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Betriebe in digitaler Transformation

Die Welt verändert sich mit wachsender Geschwindigkeit – besonders für Unternehmen. Um konkurrenzfähig zu bleiben, müssen Führungskräfte, Fachabteilungen und HR-Verantwortliche Fachkräfte und Management für die Zukunft befähigen. Wie wird diese Kompetenzentwicklung am besten organisiert?

Und welche Digitalkompetenzen werden in welchen Fachbereichen benötigt? In einer dreiteiligen Serie im Channel Produktion & Prozesse auf buchreport.de beschreibt ein Autorenteam um Julia Held, Program Assistent im Programm „Unternehmen in der Gesellschaft“ in der Bertelsmann Stiftung, mögliche Wege dafür – Teil des umfassenden Strategie- und Praxis-Handbuches „Handbuch Digitale Kompetenzentwicklung“, das 2021 im Regensburger Innovationszentrum für Industrie 4.0 unter Herausgeberschaft des Mitgründers Philipp Ramin entstand.

Handlungsfelder der betrieblichen digitalen Transformation

Die Einführung einer zeitgemäßen technischen Infrastruktur bezüglich Hard- und Software ist nur eine notwendige Bedingung für eine Transformation. Innovation als Voraussetzung eines Wandels wird aber weniger durch Technik als vielmehr durch Kultur angeschoben. Die digitale Infrastruktur muss mit einer digitalen Arbeitskultur einhergehen, die mit Offenheit, Transparenz, Kommunikation auf Augenhöhe, dem Willen zum Teilen von Informationen und zum kollaborativen Arbeiten im Sinne eines übergeordneten Ganzen sowie einer grundsätzlichen digitalen Werkzeuge-Kompetenz verbunden ist.

Eine erfolgreiche betriebliche digitale Transformation erfordert ein ganzheitliches Vorgehen in verschiedenen Handlungsfeldern. Dabei ist das wichtigste Handlungsfeld nicht etwa die Weiterentwicklung der IT-Infrastruktur, sondern das authentische Vorleben der Veränderung durch die Führungsebene.

Diese digitale Arbeitskultur geht grundsätzlich auch einher mit einer starken Bereitschaft aller im Unternehmen Arbeitenden, sich auf Veränderungen einzustellen und diesen innovativen Veränderungen auch proaktiv und offen zu stellen. Arbeitskulturell können wir derzeit eine starke Abwehr von Veränderungen in den Arbeitsabläufen durch die Führung in deutschen Unternehmen beobachten.

Die immer wieder geäußerte Meinung vieler Verbändevertreter der Arbeitgeberseite, dass das Corona-bedingte Home-Office zu Arbeitsplatzverlusten und Missbrauch der Flexibilisierung durch Beschäftigte führen würde, offenbart (neben der erschreckenden Unwissenheit über die operative Umsetzung von Home-Office) das in den Köpfen dominierende Menschenbild der Personalverantwortlichen und den mangelnden Willen, sich auf Veränderungen zum Wohle des eigenen Unternehmens und der Gesellschaft als Ganzes einzulassen.

Aber auch auf der Ebene der Instrumente sind Veränderungen natürlich unvermeidlich. Das tradierte Projektmanagement muss in Folge der Umstellung auf digitale Arbeitsprozesse durch ein zeitgemäßes agiles Projektmanagement abgelöst werden. Dass dies nicht ohne gewisse Spannungen mit den bestehenden übergeordneten Regularien insbesondere der Arbeitswelt einhergehen kann, ist selbstredend.

Führung in der digitalen Transformation

Natürlich wird der Übergang zum mobilen Arbeiten (ein Trend, der sich auch nach der Corona-Krise fortsetzen dürfte) nicht ohne Klärung der Frage der Arbeitszeiterfassung dauerhaft vollzogen werden können. Daher ist es aber elementar wichtig, dass die Führung erkennt, dass diese ganzheitliche Transformation nicht ohne die starke Einbeziehung der Beschäftigten vollzogen werden kann. „Einbeziehung“ meint an dieser Stelle ganz klar nicht die Alibi-Partizipation, nachdem ein Beschluss durch die Führung schon gefasst worden ist, sondern die vorherige substanzielle Beteiligung der vielen klugen Köpfe des Unternehmens.

