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ISCC – Kick-off für Blockchain-Anwendungen in der Medienbranche?

Die Medienindustrie blickt – wie viele andere Industrien – gespannt auf die Blockchain-Technologie und ihre Rationalisierungspotenziale. Das internationale Content Blockchain Project ist bereits einen Schritt weiter und entwickelt einen Identifier für digitale Medienprodukte. Denn für diese funktioniert die ISBN aus der Printwelt nur eingeschränkt, argumentiert Sebastian Posth, Digitalunternehmer und Partner des Projekts.

Im Interview im IT-Channel von buchreport.de (erstmals im „Bookseller“ veröffentlicht) erklärt Posth, welche Auswirkungen der ISCC in den nächsten Jahren auf den Buchmarkt haben könnte.

 

Blockchain-Unternehmer Sebastian Posth. Foto: Posth.

Sebastian Posth ist Berater und Unternehmer in der internationalen Verlagsbranche. Seine Firma „Publishing Data Networks“ liefert deutschen Verlagen nach eigener Auskunft erstmals valide E-Book-Marktforschung. Als Berater unterstützt Posth internationale Medienunternehmen in Projekten zu digitaler Innovation und Blockchain-Technologie. (Foto: Posth)

Die Blockchain hat als verteiltes und damit sicheres, unzensierbares und pseudonymes digitales Register für kommerzielle und nicht-kommerzielle Transaktionen auch großes Potenzial für Autoren und Verlage. Trotz einiger vielversprechender Anwendungen hat sie aber noch keinen breiten Einfluss auf die Branche. Könnte der ISCC das ändern? Der International Standard Content Code wurde im vergangenen Jahr von der Google-News-Initiative mitfinanziert. Eine erste Spezifikation wurde bereits veröffentlicht.

Was steckt hinter dem ISCC-Konzept?

Die Medienindustrie ist nach wie vor angewiesen auf traditionelle Identifier wie ISBN oder ISRC, die für physische Produkte wie zum Beispiel gedruckte Bücher, Zeitschriften oder CDs entwickelt wurden. Diese werden von Institutionen lizenziert und müssen manuell und kostenintensiv verwaltet werden. Sie übersehen viele der neuen Anforderungen des digitalen Handels, zum Beispiel nach Interoperabilität. Frei zugängliche Standard-Identifier, die speziell für die Verwaltung und den Vertrieb digitaler Inhalte konzipiert wurden, sind aber eine Grundvoraussetzung für effiziente Transaktionen in einer dezentralen und zunehmend heterogenen Medienlandschaft. Der ISCC, der International Standard Content Code, ist der erste offene generische Identifier für digitale Medieninhalte. Er kann zur Registrierung von Inhalten auf der Blockchain und auch in Off-Chain-Umgebungen verwendet werden.

Warum denken Sie, dass der ISCC dringend gebraucht wird?

Die Verbreitung, Lizenzierung und der Weiterverkauf digitaler Inhalte auf globaler Ebene ist heute ein sehr komplizierter und ineffizienter Prozess. Manuell verwaltete Identifier werden Inhalten oft unsystematisch und mehrdeutig zugeordnet, Metadaten oder Lizenzbedingungen sind häufig inkohärent und lose an den Inhalt geknüpft, sie werden in separaten (ONIX-)Dateien verteilt oder unterliegen individuellen rechtlichen Arrangements – all dies ist zeitaufwändig und fehleranfällig.

Der ISCC ist ein moderner algorithmischer Identifier mit einzigartigen Funktionen, der ausgeklügelte maschinelle Anwendungen ermöglicht. Man kann ihn auch verwenden, um Inhalte zu de-duplizieren oder ähnliche Inhalte zu finden. Er hat zwei entscheidende Merkmale, die Online-Transaktionen erleichtern:

Der ISCC ist ein „Fingerabdruck“ des eigentlichen Inhalts, der durch standardisierte Hashing-Algorithmen erzeugt wird. Er ermöglicht die dezentrale, eindeutige Identifizierung von Inhalten, sodass jeder, der Zugriff auf den Inhalt selbst hat, dessen ID auch offline auf jedem lokalen Gerät zuverlässig erstellen kann.

Wenn der ISCC in einem offenen und dezentralen Blockchain-Netzwerk registriert ist, können beispielsweise Rechteinhaber den Zugriff auf Titel-Metadaten und Lizenzinformationen on-chain und sogar off-chain ermöglichen. Infolge der untrennbaren Verknüpfung von Content, ID, Metadaten und Lizenzinformationen können Verkaufstransaktionen digitaler Medieninhalte einfacher und nahtloser gestaltet werden.

Der Online-Handel mit digitalen Inhalten wird gegenwärtig von wenigen großen Unternehmen dominiert. Die Blockchain-Technologie wird diese etablierten Strukturen verändern und die Art und Weise, wie Rechteinhaber ihre Werke verkaufen, radikal vereinfachen. Sie wird den Direktvertrieb an die Nutzer ermöglichen oder einen Vertrieb über neue Anbieter, welche diese neuen Technologien nutzen. Auf der Basis besserer und zugänglicher Identifier für digitale Inhalte wird ein hohes Innovations- und Effizienzpotenzial für das gesamte Ökosystem freigesetzt.

IT-Grundlagen und Technologien der Zukunft

Mehr zum Thema IT und Digitalisierung lesen Sie im IT-Channel von buchreport und den Channel-Partnern knk und Rhenus.
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Mit welchen Auswirkungen auf Verlage, Autoren und Leser rechnen Sie?

