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Winnetou zwischen Gut und Böse

Aus einer überschaubaren Kritik auf Instagram ist ein veritabler Flächenbrand geworden. Weil der Verlag Ravensburger einige Lizenzprodukte zum neuesten Film „Der junge Häuptling Winnetou“ aus dem Verkehr gezogen hat, ist nun nichts weniger als ein Kampf zwischen Gut und Böse im Feuilleton entbrannt, in den Kommentarspalten, in den sozialen Netzwerken, in denen der Begriff „sozial“ mindestens strapaziert wird. Durfte Ravensburger das? Eine Umfrage des britischen Meinungsforschungs-Instituts YouGov zu dieser Frage brachte erste Ergebnisse. 48% der rund 2800 Teilnehmenden gaben an, den Rückzug der Bücher für „voll und ganz falsch“ zu halten. Weitere 20% sagten, das sei „eher falsch“. Nur 4% hielten die Maßnahme für „voll und ganz richtig“. 

Ravensburger zieht »Winnetou«-Bücher zurück

Der Verlauf der bisherigen Diskussion deutet die Pole an: Hier sind Kindheits- oder Jugenderinnerungen betroffen, deren Verklärung verständlich und normal ist. In einer sich so rasch wandelnden Gesellschaft vermissen offenbar viele die Haltepunkte. Die Diskussion über die Bücher zum Film von Ravensburger ist längst eine Stellvertreterdebatte, in der die längst ausgetauschten Argumente und Klagen über „Cancel Culture“ oder Bevormundung aufgewärmt werden. Differenzierte Gedanken sind zu finden, aber müssen gesucht werden. Im österreichischen „Standard wird beispielsweise beschrieben, warum Karl May schon immer mit Abstand zu betrachten sei. 

Nun hat auch Lennart Schaefer, Mitglied im Berufsbildungsausschuss des Börsenvereins und früherer Nachwuchssprecher, Position bezogen. Er schreibt: „Es geht nicht um die Empörung einer Gruppe von Aktivisten auf Social Media, sondern um die Kritik der Betroffenen. Es gibt auch keine Zensur, weil nichts verboten wurde, sondern nur Rücksicht genommen. Es steht auch keine Bücherverbrennung vor der Tür, weil das aus einer Diktatur hervorgegangen ist und es gerade um das Gegenteil geht – um Vielfalt, darum, allen zuzuhören und alle verstehen zu wollen.“

Die aktuellen Debattenpunkte:

  • Laut „Bild“ hat die ARD die Lizenzen für die klassischen Winnetou-Filme mit Pierre Brice bereits 2020 auslaufen lassen und plant keine weiteren Ausstrahlungen mehr.
  • Baden-Württembergs Kultusministerin Theresa Schopper (Grüne)  frage in der „Heilbronner Zeitung“: „Kinderbücher von früher bedienen nun mal Klischees. Struwwelpeter ist schwarze Pädagogik pur. Sollen wir ihn deswegen verbieten?“
  • Im „SPIEGELkommentiert Samira El Ouassil: „Kritik? Na und! Was treibt Menschen dazu, jetzt erst recht Winnetou zu lesen, SUV zu fahren, heiß zu duschen und Layla zu huldigen? Es ist der Trotzstolz.“
  • Magnus Klaue schreibt in der „Zeit“ über „kuturelle Hochstapelei“: Karl May habe sich eine Kultur „herbeifantasiert“. „Mays Hochstapelei war erfolgreich, weil sie kulturindustriell organisierte Spinnerei ohne jede kolonialistische oder antikolonialistische Absicht gewesen ist. Ihn ausgerechnet dafür posthum bestrafen zu wollen, zeugt von Fantasielosigkeit und historischem Gedächtnisverlust, aber nicht von politischer Intelligenz.“
  • In der Berliner „taz“ heißt es, man müsse auch loslassen können. „Die Welt von Karl May gehört für viele zu lieb gewonnenen Kindheitserinnerungen. Das rechtfertigt aber nicht, gegenüber Unrecht und Rassismus blind zu sein.“
  • Im „Stern“ bezieht die in Peru geborene Laura Schäfer Position: „Ich habe ein Problem damit, wenn Menschen die notwendige Debatte darauf reduzieren, dass man ihnen ihr Kulturgut „Winnetou“ und Autor Karl May verbieten wolle. Es geht doch nicht darum, dass niemals mehr jemand ein „Winnetou“-Buch in die Hand nehmen soll. Vielmehr sollte es uns als diverser Gesellschaft darum gehen, einander aufzuklären. Es wäre doch wunderbar, wenn Schauspieler Tim Oliver Schultz, der im neuen „Winnetou“-Film mitspielt, mit seinen jungen Co-Stars und einem indigenen Influencer wie „Eagle Blackbird“ kindgerecht über das echte Leben der Natives in Amerika spricht. Außerdem könnte jedes „Winnetou“-Buch, egal ob für Jung oder Alt gedacht, mit einem Extra-Kapitel zur Geschichte der indigenen Völker ausgestattet werden.“ 

Das mediale Echo reicht bis in den hintersten Winkel der Republik und fast immer geht es um die Ambivalenz im Umgang mit klassischer bzw. in die Jahre gekommener Literatur. Stellvertretend ein Blick auf den NDR. Dort schreibt Peter Helling:

„NDR Literaturexpertin Katharina Mahrenholtz hat das Buch „Der junge Häuptling Winnetou“ gelesen: Auch wenn es sie wenig begeistert, hält sie die Debatte für oder gegen den Verkaufsstopp für überzogen. Trotzdem findet sie: „Es war schon ein bisschen blauäugig vom Ravensburger Verlag, so ein Buch im Jahr 2022 herauszugeben, weil einfach in den letzten Jahren sehr viel passiert ist. Es gibt inzwischen ein anderes Bewusstsein für solche Klischees, man hätte ahnen können, dass das nicht besonders gut ankommt, wenn man so ein Karl-May-Fantasie-Indianerland aus den 1890er-Jahren zu einer neuen Kindergeschichte zusammenrührt, also: hätte man ahnen können.“

Kommentare

2 Kommentare zu "Winnetou zwischen Gut und Böse"

  1. Was nützt die genaue Wiedergabe der Geschichte ohne pädagogischem Ansatz. Man braucht nicht unbedingt Nietsches Werk: „Vom Nutzen der Historie“ zu lesen, aber dieses Buch könnte helfen zu verstehen, warum Historie In einen pädagogischen Kontext gesetzt werden sollte. Ohne Gefühle und ohne Bauch versteht der Mensch die Geschichte nicht, sondern hakt sie nur unter „ferner liefen“ ab. Karl May hatte Fantasie und vermittelte den ausgebeuteten, fast ausgerotttetn, enteigneten, diskriminieren und ausgegrenzten Untermenschen als edlen, naturverbundenen und heldenhaften Indianer. Für uns junge Karl May Leser war diese Indianer Literatur eine Anleitung zur Menschlichkeit. Was will man mehr von einem Buch. Für mich war es noch viel mehr: Einstieg in die Anthropologie. Ohne Karl May wäre mein Interesse für Ethnobiologie und Ethnopharmazie sowie weltweite vergleichende Völkerkunde nie geweckt worden.

  2. Ich habe das Gefühl die Menschheit schnappt bald über, die sollten sich um wichtige Themen kümmern!!!
    W P

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