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Bonnier, Holtzbrinck und PRH bekennen sich zu Leipzig

Die Debatte über die Absage der Leipziger Buchmesse hält unvermindert an und erhält weitere Facetten. Kritik müssen vor allem auch die drei großen deutschen Publikumsverlagsgruppen Penguin Random House (PRH), Bonnier und Holtzbrinck einstecken. Der Vorwurf: Durch ihre Absagen sei die Messe letztlich unmöglich geworden.

Fakt ist: Nachdem in der Vorwoche die sächsische Landesregierung den Weg für Messen frei gemacht hatte, sagten viele Aussteller ihre Teilnahme an der Leipziger Buchmesse ab. Messedirektor Oliver Zille, der daraufhin Mitte dieser Woche die Messe komplett absagte, machte deutlich, dass nichts anderes übrig bleibe, wenn eine Durchführung durch die Verlage „verunmöglicht“ würde. Er sagte aber auch: Die Absagen seien „querbeet“ durch alle Verlagsgrößen erfolgt.

Autoren fordern »Öffnung«

Kritik kam von Autorinnen und Autoren in Form einer Online-Petition mit dem Titel „Macht die Buchmesse auf! Wir wollen lesen!“. Bis zum Freitagabend fand die Petition, die neben der Leipziger Buchmesse und dem Börsenverein auch speziell an PRH, Bonnier und Holtzbrinck gerichtet ist, über 500 Unterzeichner.

Die Forderung im Wortlaut:

Wir sind wütend, traurig, fassungslos. Die Leipziger Buchmesse wurde von den großen westdeutschen Verlagen zur Absage gezwungen. Schon an diesem Wochenende dürfen wieder 10.000 BesucherInnen in die Fußballstadien, die Berlinale findet zurzeit mit Publikum in Berlin statt und 2G in den Geschäften wird gerade abgeschafft. Warum also soll in fünf Wochen nicht die Leipziger Buchmesse stattfinden? Ist Literatur nichts wert? Sind wir nichts wert? Auch in Leipzig können und wollen wir Maske tragen, Abstand halten und wir wollen unser Publikum sehen. Ein funktionierendes Konzept liegt vor. Wir haben jahrelang an diesen Büchern gearbeitet. Jetzt wollen wir uns treffen, einander vorlesen und miteinander reden und streiten. Wir alle lieben die spezielle Atmosphäre in Leipzig, die großen und kleinen Veranstaltungen, die leuchtenden Augen der Leserinnen und Leser UND der Vorlesenden. Was es jetzt braucht von Penguin-Random-House, Holtzbrinck, Bonnier und den anderen Großen dieser Branche ist Solidarität mit Leipzig, mit den Leserinnen und Lesern und uns AutorInnen. Macht die Buchmesse auf! Wir wollen lesen!

PRH: »Glauben an die Bedeutung der Leipziger Buchmesse«

Die drei angesprochenen Publikumsverlagsgruppen haben mittlerweile mit Stellungnahmen auf die speziell an sie gerichteten Vorwürfe reagiert – und bekennen sich mit deutlichen Worten zur Leipziger Buchmesse.

Thomas Rathnow, CEO von PRH, im Wortlaut:

„Die Enttäuschung darüber, dass die Leipziger Buchmesse auch in diesem Jahr nicht stattfinden wird, ist sehr groß. Das gilt für zahlreiche Autor*innen ebenso wie für die Mitarbeitenden unserer Verlagsgruppe. Wir bekennen uns ausdrücklich dazu, dass wir an der Leipziger Buchmesse als eines der zentralen Ereignisse des Bücherjahres 2023 auch in Zukunft festhalten werden.

Oliver Zille, der Leiter der Leipziger Buchmesse, hat mehrfach öffentlich klargestellt, dass in der letzten Woche Absagen aus allen Teilen des Landes und von Verlagen unterschiedlicher Größe bei ihm eingetroffen seien. Der hier und da geäußerte Verdacht, große Verlagsgruppen hätten die Absage der Messe aus ökonomischen Gründen provoziert, ist entsprechend haltlos.

Schon Ende des vergangenen Jahres haben zahlreiche Kolleg*innen unseres Hauses damit begonnen, die Anreise sowie unterschiedlichste Auftritte von Autor*innen bei Lesungen, Veranstaltungen und Presseterminen zu organisieren. Die Leipzig-Pläne für über 50 Autor*innen sind nun Makulatur. Diesen finanziellen und personellen Aufwand betreiben wir, weil wir an die Bedeutung der Leipziger Buchmesse glauben. Leipzig ist als große Publikumsmesse über die letzten Jahre immer beliebter und erfolgreicher geworden, bei den Verlagen und in der breiten Öffentlichkeit.