Dies bedingt natürlich die Fähigkeit der Führenden, die Mitmenschen im eigenen Unternehmen nicht nur als Kostenfaktoren, sondern als Ideengeber und Unterstützer des eigenen Geschäftsmodells zu sehen. Wenn aber ein Menschenbild vorherrscht, das Mitmenschen als „zu Führende“ betrachtet, kann man sich das „Social Intranet“ (Vorstandsmitteilung: „Wir laden Sie ein zur Diskussion“) sparen. Dies zu erkennen, setzt die Fähigkeit zur Demut angesichts des eigenen eingeschränkten Horizonts voraus – eine immens große Herausforderung in der auf ruinösen Wettbewerb und Verdrängung ausgerichteten heutigen Karrierewelt.

Innovativ denkende Führung versteht aber, dass die eigentliche Kompetenz bezüglich des eigenen Geschäftsmodells außerhalb der eigenen Mauern sitzt. Das Unternehmen ist nur ein vertragliches Gebilde von Menschen, die zufällig gemeinsam an einem Produkt oder einer Dienstleistung arbeiten. Innovative Führung reißt daher die Mauern zwischen innen und außen ein. Dass dies nicht ohne andere Modelle der Führung erfolgen kann, dürfte selbstverständlich sein.

Führen auf Zeit und Führen ohne Hierarchie sind hierbei die wichtigen Stichworte. Gern wird es auch als „Digital Leadership“ bezeichnet. Dies kann auf Dauer nicht ohne eigene starke digitale Kompetenz erfolgen. Kurz gesagt: Führung kann in einem Online-Dokument nicht durch lautes und starkes Auftreten erfolgen, sondern nur durch inhaltlich oder prozedural kompetente Führung.

Führung muss verstehen lernen, dass interne Kritik an Prozessen, Entscheidungen, Rollen oder Produkten eine unglaublich große Chance darstellt, das eigene Geschäftsmodell bzw. das Produkt zu verbessern, bevor die Kritik auf dem Markt durch Verbraucher geübt wird. Die aus interner Kritik erfolgenden Veränderungen und Innovationen sind damit großartige Chancen, länger am Markt zu bestehen und Einkommen sowie Umsätze zu generieren. Kritik ist also kein Statusverlust.

Offenheit für Veränderungen, digitale Kompetenz und die Fähigkeit zur Empathie sind aber Skills, auf die im Idealfall bereits beim Eintritt in das Unternehmen geachtet werden sollte. Die Bewerbungsfrage „Wo wollen Sie in fünf Jahren stehen?“ muss abgelöst werden durch die neue Frage „Was treibt Sie an?“ Bekannte Internetfirmen aus den USA haben bereits vor Jahren begonnen, ihre Personalpolitik entsprechend abzuändern. „Bunte Vögel“, Menschen, die auf anderen als auf den ausgetretenen Pfaden zur Lösung kommen, die nach den Werten fragen, die ein Unternehmen vertritt, die nach flexibleren Arbeitsweisen suchen, die weniger an der Karriere und mehr daran interessiert sind, was sie bewegen können, werden auf jeder HR-Konferenz von den Personalverantwortlichen eingefordert.

Wenn dann aber tatsächlich die „bunten Vögel“ im Unternehmen ankommen, werden sie häufig von den „grauen Wölfen“, lang gedienten Führungskräften der mittleren Managementebene, in ihre Schranken verwiesen. Innovation wird damit im Keim erstickt.

Ansätze für interne digitale Innovationen

Daher muss eine innovationsorientierte Personalpolitik auch immer fragen, wie Veränderungen innerhalb bestehender Strukturen angeschoben und verstetigt werden können. Dabei haben sich unterschiedliche Modelle, deren Auswahl aber letztlich der Führung unterliegt, bewährt. Die Modelle können bezüglich zweier Eigenschaften systematisiert werden.

Die erste Eigenschaft bezieht sich auf den Umfang des Wissenstransfers. Der Wissenstransfer in das Unternehmen hinein oder aber innerhalb des Unternehmens ist dort besonders groß, wo die Transformation auch innerhalb des Unternehmens direkt ansetzt, und dort besonders gering, wo sie von außen in das Unternehmen injiziert wird.

