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Jeder Einzelne ist gefordert!

Günter Wallraff (Foto: NDR) ruft zu einem Amazon-Boykott auf. Der Enthüllungsjournalist, Buchautor (aktueller Titel: „Aus der schönen neuen Welt“) und gelernte Buchhändler prangert die Arbeitsbedingungen bei dem Online-Riesen sowie dessen Marktmacht an. Seinen Verlag Kiepenheuer & Witsch hat er jetzt dazu bewegt, Amazon nicht mehr mit Wallraff-Titeln zu beliefern – bis zu seinem Auftritt in der letzten „Anne Will“-Sendung (hier zu sehen) wusste der 70-Jährige gar nicht, dass seine Bücher dort erhältlich sind. Im Interview erklärt Wallraff seine Motive.

Wie kommt es, dass Sie bei „Anne Will“ nicht wussten, dass Ihre Bücher über Amazon verkauft werden?
Ich habe einige Defizite, was das Internet angeht, und lasse mir da zuarbeiten. Für mich ist wichtig, dass meine Bücher verbreitet werden; wie das im Einzelnen geschieht, weiß ich nicht. Amazon war für mich bis jetzt nur ein Thema wegen der Arbeitsbedingungen, die dort herrschen.
Sind Ihre Buchverkäufe über Amazon für Sie „schmutziges Geld“?
In gewissem Sinne schon. Da ich immer mehr darüber erfahre, was das System Amazon ausmacht, bin ich in einem echten Gewissenskonflikt. Wenn sich, wie jetzt im Deutschlandfunk zu hören war, selbst Leiharbeiterfirmen geweigert haben, Arbeitskräfte an Amazon zu vermitteln, weil sie deren Verträge als sittenwidrig betrachteten, dann sagt das doch alles. Ich habe mit meinem Verlag Kontakt aufgenommen und gefordert, dass dieser meine Bücher nicht mehr an Amazon ausliefert. Es sind ja nicht nur die miesen Arbeitsbedingungen der Mitarbeiter von Amazon. Hinzu kommt die existenzielle Gefahr für den stationären Buchhandel, zumal der Online-Konzern derzeit an der Buchpreisbindung sägt und mit seiner Marktmacht eine Monopolstellung anstrebt, die unsere kulturelle Vielfalt gefährdet.
Was ist zu tun?
Jeder Einzelne ist gefordert, etwas an dem System zu ändern. Mein Appell an die Verbraucher lautet: Geht in die Buchhandlungen, die liefern schon am nächsten Tag das bestellte Buch. Geht auch in die anderen Fachgeschäfte und kauft dort ein, sonst veröden unsere Innenstädte völlig. Wer nur auf „billig, billig, billig“ und „schneller, am schnellsten“ achtet, ist am Ende der Angeschmierte. Das Leben verkümmert, die zwischenmenschlichen Kontakte ohnehin, und dann lebt man in einer Gesellschaft, die immer mehr an Huxleys „Schöne neue Welt“ erinnert und die man so nie gewollt hat.

Die Folgen der Amazonisierung der Wirtschaft haben Sie schon im vergangenen Jahr erlebt, als Sie für mehrere Monate in die Rolle eines Paketauslieferers geschlüpft sind …
Richtig. Amazon liefert seinen Kunden ja einen großen Teil der Bestellungen – darunter alle Bücher – ohne Berechnung von Versandkosten. Die Fahrer der Paketdienste müssen oft für  900, 1000 Euro diese ganzen Sachen ausliefern und sind dann häufig 12 bis 14 Stunden unterwegs. Sie sind die letzten in der Kette. Was die direkt bei Amazon Beschäftigten betrifft: Da müssen wir dem Konzern klipp und klar sagen, dass wir von ihm erwarten, dass sich die Arbeitsbedingungen grundlegend ändern, sonst wollen wir mit Amazon nichts mehr zu tun haben. Ich habe am Beispiel UPS erlebt, dass öffentliche Kritik positive Folgen haben kann – und man macht trotzdem noch gute Gewinne. Wenn jetzt immer mehr Menschen auf Distanz zu Amazon gehen, so, wie ich das jetzt mache, dann wird sich hoffentlich auch bei Amazon Grundlegendes ändern.