Moderne Identifier und Blockchain-basierte Transaktionen können alle Prozesse im Publishing-Ökosystem und bei den Teilnehmern in der Wertschöpfungs- und Vertriebskette rationalisieren. Dies wird sich positiv auf Entwicklung, Lizenzierung und Vertrieb von Inhalten auswirken. Darüber hinaus wird es auch neue Wege eröffnen, Content-Angebote zu kuratieren, Marketing zu betreiben und neuartige Reputationssysteme aufzubauen, während es gleichzeitig die Bindung der Konsumenten an große, zentralisierte Anbieter löst. Neue Geschäftschancen für Autoren, kleine sowie große Verlage werden entstehen, etwa durch Wachstum der Long-Tail-Absätze oder durch die weltweite Nutzung neuer Arten der Lizenzierung von Inhalten.

Wer ist das Team hinter dem ISCC?

Der ISCC-Identifikationsstandard wurde vom Content Blockchain Project entwickelt, das von einem Konsortium aus Verlags- und IT-Unternehmen sowie Juristen mit Sitz in Deutschland und den Niederlanden initiiert wurde. Im Jahr 2016 erhielt das Projekt eine erste Förderung durch die Digital News Initiative von Google, um die Möglichkeiten der Blockchain-Technologie für die Medienindustrie zu erforschen und Prototypen zu entwickeln. Im Rahmen des Projekts wurden und werden alle Projektergebnisse dokumentiert oder als Open-Source-Code zur Verfügung gestellt, sodass sie für jede Art von kommerziellen und nicht-kommerziellen Zwecken genutzt werden dürfen. Das Projekt ist auch offen für Interessierte und Partner aus der Branche, die sich eventuell beteiligen möchten.

Wie reagiert die Branche bisher?

Nachdem ich die Migration von Print zu Digital in den vergangenen 15 Jahren aus erster Hand erlebt habe, scheint mir, dass die Verlagsbranche vergleichsweise offen ist, sich über die Möglichkeiten der Blockchain-Technologie im Allgemeinen und des ISCC-Standard-Identifiers im Besonderen zu informieren. Viele Verlage, Distributoren und Einzelhändler beschäftigen sich intensiv mit den aktuellen Herausforderungen der Branche und bemühen sich um Verbesserungen. Diese könnten aus der Blockchain oder aus Innovationen wie dem ISCC resultieren.

Es ist sehr wahrscheinlich, dass die Blockchain-Technologie uns auf unabsehbare Zeit begleiten wird. Viele Wissenschafts- und Sachbuchverlage, digitale Vertriebe und Einzelhändler beschäftigen sich bereits damit. Einige haben sogar Arbeitsgruppen gebildet, um individuelle Ansätze und Geschäftslösungen für digitale Logistik, Peer-Reviews, Content-Lizenzierung, Rights Management oder andere Anwendungen auf Basis von Blockchain-Technologien zu untersuchen und konkrete Nutzungsszenarien zu entwickeln.

Was wird das größte Hindernis sein?

Neben einigen technischen Hürden ist der Standardisierungsprozess die größte Herausforderung für ein Projekt, das einen neuen globalen Standard für die Identifizierung digitaler Inhalte schaffen will. Der ISCC wird umso nützlicher sein, je mehr Anwender sich auf das vorgeschlagene Standardverfahren einigen, um die eindeutige ID des Inhalts zu erstellen. Um eine breite Akzeptanz zu gewährleisten, befasst sich unser Projekt mit einem formalen Standardisierungsprozess und stellt den ISCC bei Verlagen, Standardisierungsorganisationen und ISBN-Agenturen vor, mit dem Ziel, diesen bereits jetzt als ergänzenden Identifier für digitale Inhalte, also zusätzlich zur ISBN, zu nutzen.

Die Vermarktung und Kommunikation des Standards und seiner Vorteile für die Verlagswelt wird in den kommenden Monaten und Jahren eine fortlaufende Aufgabe sein. Wir befinden uns in den Anfängen der Blockchain-Technologie, und das Wissen darüber ist noch nicht in der Breite angekommen. Aber genau wie das Internet wird die Blockchain-Technologie die Art und Weise, wie Medienunternehmen Geschäfte machen, erheblich verändern.

Können Sie sich andere Auswirkungen der Blockchain auf den Medienmarkt vorstellen?

Das Content Blockchain Projekt sieht ein offenes und dezentrales Ökosystem vor, das sich mit Identifizierung und Lizenzierung von Inhalten und den Transaktionen auf der Blockchain befasst. Es soll als neue Schicht des Internets fungieren: als zensur-resistente, globale, digitale Infrastruktur für die kreative Community, die es erlaubt, digitale Medieninhalte anzubieten, zu verkaufen und zu lizenzieren und über das Netzwerk auszutauschen. Die Content Blockchain steht grundsätzlich jedem offen, der neue Anwendungen und Tools auf einer für Medieninhalte spezialisierten Blockchain entwickeln möchte. Es wird interessant sein – und bleibt abzuwarten –, welche verlegerischen Innovationen und welche Medien-Start-ups in diesem neuen Ökosystem entstehen werden.

Mit freundlicher Genehmigung des „Bookseller”. Die Fragen stellte Molly Flatt. Sie schreibt, wie Technik die Art und Weise verändert, wie wir arbeiten, denken und leben. Sie ist Mitherausgeberin von FutureBook, dem Tech- und Zukunfts-Blog des „Bookseller”.

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