Die zweite Dimension bezeichnet den Grad der Integration der Transformationstendenzen in das Unternehmen. Integrationsgrad und Wissenstransfer stehen in einem gewissen Spannungsverhältnis zueinander. Wissen kann dort besonders gut generiert werden, wo es abseits tradierter Prozesse und Entscheidungen entstehen kann. Damit ist es aber wiederum schlecht in das Unternehmen integriert und wird weniger gut akzeptiert. Hohe Akzeptanz von Innovationen geht deshalb mit einer relativ geringen Integration in das Unternehmen einher und vice versa. Für jede Kombination von Akzeptanz und Innovation gibt es institutionelle Best Practices.

Die Verortung der Innovationen bei einer Stabsstelle oder in einer internen Graswurzelinitiative engagierter Mitarbeiter garantiert eine hohe Akzeptanz der in Gang gebrachten Veränderung, geht aber zwangsläufig mit einer verringerten Innovationsdynamik einher. Die hohe Akzeptanz, die mit dem integrierten Ansatz verbunden ist, führt aber zu einem direkten internen Wissenstransfer. Das Unternehmen muss bei der Wahl dieses Ansatzes bereit sein, sogenannte ambidextre Strukturen und Prozesse zuzulassen.

Ambidextrie bedeutet das Nebeneinander von zwei Geschwindigkeiten innerhalb ein und desselben Unternehmens. Denn wenn die Graswurzelinitiative mit personellen und finanziellen Ressourcen ausgestattet ist und an Dynamik gewinnt, darf diese nicht wieder durch langsame Entscheidungsfindungen im Rest des Unternehmens ausgebremst werden. Führung muss sich bewusst sein, dass sie zur gleichen Zeit innerhalb von zwei Unternehmen aktiv sein muss und sich darauf kulturell und im Selbstverständnis einstellen können.

Am anderen Ende der Kombination der zwei Dimensionen stehen dann die Start-Up-Übernahme durch das eigene Unternehmen oder auch die Einrichtung eines externen Innovation Labs. Mit diesen Maßnahmen, die schlecht in gewohnte Prozesse integriert sind, wird eine hohe Innovationsdynamik eingekauft, die aber häufig auf tradierte interne Logiken trifft, schlecht akzeptiert wird und dann zu Abwehrreaktionen führen kann.

Für den Aufbau einer offenen Innovations- und Fehlerkultur gibt es – je nach Eigenheit der bestehenden Unternehmenskultur – unterschiedliche Modelle, die sich im Grad der Integration in das Unternehmen und dem Umfang der Innovationssprünge unterscheiden. Den für sich besten Weg muss jede Unternehmensführung selbst finden.

Lösungen, die zwischen diesen beiden Polen einer betrieblichen Innovationspolitik verortet sind, bauen auf Start-Up-Inkubatoren oder Ausgründungen. Im ersten Fall kauft sich ein Unternehmen in einen regionalen oder kommunalen Inkubator ein, um dort dann mit innovativen Ideen in Kontakt zu kommen. Ein temporärer Ansatz ist hierbei auch, Innovationen vor Ort durch die Organisation von Hackathons ins eigene Haus zu holen.

Beliebt ist es auch, im Zuge dieser Hackathons ganz bewusst das eigene eventuell jahrzehntealte Geschäftsmodell in den Mittelpunkt des Hacks zu stellen. Dann würde die Aufgabenstellung an die Externen gehen, sich dezidiert mit der Disruption des eigenen Geschäftsmodells zu befassen. Ausgründungen sollen demgegenüber einer innovativen betrieblichen Einheit extern die „Luft zum Atmen“ ermöglichen. Dies setzt voraus, dass es Beschäftigte gibt, die dieses Risiko eingehen wollen, und dass es eine Innovation gibt, deren Marktfähigkeit ansatzweise abschätzbar ist.

