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Wie Sie virtuelle Teams zusammenschweißen

Teambuilding beim Tauziehen

Teambuilding beim Tauziehen: Und wie funktioniert das digital? (Foto: 123RF.com/rawpixel)

Die Corona-Pandemie hat die Arbeitswelt in einen kollektiven Kulturschock versetzt. Gewohnte Routinen sind verschwunden. An ihre Stelle ist die Notwendigkeit getreten, sich anzupassen und zu verändern. Das gilt auch für das Teambuilding. Doch wie holt man es in die digitale Welt?

Jitske Kramer ist Kulturanthropologin, Unternehmerin und Autorin. Sie erforscht Wege zum Aufbau von „Corporate Tribes“, also von Teams, die nicht nur durch Vernunft, sondern auch aufgrund von Emotionen zusammenhalten. Nach dem Einbruch von Corona ins Berufsleben müssen digitale Routinen und Rituale in dieser Hinsicht die Rolle klassischer „on-site“-Instrumente übernehmen. Im Channel Produktion & Prozesse von buchreport.de erklärt Jitske Kramer in einer zweiteiligen Serie Theorie und Praxis dieser Verfahren. Im 1. Teil beschreibt sie die Theorie.

 

Unser Leben ist chaotisch. Den ganzen Tag über bieten sich uns unendlich viele Möglichkeiten, unserem Leben Form zu geben. Jeden Tag müssen wir eine Unmenge an Entscheidungen treffen. Über die großen Fragen des Lebens, aber auch über kleinere Fragen wie: „Was ziehe ich heute an, wenn ich zur Arbeit gehe?”

Der Corona-Kulturschock hat dazu geführt, dass wir auch auf die einfachen Fragen des Lebens, über die wir normalerweise nicht mehr nachdenken mussten, erneut Antworten finden müssen. Nie im Leben konnte man früher in einer Schlafanzughose in ein Management-Meeting gehen. Jetzt schon. Im Bett sitzend, vor einem zusammengebastelten Teams-Hintergrund einer beeindruckenden Skyline bespricht man mit dem CEO den Monatsabschluss. Wer hätte das vor einem Jahr gedacht?

»Wenn wir informelle Interaktionen in einen Prozess verwandeln, dann können wir jetzt auch online die Beziehungen im Tribe – der Organisation, der Abteilung, dem Team, der Gesellschaft – besser aufrechterhalten und entwickeln.«

Eine gute Definition von Kultur besagt, sie besteht aus den einzigartigen Antworten auf universelle Fragen. Schon auf die einfache Frage „Was ziehe ich heute zur Arbeit an?“ gibt es etliche neue Antworten. Was auch zu Entbehrungen führen kann. Ich sprach mit einer Frau, die sehnsüchtig auf den Tag wartet, an dem sie endlich „wieder zurechtgemacht und in Stöckelschuhen zwischen Drucker, Kaffeeküche und Empfang paradieren kann“.

Kultur gibt uns Spielregeln, sodass wir wissen, wie wir uns in unterschiedlichsten Situationen verhalten müssen, zum Beispiel, dass man jemandem die Hand gibt, wenn man sich trifft. Oh, Moment …

Da sind etliche wesentliche Fragen, die wir erneut beantworten müssen, beispielsweise:

  • Wie sorgen wir dafür, dass sich neue Mitarbeitende schnell wohlfühlen und mit der Arbeit loslegen können?
  • Wie schaffen wir es, den Stolz auf unser Unternehmen zu bewahren?
  • Was ist jetzt der beste Weg, um sensible Informationen zu teilen?
  • Wie stellen wir sicher, dass niemand erkrankt, während er mit anderen zusammenarbeitet?
  • Wie sorgen wir für gute Bildung und was ist das genau?
  • Wer und welche Art von Behandlung erhält im Krankenhaus Vorrang?

Kultur gibt uns Antworten auf derartige Fragen, sodass wir nicht ständig darüber nachdenken müssen. Kultur schafft Ordnung im Chaos und reduziert die Anzahl der Entscheidungsmomente pro Tag drastisch.

Doch nun stellen sich viele Fragen erneut. Das ist einerseits ermüdend, schafft aber auch viel Freiraum für neue Ideen und Gedanken. Mit Blick auf die Art unserer Zusammenarbeit bietet sich uns nun viel kreativer Raum, um neue Wege der Kontaktaufnahme zu schaffen.

Deshalb ist es an der Zeit, an neue Routinen zu denken, sodass unser Kopf und unser Herz sich wieder mit anderen Dingen und wichtigen moralischen Dilemmas beschäftigen können.

