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Aus der Not geborene Zweck-Partnerschaft

Kaum jemand kennt den den deutschen E-Book-Markt besser als Nina Kreutzfeldt. Seit 2001 beschäftigt sich die Hamburgerin mit E-Books, im gemeinsamen Dienstleistungs-Unternehmen mit ihrem Vater Hans Kreutzfeldt  (Kreutzfeldt digital, hier mehr), zwischenzeitlich auch als Inhalte-Chefin für Europa beim kanadischen E-Book-Anbieter Kobo. Im Interview mit buchreport.de steckt die Beraterin das Feld für Tolino (hier mehr) ab: Wo sind Chancen und Risiken? Funktioniert ein Schulterschluss von Wettbewerbern? Wo zeigt Amazon offene Flanken?
Tolino soll die deutsche Antwort auf Amazon sein. Wo sehen Sie Chancen und Hürden?
Die Chancen liegen auf der Hand: Die Allianz kann Kräfte bündeln, und es besteht die reale Möglichkeit, dass sie ihren gemeinsamen Anteil am wachsenden E-Reading-Markt nicht nur verteidigt, sondern – wenn es gut für sie läuft – den  globalen Wettbewerbern auch wieder ein paar Prozentpunkte abringen kann.
Allein könnte wohl keiner der Partner die Investitionen stemmen, die notwendig sind, um auf dem schnelllebigen E-Book-Markt technisch wettbewerbsfähig zu bleiben. Zudem dürfte sich die Allianz zutrauen, gemeinsam E-Reader-Stückzahlen an die Leserin und an den Leser zu bringen, für die sich die Entwicklung eines eigene E-Readers lohnt, der dann direkt in Asien zu günstigeren Konditionen eingekauft werden kann.
Dies ist jedoch zugleich die erste Hürde: Um sich am Markt durchzusetzen, muss der Tolino shine in punkto Qualität und Preis mit Geräten wie dem Kindle Paperwhite und dem Kobo Glo mithalten. Und auch nach dem Launch muss eine schnelle Weiterentwicklung sichergestellt sein. Damit Tolino im Innovations-Wettrennen mit den globalen Mitspielern bestehen kann, braucht es einen Geldgeber, der es auch künftig mit frischem Geld versorgt. Diese Rolle kommt vermutlich besonders der Deutschen Telekom als Technologiepartner zu.

„Integration der Shops und Telekom-Cloud als Herausforderung“

Bei den globalen Wettbewerbern können Kunden zwischen mehreren Geräten auswählen und ihre E-Books über Apps auch auf Smartphones und Tablets lesen, wobei Bücher und Anmerkungen auf allen Geräten synchronisiert werden und eine Vielfalt an Features das digitale Lesen bereichert. Dies ist die Messlatte, die Kunden an Tolino anlegen werden. Sehr bald sollte es daher auch Tolino-Apps für iOS und Android geben, und der Tolino shine könnte der Beginn einer Gerätefamilie werden. Bestehende Apps der Mitglieder der Allianz sind dann vermutlich ein Auslaufmodell.
Wo sehen Sie technische Herausforderungen?
In der Integration zwischen den einzelnen Shops und der Telekom-Cloud. Technische Einzelheiten sind hierzu noch nicht bekannt, aber vermutlich müssen vorhandene Kundenkonten der einzelnen Shops migriert bzw. gespiegelt werden, damit existierende E-Book-Kunden der Partner von Anfang an von der neuen Plattform profitieren können. Eine solche Integration ist eine komplexe Aufgabe, nicht zuletzt, da Datenschutzgesetze die aktive Zustimmung der Kunden notwendig machen. Man darf gespannt sein, wie elegant und wie nutzerfreundlich dies gelöst wurde.
Im stationären Geschäft miteinander konkurrieren und im Netz sich verbünden, geht das?
Die Partner der Allianz wollen gleichzeitig Wettbewerber bleiben, ja. Wie stark lassen sie sich gegenseitig in die Karten schauen? Für die Zukunft von Tolino wird mit entscheidend sein, ob sie nach der anfänglichen Euphorie über den gelungenen Schulterschluss auch künftig an einem Strang ziehen, wie Entscheidungen getroffen werden und ob es ein Gleichgewicht zwischen den Mitgliedern gibt – oder womöglich ein besonders finanzstarker Partner die anderen dominiert. 

