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Mein Schreibtisch: Ordnungsfimmel im Elfenbeinturm

In der Serie „Mein Schreibtisch“ stellen uns Autorinnen und Autoren ihre Arbeitsplätze vor. Diesmal zeigt Stefan Ulrich seinen Schreibtisch.

Foto: privat

Als ich ein junger Außenpolitik-Redakteur bei der „Süddeutschen Zeitung“ war, schaute eines Abends mein damaliger Chef in meinem Büro vorbei. Er gehörte zu jener Art Journalisten, die im Chaos auf ihrem Schreibtisch zur Höchstform auflaufen. Nun starrte er auf meine Schreibtischplatte. Neben dem Bildschirm lag nur ein Stapel mit Recherchematerial, ein Stift und ein Block, alles säuberlich ausgerichtet. „Das ist ja krank!“, brummelte mein Chef.

Krank oder harmlos neurotisch – an der Ordnung auf meinem Tisch hat sich nichts geändert. Da ich heute als freier Autor arbeite, steht er zu Hause unter dem Dach. Im Sommer wird es mediterran heiß hier, aber der Blick geht in baumbestandene Gärten, und das ist ein schöner Kontrast zur Technik in meinem Büro. Ein paar Zugeständnisse muss ich der modernen Welt nämlich machen. So haben sich auf meinem Schreibtisch zwei PC-Lautsprecher, ein Handy samt Ladegerät und ein Mikro samt Halterung breitgemacht. Außerdem steht da ein herzförmiger Teelicht-Halter aus schwerem Glas. Den hat mir meine Tochter zum Trost geschenkt, als ich 2013 nach acht Jahren als Auslandskorrespondent in Rom und Paris nach Hause zurückkehrte.

Außer dem Schreibtisch befinden sich in meinem Büro Fotos von meiner Familie und viele Bücher, die mir gute Laune machen und mich inspirieren. Über Italien und über das Reisen zum Beispiel. Ich fühle mich in Räumen mit Büchern am wohlsten. An der Tür hängt eine dreidimensionale Italienkarte. So muss ich, wenn ich beim Schreiben ins Stocken gerate, nicht jedes Mal zum Kühlschrank hinunterlaufen. Es reicht mir, mich vor die Karte zu stellen und mir künftige Italien-Reisen auszumalen. Für meine Figur ist das ohnehin besser.

Ich schreibe nie im Zug, im Garten oder im Wohnzimmer, sondern immer in meinem Arbeitszimmer. Im Stehen. Der Rücken. Ansonsten bin ich, im Gegensatz zu meinem Ordnungsfimmel, beim Schreiben ausgesprochen undiszipliniert. Ich arbeite mal morgens, mal nachts und mal um die Mittagszeit, mal viel und mal wenig, mal quälend langsam und mal schnell und wie im Rausch. Manuskripte verfasse ich dabei immer mit der Tastatur, niemals per Hand, denn meine Handschrift kann ich oft selbst kaum entziffern.

Stefan Ulrich (Foto: Robert Darch)

Mein Büro habe ich nicht exklusiv. Meine Frau macht darin unsere Steuererklärungen, meine Kinder auf Heimatbesuch schreiben hier ihre Seminararbeiten. Man könne sich unter dem Dach so gut konzentrieren. Das stimmt. Es ist ein bisschen wie ein Elfenbeinturm hier. Ich schreibe in aller Regel gern, sobald ich angefangen habe. Wenn ich länger nicht schreibe, werde ich unzufrieden. Zwischen dem Schreiben genieße ich es aber, im Garten zu arbeiten, für Familie und Freunde zu kochen, schwimmen zu gehen und Reisen zu planen. Wenn ich mich richtig belohnen will, weil ich mit einem Manuskript gut vorangekommen bin, hole ich mir ein Buch – mal Roman, mal Sachbuch –, setze mich in den Garten oder vor den Kamin im Wohnzimmer, beginne zu schmökern und höre nicht mehr damit auf.

Mein Schreibtisch – im buchreport.magazin 1/2023

Stefan Ulrich

Stefan Ulrich wurde 1963 in Starnberg geboren. Nach seinem Studium der Rechtswissenschaften mit Stationen in München, Freiburg und Studienaufenhalten in Rom und London absolvierte er ein Rechtsreferendariat in München. Bei der „Süddeutschen Zeitung“ durchlief Ulrich verschiedene Posten im außenpolitischen und Meinungs-Ressort. Seit Frühjahr 2021 ist er freiberuflicher Schriftsteller und Journalist. Sein Reise-Buch „Und endlich wieder Azzurro“ ist bei dtv erschienen, die früheren Bestseller bei Ullstein.

 

Bestseller

Titel (ET-Monat) – bester Platz

Und wieder Azzurro (6/2022) –12

Bonjour la France (8/2013) – 7

Arrivederci, Roma! (2/2010) – 2

Quattro Stagioni (4/2008) – 3

Quelle: SPIEGEL-Bestseller   

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