Ohne Struktur verlaufen wir uns. Ohne eine Struktur, die im Meeting Platz für Emotionen lässt, werden wir schwierige Gespräche häufig nicht von selbst angehen. Erst wenn etwas „Intervision“ oder „Coaching“ genannt wird, spüren wir den Raum, unser Herz erleichtern zu können. Wir brauchen Auslöser und Rahmen, die unser Verhalten steuern. Rituale und Sprache geben uns Halt, Rhythmus und die Erlaubnis, einander als Menschen zu sehen und zu begegnen. Wenn wir informelle Interaktionen in einen Prozess verwandeln, dann können wir jetzt auch online die Beziehungen im Tribe – der Organisation, der Abteilung, dem Team, der Gesellschaft – besser aufrechterhalten und entwickeln.

Ich begann als Praktikantin sofort mit zwei Wochen Remote-Arbeit. Natürlich weiß ich, dass es in meiner Verantwortung liegt, in meinem Lernprozess die Initiative zu übernehmen – aber unbekannte Kolleginnen und Kollegen außerhalb meines Teams einfach so per Videocall über MS Teams anzurufen, ist schon eigenartig. Deshalb hat es mir wirklich gut gefallen und meine Hemmschwelle enorm gesenkt, als die anderen nacheinander spontan begannen, in meinem Kalender ein Viertelstündchen mit dem Titel „Mal kennenlernen?“ einzuplanen. Das war deutlich angenehmer, als am täglichen „Online-Kaffeeklatsch“ teilzunehmen, bei dem man den banalen Gesprächen voller „Insider-Witze“ nicht folgen kann und als Einsteigerin vor allem sich selbst auf dem kleinen Bildchen in der Ecke anstarrt und denkt: Ist mein Lächeln sympathisch und doch professionell genug? (Erfahrung aus dem Feld)

 

Halt und Rhythmus

Rituale und Routinen geben Halt und einen Rhythmus vor. Bei Eintritt in ein neues Unternehmen erhält man seinen Arbeitsplan. Man lernt, wann Feierabend ist, wann man sich wegen vieler Kundenanfragen sputen muss, wann und wie lang die Mittagspause ist und wann man in Ruhe seinen Schreibtisch aufräumen kann. Der Körper stellt sich auf diesen Rhythmus ein und so findet man es logisch, dass alle zur gleichen Zeit Lust auf einen Kaffee haben. Durch den gemeinsamen Rhythmus fühlen wir uns miteinander und mit unserer Umgebung vertraut.

Dabei schafft sich jede kulturelle Gruppe, abhängig von den Menschen und den Zielen der Organisation, einen anderen Rhythmus. Die Vertriebsabteilung hat einen anderen Rhythmus als die Buchhaltung. In einem Landwirtschaftsbetrieb herrscht ein anderer Rhythmus als in einer Notfallambulanz.

Durch den Corona-Kulturschock sind all diese vertrauten Rhythmen durcheinandergeraten. Die Auswirkungen davon unterscheiden sich von Mensch zu Mensch. Von mir selbst weiß ich, dass ich phasenweise ziemlich unruhig und schlapp sein kann, weil ich mein geliebtes hohes Lebens- und Arbeitstempo gerade nicht so einrichten kann wie früher. Stück für Stück finde ich neue Routinen und das verhilft mir wieder zu mehr Energie.

 

Der Channel Produktion & Prozesse

Weitere Lösungen, Impulse und Erfahrungsberichte für die Verlagsproduktion lesen Sie im Channel Produktion & Prozesse von buchreport und Channel-Partner Publisher Consultants.
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Stress: ein Rhythmusproblem

Stressgefühle sind weniger auf zu wenig Zeit oder einen zu schnellen Rhythmus als vielmehr auf Anpassungsprobleme mit dem üblichen Rhythmus zurückzuführen. Hast- oder Stressprobleme entstehen in der Folge eines Problems mit der Rhythmik: Die Abstimmung zwischen schnellen und langsamen Aktivitäten ist nicht sauber geregelt, die Übergänge sind nicht stimmig. Ein Stau ist vor allem dann stressig, wenn man sein Kind aus der Kita abholen muss. Starke und gesunde Teams und Organisationen stimmen unterschiedlich schnelle Aktivitäten gut aufeinander ab.

Rhythmus begegnet uns in unserer Tagesplanung, in unserer Art zu sprechen und in der Musik, die wir machen. Rhythmen berühren ein Gehirnareal voller tiefer Emotionen, Erinnerungen und Bewegung. Rhythmen dringen bis tief in unsere Seele vor. Rhythmus, Musik, schafft Verbundenheit, ein gemeinsames Erlebnis und ein gemeinsames Gefühl und die Erkenntnis, dass alles mit allem zusammenhängt. Es verbindet uns mit dem, wofür wir keine Worte haben. In „Jam Cultures” habe ich das ausführlich beschrieben.

