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Was wir von „Avatar“ über Change-Prozesse lernen können

Change-Berater Günther Wagner. Foto: Wagner Consulting.

Change-Berater Günther Wagner. Foto: Wagner Consulting.

Der wirtschaftliche Wandel verlangt den Unternehmen ab, sich ihrerseits permanent zu wandeln. Doch vier von fünf Change-Projekten scheitern, wie das Handelsblatt schreibt. Warum?

Organisationsberater Günther Wagner hat in vielen Change-Projekten die Erkenntnis gewonnen: eine grundlegend falsche Auffassung der psychologischen Mechanismen im Change begünstigt Führungsfehler und führt zur Zielverfehlung.

Im HR-Channel von buchreport.de legt Günther Wagner diese Mechanismen am ungewöhnlichen Beispiel eines Hollywood-Films offen.

 

Veränderungen, Change-Prozesse stehen bei vielen Unternehmen ganz oben auf der Tagesordnung. Change scheint fast schon ein Muss zu sein. Umso wichtiger ist es, dass diese Wandlungsprozesse auch gelingen. Dazu ist das richtige Verständnis auf allen Seiten erforderlich. Der Führung, die in der Regel den Change auslöst, kommt dabei eine besondere Verantwortung zu.

Ich möchte den Film „Avatar“ als Erkenntnishilfe für Change-Prozesse nutzen. Vielleicht kennen Sie diesen Film, der sämtliche Rekorde gebrochen hat und bislang der erfolgreichste Film aller Zeiten ist. Dieser Film zeigt nachvollziehbar die Mechanismen persönlicher und gesellschaftlicher Transformation – den Übergang, den Change, den Transition-Prozess hin zu neuen Einsichten und neuen Verhaltensweisen.

Für alle jene, die den Film nicht kennen, hier ein ganz kurzer Überflug über die Geschichte:

Es wird das Jahr 2154 geschrieben. Auf der Suche nach neuen Ressourcen sind die Menschen auf den fernen Mond Pandora gestoßen, der von dem Volk der Na vi bevölkert wird. Diese drei Meter großen Lebewesen mit blauer Haut leben in harmonischer Verbindung mit ihrer Umwelt. Damit die Menschen auf diesem Planeten leben können, konstruieren sie Hilfsmittel – Avatare, gentechnisch gezüchtete Ersatzlebewesen, die wie die Na vi aussehen, aber mit dem Gehirn eines Menschen gesteuert werden.

Jake Sully, ein ehemaliger Soldat, der bei einem Kampfeinsatz querschnittsgelähmt wurde, nimmt anstelle seines verstorbenen Zwillingsbruders an dem Avatarprogramm teil. Diesen großen Schritt tut er, weil er mit Hilfe des Avatars wieder laufen kann – sein sehnlichster Wunsch. Er soll nun als Avatar Jake die Na vi dazu bringen, ihre Heimat zu verlassen, damit die Menschen dort die reichhaltigen Bodenschätze erwirtschaften können. Jake wird nun zum Pendler zwischen den Welten.

Er lernt die Tochter des Häuptlings der Na vi, Neytiri, kennen. Sie lehrt Jake die Gebräuche und Verhaltensweisen ihres Volkes. Mit Neytiri´s Hilfe lernt Jake, sich in der neuen Welt zu bewegen, die neuen Gebräuche zu verstehen und damit auch zu respektieren. Im Prozess selbst merkt er an einem bestimmten Punkt jedoch auch, dass er die Loyalität zur alten Welt nicht mehr aufrechterhalten kann.

Er befindet sich im Niemandsland zwischen der alten Welt, die er noch nicht ganz verlassen hat bzw. auch noch nicht ganz zu verlassen wagt, und der neuen Welt, in der er ebenfalls noch nicht fix und vollständig leben kann. Irgendwann muss sich Jake jedoch entscheiden – er tut es, lässt sein altes Ego hinter sich und wechselt in die neue Welt.

Personalkonzepte für die Zukunft

Mehr zum Thema Personalmanagement und -führung lesen Sie im HR-Channel von buchreport und Channel-Partner Bommersheim Consulting. Hier mehr

Vielleicht fragen sich einige, was die Filmgeschichte von Avatar und insbesondere die von Jake Sully und seiner Veränderung mit einem Change-Prozess in der Wirtschaft zu tun hat.

