Die Entscheidung des
Bundesgerichtshofs (BGH) im Streit um § 52b UrhG zugunsten der
TU Darmstadt sorgt für unterschiedliche Reaktionen, von Zustimmung bis Protest. Gegenstand des jahrelangen Rechtsstreits des
Ulmer Verlags gegen die TU Darmstadt war die Anwendung der Urheberrechtsschranke §52 b UrhG. Der Ulmer Verlag klagte gegen die Vorschrift, die Bibliotheken erlaubt, ihren Nutzern digitalisierte Texte auch ohne Genehmigung des Rechteinhabers an elektronischen Leseplätzen zur Verfügung zu stellen
(buchreport berichtete).
Mit scharfer Kritik hat der hinter der Klage stehende Börsenverein reagiert. Dass Bibliotheken die Erlaubnis bekommen haben, ihren Bestand uneingeschränkt zu digitalisieren, damit sich ihre Nutzer die Bücher auf USB-Sticks kopieren oder ausdrucken können, schade den Wissenschaftsverlagen: „Das ist ein schwarzer Tag für Forschung und Lehre an deutschen Hochschulen“, meint der Vorsitzende des Urheber- und Verlagsrechtsausschusses des Börsenvereins, der Göttinger Wissenschaftsverleger Gerhard-Jürgen Hogrefe. „Wenn die Hauptzielgruppen wissenschaftlicher Werke – nicht nur von Lehrbüchern – sich gratis an den Download-Stationen der Bibliotheken versorgen, dann gibt es keine wirtschaftliche Basis mehr dafür, dass künftig solche Werke überhaupt noch entstehen können.“
Der Börsenverein will nun gemeinsam mit dem Ulmer Verlag prüfen, ob man gegen das Urteil Verfassungsbeschwerde einlege. Aus der Sicht des Börsenvereins bedeute die BGH-Entscheidung eine „vollständigen Enteignung“ der Verlage. In diesem Zusammenhang weist der Börsenverein auch darauf hin, dass die Verlage durch ein anderes Gerichtsverfahren finanziell belastet werden. Da der
Europäische Gerichtshof (EugH) derzeit grundsätzlich die Rechtmäßigkeit der Verteilungspraxis der
VG Wort prüft
(„Vogel-Verfahren“), erhalten die Verlage vorläufig überhaupt keine Ausschüttungen der Verwertungsgesellschaft.
Anders als der Börsenverein begrüßt der
Deutsche Bibliotheksverband die BGH-Entscheidung zu den elektronischen Leseplätzen. Der BGH gehe damit sogar noch weit über das Urteil des Europäischen Gerichtshofs hinaus, der den Bibliotheken in einem Vorabentscheidungsverfahren ebenfalls grünes Licht gegeben hatte, Werke ohne Zustimmung der Rechtsinhaber zu digitalisieren und und an elektronischen Leseplätzen bereitzustellen (
mehr dazu hier). Denn der BGH habe auf die Wechselwirkung der Paragraphen 52a (digitale Semesterapparate), 52b (Leseplätz) und 53 (Recht auf Privatkopie) hingewiesen. Für den Bibliotheksverband offenbar ein Signal, das §52a und §52b so ausgelegt würden, dass das Recht auf eine Privatkopie erhalten bleibe: „Dies ist für uns ein wichtiges Indiz hinsichtlich der Formulierung für eine Bildungs- und Wissenschaftsschranke, die diese Normen mit einander in Einklang bringen soll. Moderne Technik soll im rechtlich vorgegeben Rahmen nutzbar sein“, so die Einschätzung von
Oliver Hinte, Vorsitzender der Rechtskommission des Bibliotheksverbandes.
„Die Entscheidung macht auf mich den Eindruck, als könnten deutsche Gerichte nunmehr nachvollziehen, was die Aufgaben von Bibliotheken in der heutigen Zeit ist“, kommentiert der Verbandsvorsitzende Frank Simon-Ritz.
Wenn der Verleger Hogrefe meint, das aktuelle Urteil des BGH entziehe den Wissenschaftsverlagen die wirtschaftliche Basis, so sollte die Reaktion der Wissenschaft darin bestehen, konsequent auf das OPEN ACCESS – Prinzip zu setzen, und zwar ohne (!) Beteiligung der Verlage. Es ist nicht Aufgabe der Universitäten oder ihrer Bibliotheken, kommerziellen Verlagen den Fortbestand ihrer bisherigen Geschäftsmodelle zu sichern, sondern vielmehr, neue Forschungserkenntnisse einer möglichst großen Zahl von Interessierten frei zugänglich zu machen. Die bisherige restriktive Auslegung des Urheberrechts war ein Anachronismus und eine erhebliche Erschwernis für den Wissenstransfer in der Scientific Community ebenso wie auch für die akademische Lehre.