„Ist Amazon angreifbar? – Wenn, dann jetzt“

Ist Amazon angreifbar?
Wenn, dann jetzt. Der E-Book-Markt entwickelt sich nach wie vor sehr dynamisch. Viele deutsche Kunden, die künftig E-Books kaufen werden, haben sich noch nicht fest für einen Anbieter entschieden. Solange sie keine gewachsene Kindle Bibliothek besitzen, haben die anderen Buchhändler sie noch nicht ans Amazon-Ökosystem verloren.  Dennoch: Dass die Allianz sich zusammengefunden hat, zeigt auch, wie ernst die Lage ist: Es ist sicherlich kein „freiwilliges“ Bündnis von Freunden, sondern – zugespitzt formuliert – eher eine aus der Not geborene Zweck-Partnerschaft. Ähnlich einer politischen Koalition sind die Interessen nicht homogen, die Partner vereint jedoch der gemeinsame Gegner. 
Ob Tolino Amazon angreifen kann, wird davon abhängen, ob und wie die anstehenden Herausforderungen bewältigt werden, und ob es gelingt, Tolino als starke Marke aufzubauen. Dies setzt ein massives Marketing voraus, denn heute ist Tolino noch komplett unbekannt. 
Für viele Verlage dürfte der Start von Tolino eine gute Nachricht sein. Schafft es die Allianz, den Marktanteil von Amazon im E-Book-Markt zu reduzieren bzw. nicht weiter wachsen zu lassen, so stärkt dies auch die Verlage bzw. wirkt einer Entwicklung entgegen, bei der sich im Kräfteverhältnis zwischen Verlagen und Amazon die Macht weiter verschiebt.
Wo sehen Sie offene Flanken von Amazon?
Die Kindle-Welt ist weiterhin eine Insellösung. Bisher profitiert Amazon davon, dass im Kindle Store gekaufte E-Books nicht bzw. nicht ohne weiteres auf E-Readern anderer Anbieter gelesen werden können. Diese fehlende Offenheit ist jedoch potenziell eine offene Flanke für das Unternehmen, das in den letzten Wochen in der öffentlichen Wahrnehmung nicht immer geliebt wurde. 
Für Kunden, die bislang viele ihrer Bücher im stationären Buchhandel bzw. auch online bei den führenden deutschen Buchhändlern gekauft haben, ist das gewachsene Vertrauen und positive Image ein Pluspunkt dieser Anbieter. Können die deutschen Buchhändler mit einer E-Reading-Lösung aufwarten, die ähnlich attraktiv ist wie die von Amazon, Kobo oder Apple, so besteht eine realistische Chance, dass Kunden „ihrem“ Buchhändler auch beim Kauf von E-Books die Treue halten.
Dies setzt allerdings voraus, dass Tolino nicht lediglich die Lösungen der globalen Anbieter hinterherrennt und sie kopiert, sondern sich in einzelnen Punkten auch bewusst davon abhebt. Dies kann über eigene technische Innovationen geschehen, aber z.B. auch über andere buchhändlerische Akzente oder exklusive Inhalte in den angeschlossenen Shops. Gleiches gilt für einen möglichen Verzicht auf DRM.