Welche der drei Kombinationen für ein Unternehmen am ehesten umsetzbar ist, sollte die Führung mit den Beschäftigten besprechen. Es ist häufig so, dass in dem Fall, dass eine solche Transformation angekündigt wird, vereinzelte Beschäftigte ihre digitale Kompetenz und Interesse äußern. Es liegt dann sehr nahe, diese engagierten Mitarbeiter von Beginn an auf den weiteren Weg mitzunehmen und einzubinden. Es ist aber an diesem Beispiel sehr einfach zu erkennen, wie wichtig es ist, dass die Führung ein neues Rollenselbstverständnis transportiert, wie wichtig Empathie und Demut sind und dass mit einer solchen Änderung der Prozesse am Ende auch die existierende Gehaltsstruktur und -logik infrage gestellt werden muss.

Der Channel Produktion & Prozesse

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Die drei Hauptfehler im Rahmen der Innovationspolitik

Ein erster Fehler besteht darin, Veränderungen von den Beschäftigten zu verlangen, die man als Führung aber selbst nicht bereit ist einzugehen. Ein Appell im neuen Social Intranet, sich dort einzubringen, scheitert zum Beispiel in dem Moment, in dem der Vorstand seinen Assistenten diese Einladung schreiben und platzieren lässt. Die Ansage der Führungskraft, ab sofort auf Augenhöhe zu kommunizieren, wird in dem Moment ad absurdum geführt, in dem sie bei nächster Gelegenheit in einer Sitzung eine Entscheidung nur deshalb trifft, weil sie die Person im Raum mit dem höchsten Gehalt ist. Der Wunsch der Führung nach mehr Kollaboration muss ins Nichts führen, wenn sie sich nicht selbst online an der gemeinsamen Erstellung von Inhalten beteiligt.

Ein zweiter Fehler besteht darin zu glauben, dass die für die betriebliche digitale Transformation benötigte technische Infrastruktur der entscheidende Faktor für Innovationen ist. Innovationen als Bereitschaft, neue Wege zu gehen, entstehen im Kopf und nicht in einem Online-Dokument. Die technische Infrastruktur erlaubt es nur einfacher als in der Vergangenheit, diese Idee mit anderen Menschen weiter und schneller zu entwickeln. Und dass diese Ideen überhaupt geäußert werden, ist das Ergebnis einer entsprechenden vertrauensvollen und transparenten Arbeitskultur.

Ein dritter Fehler besteht gerade bei betrieblichen digitalen Transformationen darin, die Digitalisierung der Schnittstelle zum Kunden ohne eine Umstellung der Prozesse im Backend voranzutreiben. Wenn dann plötzlich – und dies trifft gerade in der Corona-Situation zu – nach der Eröffnung eines Shops im Internet mehr Bestellungen als jemals zuvor eintreffen, kommt es darauf an, dass auch die Prozesse vor Ort darauf ausgerichtet sind. Es kommt darauf an, Mitarbeiter dahin gehend zu schulen, dass nun statt analoger die digitale Beratung gefragt ist. Kommunikationsverantwortliche, deren Tätigkeit vorher nur als Luxusfrage betrachtet wurde, werden plötzlich elementar wichtig, gestalten sie doch ganz zentral die Verbindung zwischen dem eigenen Unternehmen und dem digitalen Kunden.

Es gab in der Vergangenheit stets Veränderungen, die Unternehmen immer wieder vor neue Herausforderungen gestellt haben. In der ganz überwiegenden Zahl der Fälle handelte es sich aber um technisch bedingte Veränderungen: die Einführung neuer Managementmethoden, das Aufkommen neuer Wettbewerber innerhalb der eigenen Branche, die Veränderung der Rahmenbedingungen auf den eigenen Märkten, politische Widrigkeiten, Finanzkrisen. Mit der Digitalisierung ist zum ersten Mal eine drastische Veränderung der Arbeitskultur und der Frage, wie wir als Menschen miteinander umgehen, in den Fokus gelangt. Die betriebliche digitale Transformation ist nicht nur eine technisch bedingte Weiterentwicklung; sie stellt auch unsere Arbeitskultur auf den Kopf. Diese Veränderungen hatten Vordenker aber bereits in den 1970er Jahren kommen sehen.

Mit freundlicher Genehmigung des Carl Hanser Verlages.

 

Philipp Ramin (Hg.) Handbuch Digitale Kompetenzentwicklung. Wie sich Unternehmen auf die digitale Zukunft vorbereiten.

Mai 2021. 720 Seiten, fester Einband, Komplett in Farbe. E-Book inside.

EUR 199,99, später EUR 249,99

 

 

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