzulande im stationären Sortiment jedenfalls nicht, so viel steht fest.“

Die eBuch-Genossenschaft hat in den eigenen Reihen zahlreiche Stimmen zum Programm gesammelt – bis dato gibt es nur ein positives Feedback. Auszüge: 
„Steuerhinterzieher im großen Maßstab“
„1. Solange Amazon weiterhin die Monopolherschaft im Buchsektor anstrebt, ist das überhaupt kein Partner für Buchhandlungen.
2. Solange Amazon seinen Firmensitz in Luxemburg hat und für 7% -Produkte und 19% -Produkte nur 3 % Mwst in Luxemburg zahlt, sehe ich diese Firma als Steuerhinterzieher im großen Maßstab an. Auf jedem Produkt, das Amazon verkauft, streicht er sich 4% bzw 16% Zusatzgewinn ein, die die Amazon-Kunden hier als Mwst-Steuer bezahlt haben, die aber nie beim Finanzamt ankommen. Diese Heuschrecken-Mentalität kann ich als Buchhändler in keiner Weise unterstützen. Das Problem ist z.Zt. nur, dass die meisten Menschen diese Zusammenhänge nicht wissen.“
„Kunden-Phishing mit seriösem Anstrich“
„Ich erkläre allen Kunden, dass sie sich mit dem Kindle fest an Amazon binden und ihre eBooks dann nicht in unserer Buchhandlung einkaufen können. Da will ich jetzt nicht das Gegenteil behaupten, zumal Amazon diese Zusammenarbeit ja auch jederzeit wieder kappen kann. Ich behaupte, dass Amazon sich durch diesen – seriöser wirkenden – Anstrich Kunden-Phishing betreiben will, die dann – einmal da – auch dort bleiben.“
„Das widerspricht unseren liberalen Gedanken“
„Amazon ist der ,Totengräber‘ des stationären Einzelhandels und somit der der Innenstädte! Vorher lasse ich mir beide Hände amputieren, bevor ich mit diesem Anbieter zusammenarbeite. Ich wäre der Steigbügelhalter für eine weitere Marktdurchdringung und lediglich Marketinghelfer und Umsatzbeschaffer für meinen Konkurrenten! Amazon hat ein geschlossenes System geschaffen, das dem buchhändlerischen liberalen Gedanken, und der Marktoffenheit diametral widerspricht. So etwas unterstütze ich auf gar keinen Fall! Ich würde meine Selbstachtung verlieren, meine Kunden auf die Seiten von Amazon zu leiten. wenn ich von meiner Leistungsfähigkeit nicht überzeugt wäre. Dann kann ich mich gleich ein einem buchhandelsfremden Unternehmen anstellen lassen!“
„Amazon will uns ersticken und ausbluten“
„Amazon bietet keine partnerschaftliche Zusammenarbeit. Sondern will anscheinend nur das breite Netz des Buchhandels nutzen, nicht zuletzt auch die positive Einstellung der Buchkäufer zugunsten des unabhängigen Buchhandels nutzen und ausnutzen, um die Buchhandlungen dann in einer klammernde Umarmung zu ersticken und auszubluten.“
„Amazon wird gestärkt“
„Es kann doch nicht angehen, dass wir Buchhändler die Umsätze bei Amazon ankurbeln, die Kosten für die stationäre Kundenansprache tragen, die Mühe mit der Beratung haben und Amazon sich am Ende bereichert und im Verdrängungswettbewerb noch gestärkt wird.“

„Lieber mit mir, als ohne mich“
„Ich hätte kein Problem damit. Lieber mit mir, als ohne mich. Und der Verdienst ist ja bei keinem Anbieter üppig…“

Viele kritische Stimmen aus den USA

Die American Booksellers Association (ABA) rümpft die Nase. „Angesichts der aggressiven Geschäftsgebahren und der Steuervermeidungstaktik von Amazon betrachten wir das neue Programm nicht als glaubwürdig“, heißt es in einem Statement des US-Buchhändlerverbands. Hinzu komme, dass Amazon Source nicht flächendeckend angeboten werde: Laut ABA ist Amazon Source nur in 26 US-Bundesstaaten verfügbar. Ein Buchhändler aus Los Angeles hat Amazon bereits im Mai öffentlich eine Abfuhr erteilt. 

In den USA hat der Indie-Verlag Melville House Stimmen zu „Amazon Source“ eingesammelt:

„Das ist ein Dolch, der als Olivenzweig getarnt wird – die jüngste Bemühung von Amazon, bei Indie-Kunden Land zu gewinnen“ (Lissa Muscatine, Politics and Prose, Washington DC).
„Left Bank Books hat ein neues Programm präsentiert, nach dem Amazon.com Bücher mit einem Aufschlag von 50% zum Listenpreis bei uns einkauft. Sie bezahlen auch das Porto. Wir gehen davon aus, dass Amazon auf diesem Weg ein Teil der Erlebniswelt des stationären Handels wird, auf die Amazon nicht verzichten kann“ (Kris Kleindienst, Left Bank Books, St Louis)
„Sie können sich selbst verarschen“ (Sarah McNally, McNally Jackson Books, New York).
Das Portal goodereader.com zitiert außerdem den Chef des US-Buchhändlerverbands ABA, Oren Teicher, mit den Worten: „Angesichts von Amazons aggressiver Firmenpolitik und der jahrelangen Strategie, Steuern zu vermeiden gehen wir nicht davon aus, dass dieses Programm glaubwürdig ist.“

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