„Ich rechne mit einer Konsolidierung der Plattformen“

Thorsten Schliesche von Napster meint, die E-Book-Branche habe sich nicht auf Standards geeinigt, deshalb wachse der Markt langsamer als er es könnte. Es herrsche eine „totale Verwirrung beim Kunden“. Teilen Sie seine Meinung?
In der Frühzeit des E-Book-Marktes gab es sogar noch deutlich mehr Formate bzw. Standards. Zwei davon sind übrig geblieben: Epub als der offenen Branchenstandard und Amazons Mobipocket-Format (azw). Von „totaler Verwirrung beim Kunden“ würde ich nicht sprechen. Eher von einer unangenehmen Intransparenz – der Kunde merkt oft zu spät, dass seine E-Books bei manchen Anbietern eingesperrt sind. 
E-Books in den beiden Formaten finden sich heute in drei Welten wieder: in den geschlossenen Ökosystemen von Amazon und Apple (iBooks nutzt Epub, dennoch können Endkunden im iBookStore erworbene Bücher nur auf Geräten der Firma aus Cupertino lesen) und der offenen, vielfältigen aber bisher eher inhomogenen Welt der Händler, die auf Epub setzen.  Zu der dritten Gruppe zählt neben nationalen Playern mit Kobo übrigens auch einer der großen globalen Retailer.
Ich teile Thorsten Schliesches Meinung in Bezug auf DRM und Preismanagement. DRM hemmt den ehrlichen Kunden und wirkt als Bremse auf dem legalen Markt. Ein Gedanke hierzu: Bietet eine E-Reading-Cloud neben der Datenspeicherung zusätzliche Features, so können diese als positiver Anreiz zusätzlich zum Kauf ermuntern. Richtig ist auch, dass wir nicht noch mehr kostenlose Inhalte brauchen, aber eine bedachte, flexiblere Preisgestaltung für E-Books dem Markt zusätzlichen Schub verleihen kann.
Erwarten Sie eine Konsolidierung der E-Book-Anbieter?
Ich rechne mit einer Konsolidierung der Clouds bzw. der Plattformen. Die Wahrscheinlichkeit ist hoch, dass dies mit einer Konsolidierung der E-Book-Anbieter einhergeht. Es gilt die Aussage, dass Tolino auch weiteren interessierten Buchhändlern offen steht. Je nachdem, wie hoch die Hürde für den „Beitritt“ für mittlere oder gar kleinere Buchhändler ist, könnte durch Tolino eine größere Vielfalt auf Seiten der Buchhändler erhalten bleiben. 
Vermutlich haben zumindest die Buchhändler unter den aktuellen Partnern der Allianz kein großes Interesse daran, allzu viele weitere Wettbewerber ins Boot zu holen. Somit wird es durch den Start von Tolino mittelfristig wohl eher zu einer weiteren Konzentration der E-Book-Anbieter kommen. Aber dies muss nicht so sein: Es sind auch Lösungen denkbar, mit denen Tolino die Schwelle für Neueinsteiger senken könnte. 
Auf dem Musikmarkt werden Flatrates immer wichtiger. Wie reizvoll sind perspektivisch Medien-Flatrates, die Buch, Film und Musik umfassen?
Endkunden könnten daran sicher Gefallen finden, aber ich sehe bisher nicht, wie ein Flatrate-Modell aussehen könnte, das auch für Autoren und Verlage gerecht und reizvoll ist. Dennoch werden sich auch im E-Book-Bereich zusätzliche Geschäftsmodelle durchsetzen. Was die Vielfalt dieser Modelle angeht, ist die Musikindustrie der Buchindustrie aktuell noch weit voraus. 
Aufgrund des anderen Charakters des Mediums Buch können dies aber auch andere Modelle sein. Neben Ansätzen im E-Book-Ausleihe (Skoobe und Co.) finde ich auch z.B. auch Modelle à la Total BooX interessant, bei denen ein Buch nach Lesefortschritt bezahlt wird.
Die Fragen stellte Daniel Lenz

Kommentare

1 Kommentar zu "Aus der Not geborene Zweck-Partnerschaft"

  1. Sehr geehrte E-Book-Expertin, liebe Redaktion,

    Sie schreiben: „iBooks nutzt Epub, dennoch können Endkunden im iBookStore erworbene Bücher nur auf Geräten der Firma aus Cupertino lesen.“

    Das ist leider nicht wirklich korrekt. Wie Sie völlig richtig schreiben, nutzt iBooks einen offenen Standard (ePub). Sofern Bücher ohne DRM (Kopierschutz) in den iBookStore eingestellt werden, können die beim o.g. Konzern erworbenen E-Books daher auch auf jedem Lesegerät, welches ePub verarbeitet, gelesen werden! DRM ist seitens des Unternehmens aus Cupertino nicht obligatorisch, sondern fakultativ. D.h. die Entscheidung, ob ein Titel mit oder ohne DRM veröffentlicht wird, obliegt einzig und allein dem Verlag/Rechteinhaber.

    Mit freundlichen Grüßen, K.L.

    P.S. Es gibt bereits einige Verlage, die sich gänzlich gegen DRM oder für ein „weiches“ DRM entscheiden (darunter auch ein prominenter deutscher Publikumsverlag) und dem Nutzer damit alle Freiheiten in Bezug auf das von ihm genutzte Endgerät lassen. Anzumerken bleibt allerdings, dass der Nutzer im iBookStore leider (noch) nicht erkennen kann, ob ein E-Book mit DRM ausgezeichnet ist. D.h. er muss sich zuvor anderweitig informieren.

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