Auf diese berechtigte Frage möchte ich jetzt näher eingehen. Die Bilderwelt von Avatar hat mich persönlich berührt, ebenso die unbequeme Auseinandersetzung mit Fragen zum eigenen Weltbild. Darüber hinaus veranschaulicht die Figur des Jake Sully den Veränderungsprozess von Menschen und die damit verbundenen Herausforderungen meiner Erfahrung nach ziemlich gut. An Jake zeigt sich, dass ein Change mehr ist als nur die Veränderung einzelner Handlungs- und Routineabläufe in Arbeitsprozessen. Ohne reflektiertes, selbstkritisches Handeln, ohne leibhaftiges, körperliches und emotionales Gespür und Verständnis scheitert jeder Change auf längere Sicht. Deshalb verlangt ein längerfristig erfolgswirksamer Change mehr Auseinandersetzung, als oft im Business geplant.

Der Transition-Prozess, der Übergang von Alt zu Neu

In der folgenden Gegenüberstellung möchte ich Ihnen kurz veranschaulichen, was ich konkret mit „mehr Auseinandersetzung in Change-Prozessen“ meine:

»Transition« vs. »Change«: ein völlig anderes Konzept. Grafik: Wagner Consulting.

»Transition« vs. »Change«: ein völlig anderes Konzept. Grafik: Wagner Consulting.

Der Übergang von Alt zu Neu fordert wirklich Engagement, Betroffenheit und mehr Kenntnisse als geplant. Das widerstrebt der Gewohnheit, das widerstrebt den Zeitvorgaben im Management, das widerstrebt oft auch den Menschen, den Mitarbeiter/innen wie auch Führungskräften, die es gerne schnell erledigt haben wollen bzw. keine Verunsicherungen, Ängste und Verluste von altgewohnten Routinen und Vorteilen spüren möchten. Genau das wird im Transition-Prozess beleuchtet, akzeptiert und in eine neue Ordnung geführt. Im althergebrachten Change geht man davon aus, dass man überlegt ein paar hinderliche Verhaltens- und Arbeitsweisen ändert, und es geht schon. Sicherlich, das funktioniert irgendwie kurzfristig auch. Doch um einen Change längerfristig erfolgsversprechend zu meistern, braucht es etwas mehr – es braucht Wissen und Einsicht für den Übergang ins Neue.

Die meisten verweigern nicht die Veränderung, sondern den Übergang.

Im Film Avatar kann man gemeinsam mit Jake Sully seinen Changeprozess, seinen Übergang von Alt zu Neu gut nachvollziehbar miterleben. Diesen Prozess kann man in drei Phasen unterteilen, die jedoch nicht getrennt und schon gar nicht mechanisch nacheinander ablaufend betrachtet werden sollten.

Die drei Phasen des Change-Prozesses. Grafik: Wagner Consulting.

Die drei Phasen des Change-Prozesses. Grafik: Wagner Consulting.

Diese drei Phasen fließen oft parallel zueinander. Der Einfluss einer bestimmten Phase ist mal stärker, mal weniger stark im Vergleich zu den beiden anderen. Es zeigt sich zwar eine gewisse Tendenz, welche Phase wann im Veränderungsprozess intensiver und einnehmender wirkt, aber das kann nicht dogmatisch auf jeden sich im Veränderungsprozess Befindlichen angewendet werden. Eines ist jedoch gewiss: Um einen Change nachhaltig erfolgversprechend bewältigen zu können, sollte jede Phase im Prozess leibhaftig, sprich rational, emotional und körperlich erfasst werden.

Die 3 Phasen im Transition-Prozess

Phase 1

Es braucht einen tiefgreifenden emotional anrührenden Grund, Wunsch, Motivation, um sich auf den Weg der Veränderung, auf den Change einzulassen.

Gleichzeitig braucht es eine wirklich tiefe Einsicht in die bisher im Arbeitsprozess wirkenden Gewohnheiten. Die Macht der Gewohnheiten ist immens und wird bei kaum einem Change-Prozess gründlich in Betracht gezogen. Es braucht diese Erkenntnis und insbesondere den Respekt vor den Gewohnheiten. Die alten Gewohnheiten und auch alten Vorstellungen und Meinungen lassen sich nicht ohne weiteres von einem Tag zum andere in neue Verhaltensweisen und Arbeitsstrukturen überführen.

Die Phase 1 ist eine Phase der Erkenntnis, was man an Gewohnheiten in der Arbeit liebgewonnen hat, worauf man sich verlässt, in welchen Komfortzonen man sich bewegt und was man eigentlich nicht ändern will, weil es unter Umständen unbequem ist und darüber hinaus Unsicherheiten und Ängste auslöst. Bequemlichkeit, Unsicherheit und Angst blockieren jedoch jede Veränderung. Mit Angst im Nacken ist sofort Widerstand aktiviert, und die angestrebte Veränderung, auch wenn diese tatsächlich Vorteile verschaffen könnte, erstickt im Keim.