Wie hat man bei KiWi auf Ihren Wunsch reagiert, Ihre Bücher künftig nicht mehr an Amazon zu liefern?
Der Verlag akzeptiert meine Entscheidung, und er hat Verständnis dafür, dass ich dies gegen meine finanziellen Interessen und – so sehe ich das – auch gegen die momentanen Interessen meines Verlags durchsetze.
Ihr Verleger, Helge Malchow, sagt, dass er mit Amazon weiter zusammenarbeiten werde …
Darauf habe ich leider keinen Einfluss. Aber für mich muss ich doch eine Entscheidung treffen. Parallel zu meinem persönlichen Amazon-Boykott versuche ich, den öffentlichen Druck auf Amazon hochzuhalten, damit der Konzern das Problem nicht aussitzen kann, sondern die Ausbeutung seiner Mitarbeiter beendet.
Sie stellen sich aber nicht persönlich ans Amazon-Paketband?
Wer weiß. Jeder, der eingestellt wird, und die nehmen ja auch über 50-Jährige, könnte ich sein.
Die Fragen stellte Ingo Schiweck

Kommentare

12 Kommentare zu "Jeder Einzelne ist gefordert!"

  1. Mike Schrade | 8. Mai 2014 um 2:35 | Antworten

    Seit froh das es so jemanden gibt der am Thema dran bleibt…klar verdient der sein Geld….genau wie die meisten von uns…aber neben nicht mit geschlossenen Augen 😉

  2. wallraff soll ja angeblich ein buch herausgeben zu diesem thema und was war mit seiner putzhilfe? da war wohl auch einiges nicht so sauber…..

  3. Es werden wohl keine 50 jährigen eingestellt, zumindest nicht zur festeinstellung oder als nur als freelancer, das ist fact, im weihnachtsgeschäft werden wohl auch keine personen über 40 eingestellt – in der regel – ausser über das arbeitsamt mit zwei wochen probe und täglicher kündigungsfrist.

  4. Selbst heute, am 23.09.2013, kann man die Bücher ganz bequem bei Amazon bestellen …

  5. Chango Changer | 6. Mai 2013 um 18:51 | Antworten

    Hallo Günter,

    es ist natürlich sehr edel, wenn man sich als Autor Sorgen darüber macht, wie seine Bücher vertickt werden.

    Was jedoch an den Anschuldigungen wirklich war ist, müsste man über eine beschreibende Recherche darstellen und den Käufer der Bücher von Amazone berichten.

    Eine strukturierte Untersuchung über diese Gesellschaft.

    Hier wären gute Journalisten gefragt.

    Schließlich kann es nicht sein, dass man sich halb tot arbeitet, 10 – 12 Stunden für eine Entlohnung die gerade mal ein bisschen höher ist als HartzIV.

    Der Betrug an unserer Gesellschaft muss endlich aufhören.

    Das ist ein Problem, dass nicht nur bei Amazone existiert.

    Wenn man die Zeitarbeitfirmen anschaut, die in den vergangenen Jahren fette Beute gemacht haben, und die man mit moderner Zuhälterei vergleichen kann, so ist es kein Wunder, wenn die eh schon so niedrig gedrückten Löhne auch bei: sagen wir mal „seriösen Firmen“ Einhalt gewähren.

    Das Problem ist nicht nur ein Problem von Amazone, sondern ein Problem unserer Gesellschaft.

    Die fehlerhafte Politik hat dazu geführt, dass die Kontingente des Arbeitsmarktes von den Zeitarbeitfirmen gefressen werden und die Arbeit der Arbeitsämter ist so schlecht, weil sie die Menschen nicht progressiv, vorausschauend beraten und schulen.

    Durch die 2-Euro-Jober bereitet man es vor, Menschen für 6,- Euro tariflich zu bezahlen.

    Der Verkauf des 2-Euro-Jobber als echter Arbeiter.

    Es wird den Menschen suggestiert, dass sie gefälligst für 1- oder 2 Euro arbeiten sollen, weil sie bekommen schließlich Geld vom Staat.

    Es wird jedoch außer Acht gelassen, dass dieses Geld eine Bindung unserer sozialen, demokratischen Rechtsstaatsordung ist.

    Das Problem liegt jedoch bei den Arbeitsämter die jährlich über einen Etat von etwa 130 Milliarden verfügen.

    Die Arbeitsämter bringen keine Vorschläge, sind langatmig, nicht geschult, verdrossen, bekommen dafür aber ein gutes Gehalt von unseren Steuergeldern.

    Das mag vielleicht Stammtischgewäsch sein aber widerlegen Sie mir erst einmal diese Aussage.

