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Nicht mehr synchron mit dem Markt

Im digitalen Zeitalter machen kostenlose Web- und App-Angebote wie Google Maps sowie massenweise 99-Cent-Apps den Reiseführer-Verlagen den Garaus. Das Beispiel von Lonely Planet beweist das Gegenteil: Mit einer ambitionierten Digitalstrategie ist der zwischenzeitlich kriselnden BBC-Tochter die Rückkehr in die schwarzen Zahlen gelungen. Im Interview zeigt Gus Balbontin (Foto: Pinar Özger), „Transformations-Director“ beim Reiseführerverlag, wie sich Lonely Planet digital positioniert, warum Verlage ein Kosten-Problem lösen müssen, und weshalb sich die Art, wie wir reisen, durch Multimedia nicht verändert. 

Während der Verlag (drei Standorte in Melbourne, London und Oakland, 450 Mitarbeiter, 200 Autoren) im Geschäftsjahr 2008/2009 noch einen ein Verlust von 3,8 Mio Euro verbuchte, führte die verstärkte Verlagerung auf digitale Geschäfte und der Start von Spinoff-Produkten wie einer Lonely-Planet-Zeitschrift den Verlag anschließend wieder in die schwarzen Zahlen. Heute liegt der Anteil digitaler Produkte (u.a. 140 Apps) am Verlagsumsatz bei rund einem Viertel.
Wie wichtig ist es, international zu denken und zu arbeiten, wenn man multimediale Inhalte in verschiedenen Formaten veröffentlicht?
Gus Balbontin: Heutzutage ist es viel einfacher, international zu denken und zu handeln. Ein E-Book in verschiedensten Ländern zu veröffentlichen, ist heute furchtbar einfach. Man muss es nur hochladen und ein paar Häkchen setzen. Früher hätte man überall Leute gebraucht, mit Beziehungen, die über Jahre entstanden sind. 
Was hat sich in den vergangenen Jahren am stärksten beim Verlegen von Reiseführern verändert?
Ein paar Jahrzehnte lang lagen die Verbesserungen hauptsächlich bei der Effizienz und der Effektivität – bessere Layout-Tools, besseres Schreibwerkzeug, besserer Transport, besseres Bestandsmanagement, usw. Wir kommen jetzt in eine Zeit, die davon geprägt ist, dass Nutzer ganz neue Möglichkeiten für den Zugriff und Gebrauch von Inhalten haben. Diese letzte Entwicklung ist viel fundamentaler und sie kommt von Entwicklungen der Telekommunikation, des Internets und heute hochtechnisierter Geräte wie Telefonen und Tablets. Die Informationen, die ein Reisender benötigt, um seine Probleme zu lösen, bleiben dabei relativ unverändert. Auf welchem Weg aber der Verleger seine Informationen bekommt – von wem und wie –, verändert sich mit Sicherheit. Zum Beispiel: Engagiert man einen Autoren, damit er ein Buch schreibt – oder damit er über einen Ort schreibt, was auf einer Website, in einer App oder einem E-Book landet? Bekommt man alle Informationen von einem Autoren oder nutzt man User Generated Content? Stellt man sich als Verleger zwischen die Autoren und die Reisenden, also die Leser, oder bietet man eine Plattform, die eine direkte Verbindung ermöglicht?

„Die größte Herausforderung sind Mentalität und Kultur“

Sie sind verantwortlich für Innovationen bei Lonely Planet. Wo sind die Hürden auf dem Weg zu den multimedialen Produkten? Möglicherweise bei der Schere zwischen den Kosten einer Produktion und dem Preis, den die Kunden bereit sind, zu zahlen?
Die größte Herausforderung sind Mentalität und Kultur. Alles andere sind die gleichen Schwierigkeiten, mit denen man in der Geschäftswelt täglich umgehen muss, d.h. Kosten, Margen, Profite, usw. Stimmt es, dass wir in der Verlagswelt nicht mehr ganz synchron mit dem Markt sind – also dass ein Konflikt besteht zwischen dem, was etwas kostet, und dem, was die Leute dafür bezahlen wollen? Durchaus, aber solche Probleme bekommt man eigentlich immer ganz gut in den Griff. Auf der anderen Seite ist es doch viel schwieriger, die Einstellung und die Kultur zu ändern.
Wie verändern multimediale Reiseführer die Art, wie wir reisen?
Das tun sie noch nicht. „Soziale Führer“, wie Wenzani, können einem Orte zeigen, die man sonst vielleicht verpasst hätte. Aber die Art, wie wir reisen, wird viel eher durch Kriege oder etwa ökonomische Veränderungen bestimmt als durch den eigentlichen Reiseführer.
Wie stellen Sie sich die Zukunft der multimedialen Verlegens vor, besonders im Reise-Segment?
Da wird eine große Veränderung auf uns zukommen, sobald die Roaming-Gebühren für Handys und Tablets zurückgehen und mehr Reisende ihre Inhalte live über Smartphones, Tablets, Laptops und Bücher beziehen. Die Nutzer können dann die Informationen von einer Vielzahl von Anbietern nahtlos untereinander kombinieren und so neue, bessere Inhalte zur Lösung ihrer Probleme erhalten.
„Ich verfolge sogar die Entwicklungen bei den Autobauern“
Wo lernen Sie Neues über die Trends aus der Verlagswelt und darüber hinaus?
Mein RSS-Feed besteht aus Technologie-Updates, medienrelevanten Nachrichten, Finanz-Nachrichten und vielem mehr. Für Anregungen und Ideen schaue ich mir die Spiele-Industrie an, das Musik- und TV-Geschäft, ich verfolge sogar die Entwicklungen bei den Autobauern.
Kommen Ihre Konkurrenten in erster Linie aus dem klassischen Verlagswesen oder aus anderen Industriezweigen?
In erster Linie kommen sie noch aus dem traditionellen Verlagswesen. Noch, aber nicht mehr lange.
Was unterscheidet Lonely Planet von anderen Anbietern von Reiseführern?
Der Hauptunterschied zwischen uns und den anderen liegt darin, dass wir unabhängig sind – wir beziehen keine Kommissionsgebühr, wenn wir Infos in unsere Guides aufnehmen. Und wir wissen, über was wir schreiben, weil wir wirklich rausgehen – wir schicken immer noch alle zwei Jahre Autoren los, um die Welt zu erkunden. 
Wenn Sie den Entwicklungsstand des multimedialen Verlegens von Lonely Planet oder der gesamten Branche mit den Stufen des Erwachsenwerdens vergleichen: In welcher Phase wären wir: Baby, Kleinkind, Kind, Teenager oder Erwachsener?
In der Baby-Phase, auf jeden Fall.
Interview: Siobhan O’Leary, Übersetzung: Torge Frühschulz, Daniel Lenz
Das Interview ist zuerst im „Frankfurt Academy Quarterly“ (FAQ) erschienen, dem exklusiven Medium der Frankfurt Academy (Konferenzmarke der Frankfurter Buchmesse). Es erscheint vierteljährlich und informiert über wichtige internationale Branchentrends. Hier kann die aktuelle Ausgabe heruntergeladen werden.

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