Wir haben aufgrund der pandemischen Lage abgesagt. Andere Häuser haben anders entschieden, was in gleicher Weise zu respektieren ist. Manche blenden in der Diskussion aus, dass es einen wesentlichen Unterschied macht, ob eine Privatperson sich entscheidet, das Risiko auf sich zu nehmen, eine Veranstaltung zu besuchen, oder ob ein Unternehmen von einem Teil seiner Angestellten verlangt, sich in einer gedrängten Messehalle über mehrere Stunden und Tage einem erhöhten Ansteckungsrisiko auszusetzen.

Daher sehen wir uns außer Stande, in diesem Jahr einen Verlagsstand in den Messehallen aufzubauen und zu betreiben. Ein dezentrales Veranstaltungsprogramm in einem sicheren Rahmen hat weiterhin unsere volle Unterstützung.

Wir sind überzeugt von der Zukunft der Leipziger Buchmesse als Fest des Lesens, als Feier des Buches, als Ort der Begegnung von Autor*innen und Leser*innen, Medienvertreter*innen und Verlagsleuten. Wir werden daher auch weiterhin als Aussteller und Mitveranstalter ein aktiver und engagierter Partner der Leipziger Buchmesse sein.”

Holtzbrinck: »Mit Begeisterung und aus Überzeugung«

Vor allem kleinere Verlage hatten mit viel Unverständnis auf den erneuten Ausfall reagiert. Immer wieder klingt dabei der Vorwurf durch, (gerade den westdeutschen) Verlagen seien Leipzig und seine Messe nicht wichtig genug.

Die Holtzbrinck-Gruppe bemüht sich um eine Versachlichung. „Wir haben für 2022 eine sehr schwere Entscheidung getroffen“, so CEO Alexander Lorbeer auf Anfrage von buchreport. Selbstverständlich werde man in 2023 wieder Teil der Leipziger Buchmesse sein, betonte Lorbeer, und zwar „mit Begeisterung und aus Überzeugung“. Die Holtzbrinck Buchverlage arbeiteten im Beirat der Leipziger Buchmesse mit, man stand und stehe in ständigem Austausch mit Oliver Zille und seinem Team. Daher gelte: „Wir werden wieder unsere Stände in den Messehallen aufbauen. Wir freuen uns auf die Gespräche und Begegnungen mit den Leserinnen und Lesern, mit unseren Autorinnen und Autoren.“

Bonnier: »Hätten zu gerne in Leipzig die Stände bezogen«

Bonnier-Deutschland-CEO Christian Schumacher-Gebler antwortete direkt den Verfassern des Offenen Briefes: Er bedauere sehr, dass die Messe nicht stattfinden kann. „Es geht dabei nicht um große oder kleine Verlage, sondern lediglich darum, dass wir täglich neue Rekordwerte bei den Neuinfektionen erleben.“ 

Und konkreter gegenüber buchreport: „Diese Zahlen sind jedoch nicht mehr abstrakt, wie sie im Sommer letzten Jahres erschienen, sondern sie sind greifbarer denn je. Täglich begegnen wir der Situation, dass sich KollegInnen in Quarantäne begeben müssen, weil sie sich selbst infiziert haben oder im Familienkreis das Virus ausgebrochen ist.“ Hinzu kämen Ausfälle aufgrund der Betreuungssituation der Kinder, die nicht infiziert, aber in Quarantäne seien. 

Weiter schreibt Schumacher-Gebler an die Verfasser des Offenen Briefes, dass die Verlage darum gebeten hatten, das Lesefestival „Leipzig liest“ stattfinden zu lassen: „Denn es wäre natürlich möglich gewesen, AutorInnen mit einem Ansprechpartner aus dem Verlag zu Veranstaltungsorten zu entsenden. Das wiederum sah die Messe selbst als unmöglich an. Ich habe vor zwei Stunden nochmals mit Herrn Zille von der Buchmesse gesprochen, um mich zu erkundigen, ob man „Leipzig liest“ nicht doch durchführen könne. Er verneinte das.“

Schumacher-Gebler betont, dass die Messe für alle Verlage ein wichtiges Ereignis sei: „Eines, auf das kein Verlag leichtfertig und gerne verzichtet. Allein die großen Verlage haben große Stände und insofern größere logistische Herausforderungen in Zeiten wie diesen.“

Bei der Frankfurter Buchmesse im vergangenen Jahr gehörten die Bonnier-Verlage zu jenen, die mit ihren gewohnten Messeständen Präsenz zeigten und ihren Messeauftritt nicht verkleinert oder ganz abgesagt hatten. Schumacher-Gebler: „Auch Piper, Ullstein und Carlsen hätten zu gerne in Leipzig die Stände bezogen. Nächstes Jahr wird uns das gelingen!“

Leipzig-Absage: Gemischte Gefühlslage bei den Verlagen

Unabhängige Verlage zeigen sich befremdet

Auch anderswo wird die Diskussion um die Leipzig-Absage weiter geführt.