Phase 2

Diese Phase ist unglaublich wichtig. In dieser Phase wird man mit Dilemmata und Paradoxien konfrontiert. In dieser Phase erprobt man die neuen Möglichkeiten, obgleich man gleichzeitig auch noch an den gewohnten alten Verhaltensweisen festhält – als Sicherheit. Man pendelt hin und her zwischen alt und neu. Das Neue kann reizvoll sein, aber es verunsichert auch. Dann meldet sich die Gewohnheit und meint, jetzt könnte es gefährlich werden. Diese Warnfunktion der Gewohnheit ist nicht grundsätzlich verkehrt, denn eine Veränderung kann tatsächlich auch gefährlich sein oder zu unangenehmen Verlusten führen. Man muss unter Umständen auf Anerkennung, Belohnung, Bequemlichkeiten, Bindungen, Geborgenheit, Macht u.a. verzichten.

Man findet sich in der zweiten Phase der Veränderung in einer Situation, in der das Alte nicht mehr ganz richtig scheint, aber das Neue auch nicht passt. Statt es bequem zu haben, spürt man Unsicherheit, Angst. Vielleicht fühlt man sich so, als ob man nirgendwo mehr richtig zu Hause ist – sozusagen zwischen zwei Stühlen sitzt.

Dieses Niemandsland und der Kampf zwischen neuen Verhaltensweisen und alten Gewohnheiten ist wirklich außerordentlich stark, wird jedoch in Change-Prozessen selten berücksichtigt. Die Umstrukturierungen und der Prozess der Neuorganisation greifen so richtig erst in dieser Phase.

Phase 3

In dieser Phase geht es um die konkrete Entscheidung, darum, sich wirklich auf das Neue einzulassen und das Alte definitiv loszulassen. Oft tut man so, als ob man das Alte loslässt und sich voll auf das Neue einlässt – aber das ist leider häufig ein Trugschluss. Doch das ist ganz normal. Das ist u.a. auch die Strategie der Gewohnheit, um Ängsten und Unsicherheiten auszuweichen.

Der Change ist weit mehr als nur die Auseinandersetzung mit dem Neuen, sondern ebenso die intensive Beschäftigung mit dem Alten. Das verlangt Einsicht, Selbsterkenntnis und auch Willenskraft, um der Kraft der Gewohnheiten widerstehen zu können. Denn selbst dann, wenn die Entscheidung zur Änderung wirklich konkret getroffen ist, werden die alten Gewohnheiten immer wieder aufs Neue versuchen, das Alte ins Neue hinüber zu schummeln. Immer dann, wenn das Neue Unsicherheit auslöst, ist sofort das Alte zur Stelle und versucht unter dem Deckmantel des Neuen die alten Verhaltensweisen geschickt ins Neue einzufädeln.

Achtsamkeit ist in dieser Phase, wie auch in den anderen, sehr förderlich. Die Praxis der Mindfulness hilft, den Reiz zu überwinden, das Alte, das Vertraute und Sichere im Vergleich zum Neuen als besser zu bewerten. Darüber hinaus hilft Achtsamkeit, die Ängste anzunehmen und in Vertrauen zu überführen.

Transition im Management

Wenn man als Führungskraft einen Change realistisch erfolgsversprechend durchführen will, dann sollte man sich neben dem „Was geändert werden will“, etwas intensiver als vielleicht bisher geschehen mit den Übergängen auseinandersetzen. Der Change wird leider im Business allzu oft wie ein Programm zum Maschinen-Ersatzteil-Wechsel durchgeführt. Das mag bei Maschinen funktionieren, doch wer sind die Change-Beteiligten? Menschen mit Erwartungen, mit Emotionen, mit Ängsten, mit Hoffnungen…

Der Übergang ist somit wirklich die große Herausforderung in Change-Prozessen. Und so beginnt vielleicht der geplante Change damit: Sich eingestehen, dass man eigentlich keine nassen Füße bekommen möchte.

Diese Einsicht bzw. diese Einstellung darf jedoch nicht verurteilt werden. Das ist menschlich einfach ganz normal. Jake Sully hat seinen Veränderungs-Prozess auch nicht von einem Tag zum anderen mit trockenem Fuß durchlaufen. Jake durfte im Change Höhenräusche erleben, aber auch Zweifel, Rückfälle, Ängste, Widerstände. Ohne Hilfe, ohne Begleitung hätte Jake seinen Change vermutlich nicht geschafft. Neben der couragierten und feinfühligen Unterstützung von Neytiri hat ihn über den gesamten Prozess hinweg auch eine Wissenschaftlerin und ihr Team betreut.

 

Günther Wagner ist Experte für Change Management und (Digital) Leadership, Coach und Speaker und versteht sich als Brückenbauer zwischen Old and New Economy.

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