    Die kurzsichtige Politik sorgt dafür – genauso wie sie damals um den Wechselkurs D-Mark,DDR-Mark gewürfelt haben – oder die Banker die Gelder freigiebig hinausgeworfen haben.

    Doch vielleich haben diese Politiker auch mal Glück gehabt, weil sie aus versehen den Euro eingeführt haben.

    Was ich meine ist, was der Günter ansprechen will ist nicht nur das Problem mit Amazone, sondern dass wir endlich begreifen bzw. das die Politik begreift, das der Arbeitnehmer mehr geschützt werden muss.

    Die Arbeitskraft ist mehr als nur ein Arbeiter-Maschine. Sie ist ein Mensch.

    Ein Arbeiter, der 160 Stunden im Monat arbeitet ,sollte mindestens 2000 Euro im Monat bekommen – aber netto. Also Brutto 3000 Euro, also gehen 1000 Euro wieder an den Staat zurück.
    Also, angefangen mit den Hilfsarbeitern.

    Wie soll man das finanzieren – schreien sie wieder, die Lügner.
    Vielleicht erst mal damit anfangen, die rechtlichen Rahmenbedingungen zu schaffen, die die 20 Milliarden an Gelderflucht – ich sage nicht Steuerhinterziehung – die sich jährlich ansammeln, zu vereiteln.

    Gruß Chango !
    Auf meiner homepage kann man sich ins Gästebuch eintragen.
    newgeneration1111.de.tl

    Ach übrigens: Günter, hast Du schon ein Buch über Obdachlosigkeit geschrieben. Hab´ mir mal sagen lassen.

  6. Bei Anne Will am 27.2.13 wurde Herr Wallraff zum Thema Amazon darauf angesprochen, dass mit seinem Namen bei Amazon 732! Einträge unter seinem Namen erscheinen.
    Er meinte, er werde – nur schon aus ethischen Gründen – mit seinen Verlegern dies umgehend besprechen und ändern. Heute, am 13.3.13 sind es immer noch 732 Suchergebnisse…
    Wie meistens: wenn es um den eigenen Geldbeutel geht, dann ist die Ethik plötzlich nicht mehr so entscheidend…

  7. Jörg Braunsdorf | 7. März 2013 um 17:38 | Antworten

    Zustimmung Herr Wallraff! Ich wünsche mir darüberhinaus, daß die Verlag in Deutschland Amazon klarmachen, daß sie nicht bereit sind 55 – 60 % Rabatte zu zahlen, denn diese Wettbewerbsverzerrung gegenüber dem Sortimentsbuchhandel ist nicht zu akzeptieren. Zum Glück haben wir die Preisbindung und damit ein Steuerungsinstrument, an dem auch die Krake nicht vorbeikommt. Klar, daß er die torpediert. Die Buchhandlungen akzeptieren Grundrabatte, Reiserabatte, Staffelrabatte und Barsortimentsrabatte. Das muß auch für das Internet gelten. Hier sind die Verlage und natürlich der Börsenverein gefragt.

  8. Heinz Wertheim | 7. März 2013 um 15:07 | Antworten

    Hoffentlich weist Herr Wallraff auch alle Buchhonorare zurück, die aus Verkäufen stammen, wenn Amazon seine Bücher jetzt übers Barsortiment zieht. Oder Amazon sollte alle Wallraff-Titel auslisten (ihm zuliebe) und dann möchte ich kein Geschrei wegen „Zensur“ hören!

  9. Peter Hellinger | 7. März 2013 um 14:31 | Antworten

    Zum Glück verschickt Herr Wallraff auch seine Bücher nicht via DHL oder GLS oder sonst einen Paketdienstleister (hat er ja auch schon angeprangert). Und selbstverständlich werden alle Praktikanten im Verlag und Produktionskette bezahlt. Und die Druckmaschinen stehen sicher auch nicht in Lettland, Tschechien oder gar im fernen China.

  10. Ich habe gerade geguckt: Noch kann man seine Bücher aber kaufen.

  11. Gregor Keuschnig | 7. März 2013 um 11:00 | Antworten

    Wie sieht es denn mit den Vorwürfen gegen Wallraff bzgl. Sozialleistungsbetrug aus?

    • na ja da ist ja wohl auch der ehemalige Mitarbeiter dran beteiligt…übrigens weise ich darauf hin, dass es bislang nur Ermittlungsverfahren gibt……

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