Rhythmus sorgt dafür, dass wir uns an Geschichten, Daten und Personen besser erinnern. Alles in allem genug Gründe, Rhythmus in diese chaotischen Zeiten zurückzubringen.

Wie? Indem man Aktivitäten und Kontaktmomente plant, am besten in einer erkennbaren, wiederkehrenden Form, die Energie gibt und Verbindung schafft und zur eigenen Organisationskultur passt. Das nennt man auch Rituale.

 

Zoom-Müdigkeit

Ich höre viele Menschen seufzen, online sei so schrecklich ermüdend. Das kenne ich auch von meinen Online-Vorträgen, die ich aus Studios vor Ort oder aus meinem Heimstudio halte. Eine gute Geschichte vor der Kamera zu erzählen ist etwas völlig anderes, als diese Geschichte gemeinsam mit einem Publikum entstehen zu lassen. Es erfordert eine andere Art der Interaktion, ein anderes Vorbereiten und Weitergeben. Anfangs fragt man sich völlig nervös, wie man denn rüberkommt und ob die Technik wohl funktioniert. Heute, ein paar Monate und viele Erfahrungen später, kann ich sagen, dass es mich inzwischen nicht mehr so sehr anstrengt. Aber es ist wahr, in Online-Meetings fehlen viele nonverbale Signale. Wenn man dennoch versucht, sie zu sehen, wird man ziemlich müde.

Ich denke, dass unsere Ermüdung zu einem Großteil daher rührt, dass wir diese Art der Kommunikation in rasanter Geschwindigkeit lernen. Und Lernen kostet nun einmal Energie. Zudem betrachten wir Online-Meetings noch viel zu oft wie Live-Meetings, die wir auf dem Monitor nachzustellen versuchen. Wir denken an „alle zusammen in einem Raum“ und vergessen darüber, dass digitale Medien auch asynchrone und hybride Möglichkeiten bieten. Betrachten Sie digitale Kommunikation wirklich als ein anderes Medium mit anderen Gesetzen und Fähigkeiten. Und wenn wir die besser beherrschen lernen, ermüden wir auch nicht so sehr. Neue Rituale helfen dabei, ebenso wie die digitale Etikette.

Unsere Kinder sind 5, 7 und 10. Und so lebhaft. Das ist wundervoll, aber es fällt mir so schwer, alle Bälle in der Luft zu halten. Ich kann mich einfach nicht auf ein Management-Meeting konzentrieren, während ich höre, dass unten Streit um irgendein Spielzeug ausbricht. Ich fühle mich oft meiner Arbeit, aber auch meinen Kindern gegenüber schuldig. Ich habe das Gefühl, dass ich in den vergangenen Wochen niemandem gerecht geworden bin, mich eingeschlossen. (Erfahrung aus dem Feld)

 

Die Aufgabe von Ritualen

Rituale sind Bindemittel für das Kollektiv und helfen uns durch Veränderungen hindurch. Sie ordnen die Wirklichkeit und deuten sie neu. Ein Ritual macht das Alltägliche zu etwas Außergewöhnlichem, einen schlichten Moment zu einem bewegenden. Es gibt der Zeit Bedeutung, unterstreicht, wohin wir gehören, wofür wir stehen, was wirklich zählt. Rituale sind feste Gewohnheiten und Momente, an denen wir andere Dinge als gewöhnlich tun. In den Büchern „The Corporate Tribe“ und „Building Tribes“ wird das ausführlich beschrieben.

Rituale haben die Funktion, das, worauf es kulturell wirklich ankommt, in den Vordergrund zu stellen, und das Unerklärbare erklärbar und handhabbar zu machen. Rituale geben Kontrolle über Ereignisse und Situationen, die ein wenig unheimlich anmuten. Sie vermitteln ein Gefühl von Kontrolle über matter out of space, über das, das anders ist als gewohnt. Gerade jetzt brauchen wir ganz dringend Rituale. Rituale sind kraftvoll und verbindend. Sie müssen mit Achtsamkeit und Sorgfalt durchgeführt werden und nicht unbedingt viel Geld kosten.

Mit freundlicher Genehmigung des dpunkt Verlags.

 

Jitske Kramer: Die Arbeit hat das Gebäude verlassen. Wie sich unsere Zusammenarbeit nach dem Corona-Kulturschock ändert.

  • dpunkt Verlag, September 2021
  • Broschiert, 244 Seiten, 24,90 Euro, ISBN: 978-3-86490-863-7
  • Auch als E-Book sowie als Buch/E-Book-Bundle erhältlich

 

 

 

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