Im Interview mit 3sat verwies Börsenblatt-Chefredakteur Torsten Casimir zuletzt auf die schwer eingängliche Logik der Politik, hier Öffnungsschritte zu planen, dort aber Riegel vorzuschieben. Wenn die Unternehmen von der Politik auf Homeoffice-Lösungen eingeschworen würden, könne man kaum erklären, warum eine Präsenzmesse dann kein Problem sei.

Am Freitag meldete sich auch die Initiative #VerlageGegenRechts, in der u.a. rund 80 unabhängige Verlage vereint sind, darunter Wagenbach, Ch. Links, Büchner, Schöffling, die Büchergilde Gutenberg oder Pendragon, zu Wort. In einem Offenen Brief richten die Unterzeichner ebenfalls Kritik an die Verlage, die abgesagt hatten. Sie befremde „in der Begründung der Absage besonders eine Formulierung: Durch die plötzlichen Stornierungen einiger großer Verlage und Verlagsgruppen sei ‚die erwartete Qualität und inhaltliche Breite nicht mehr gewährleistet.’ Wird allen Ernstes ökonomische Masse mit Qualität gleichgesetzt, um die weniger großen Akteure auf dem Buchmarkt als irrelevant abzutun? Das kommt einer Verhöhnung derer gleich, die mit ihrer Arbeit das kulturelle Leben erst ermöglichen.“

Und weiter: „Noch befremdlicher ist das beflissene Raunen in etlichen Medien: Ist Leipzig noch zukunftstauglich, braucht es überhaupt noch Buchmessen, da doch die Verlagskonzerne ihre Käuferschaft inzwischen ‚modern, agil, transformiert’ via Onlinemarketing erreichen und folglich auf physische Präsenz verzichten können? Forsch wird behauptet, noch dazu im Branchenblatt, die ‚Buchbranche schaffe sich selber ab’, als ginge es um eine Kugelschreibermarke. Das Festhalten an nichtvirtuellen Formaten sei ‚Sentimentalität’. Damit werden Lesende, Schreibende, an Inhalten (statt ‚Content’) und am Austausch Interessierte für überholt und überflüssig erklärt. Wozu braucht es noch echtes Publikum, echte Bücher, echte Lesungen und Podiumsdiskussionen, wenn man sich doch nur mehr als ‚Erlebnis- (und) Emotionsermöglicher’ begreift? Das ist die Logik von Spaßbädern und Lieferdiensten. Das ist die Aufkündigung des gesellschaftlichen (und Branchen-) Konsens über das Kulturgut Buch.”

Die provokante Frage, die das Bündnis aufwirft: Braucht es die „großen“ Verlage überhaupt? Konkret heißt es in ihrem Offenen Brief: „Muss die Leipziger Buchmesse erst von ökonomischen Zwängen und Renditevorgaben befreit werden, um ihre eigentliche und wesentliche Aufgabe zu erfüllen? Stellen wir die Gegenfrage: Sind die Konzernverlage – oder besser, ihre Marketingabteilungen – nicht vielleicht entbehrlich für dieses Fest kultureller Begegnung, für diese Feier von Diversität und Offenheit, für Diskussion und Austausch über Bücher und Bildung, Weltentdeckung und Horizonterweiterung? Brauchen wir, braucht die Gesellschaft nicht vielleicht eine von diesen Konzernen unabhängige Leipziger Buchmesse?“

Netzwerk der Literaturhäuser: »Branche untergräbt sich selbst«

Auch aus dem Netzwerk der Literaturhäuser, das elf Häuser zwischen Hamburg und Wien umfasst, kommt eine Stellungnahme. Hier im Wortlaut:

„Die Zukunft des Buches hängt von den Büchern ab. Die werden geschrieben, verlegt, besprochen, verkauft und Tausenden von Leserinnen und Lesern in Lesungen und Diskussionen vorgestellt. Und Bücher brauchen Foren. Die Leipziger Buchmesse repräsentiert die Vielfalt, die wir uns wünschen. Sie ist auch die Manga-Comic-Con sowie vor allem das Lesefest „Leipzig liest“ – das größte seiner Art in Europa. Es ist der Buchpreis zur Europäischen Verständigung, es sind die drei Sparten-Preise der Leipziger Buchmesse, der Alfred-Kerr-Preis, die Preise der Kurt Wolff Stiftung usf. Die Leipziger Buchmesse war immer auch – erst recht nach 1989 – ein Symbol, eine Positionslaterne auf schwankendem Gelände. Deshalb wird das Netzwerk der Literaturhäuser in Deutschland, Österreich und in der Schweiz auch 2022 trotz Absage der Messe nach Leipzig reisen, dort tagen und dort den Preis der Literaturhäuser verleihen.

Das Buchereignis in Sachsen ist ein tragender Ast, auf dem die gesamte Buchbranche sitzt. Jetzt sägen die daran, die dem Anschein nach am besten durch die Krise kamen und die am deutlichsten von weichen Faktoren wie Auszeichnungen, Preisen, TV-Präsenz und Berichterstattung profitiert haben dürften. Der Politik wurde vorgeworfen, die Bedeutung des Publikums für Kulturveranstaltungen wie von Kunst und Kultur im Allgemeinen zu unterschätzen – jetzt untergräbt sich die Branche nachhaltig selbst. Wir können es uns nicht leisten, mit Leipzig einen Austragungsort für Anschlussfähigkeit, für Niedrigschwelligkeit, für Diskussion, Einmischung, Dissens und Behauptung aufzugeben. Die Messe ist ein Wimmelbild aus Effekten für die helle Kulturkraft des Buches.

Die, die das Buch durch ihre Messeabwesenheit jetzt eines der größten Schaufenster berauben, verkennen die Folgen. Was für 2022 billigend in Kauf genommen wird, ist eine Absage an die Bundesländer im östlichen Deutschland, eine Absage an die Jugend, die dort zu Tausenden physisch mit der Relevanz des Buches und des freien Wortes in Berührung kam, es ist eine Absage an Vermittlungskultur wie sie einzigartig ist auf der Welt, eine Absage an die Gastfreundschaft Leipzigs und nicht zuletzt ist es eine Einladung, mit Frankfurt am Main früher oder später ähnlich zu verfahren. Die an Umsichtigkeit kaum zu überbietenden Begleitmeldungen des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels in seinem Hausblatt taten ihr übriges.

Die wirksamste Verkaufsfläche für das Buch ist Begegnung. Für das Buch im Gespräch ist Deutschland Weltmarktführer. Ein Status, den es mit Gestaltungswillen zu behaupten gilt. Denn die Wirkungsmacht des Buches ist in keiner Weise mehr abgekoppelt von ihrer öffentlichen Performanz. In einem Moment, in dem es leicht war, Normalität einkehren zu lassen und vorausschauend zu handeln, demonstrieren die Größten der Branche ihr volles Desinteresse. Gerne schicken die Verlage ihre Autoren auf Reisen, Teams für die Messestände fänden sich vorgeblich nicht. Es ist jetzt an den Verlagskonzernen wie an uns allen, zu investieren, etwas zurückzugeben, zu zeigen, wir sind gut durch diese Krise gekommen. Danke, du furchtloser Buchhandel. Dank an alle Leserinnen und Leser. Dank an die Kreativen.”

 


Anm. d. Red.: Dieser Beitrag wurde zuletzt am 11.2.2022 um 18:30 Uhr aktualisiert und ergänzt.

Kommentare

1 Kommentar zu "Bonnier, Holtzbrinck und PRH bekennen sich zu Leipzig"

  1. Ich bin auch enttäuscht und sauer das die Buchmesse wieder ausfällt. Habe die Befürchtung das zukünftig aus Kostengründen eine Buchmesse nicht mehr für nötig gehalten wird. Gerade die Buchbranche sollte sich das gut überlegen. Einerseits beklagt man das alles immer mehr ins digitale abwandert, andererseits beschwört man das haptische Erlebnis Buch. Gerade die Leser genießen es das das Buch mal einige Tage so im Mittelpunkt steht. Außerdem sollte man auch die Aussenwirkung (TV/Literaturbeilagen/Autorenbegegnungen und Lesungen) nicht unterschätzen. Ich werde die entsprechenden Verlage auch noch mal anschreiben um meiner Enttäuschung Ausdruck zu verleihen.

    Mit freundlichen Grüßen
    Ralf Gemsa

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