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br: „Feuer“ im falschen Format

br: „Feuer“ im falschen Format

Bereits vor dem Zieleinlauf in das Weihnachtsgeschäft 2011 zeichnete sich ein Gewinner aus dem Technologie- und Medien-Bereich ab: der „Kindle Fire“. Die Redaktion von buchreport.de hat das Amazon-Tablet getestet.

Wie viele Geräte Amazon  aktuell vom Kindle Fire verkauft, wird unter der Decke gehalten. Doch zumindest die Aussage, dass man derzeit pro Woche über eine Million Exemplare der gesamten Kindle-Familie verkaufe und das Tablet das meistverkaufte Produkt über alle Kategorien von amazon.com ist (hier mehr), zeigt die Dimensionen.

Hierzulande ist das Amazon-Tablet ein großes Thema auch in der Buchbranche, doch da sich der Vertrieb bislang auf die USA beschränkt, ist „Fire“ noch der große Abwesende.

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Der Hamburger Software-Entwickler Heubach Media (der auch unsere buchreport-App entwickelt hat) hat der Redaktion ein Fire-Tablet für ein paar Tage zum Testen zur Verfügung gestellt, vielen Dank an dieser Stelle. Nachfolgend die Ergebnisse.

Kosten-Nutzen

Am Anfang eines jeden Vergleichs sollte der Fixpunkt stehen, soll heißen: Gegen wen tritt der „Kindle Fire“ an? Und welchen Zweck soll er erfüllen?

Schon nach wenigen Minuten der Nutzung ist klar: Das Amazon-Tablet ist zumindest kein direkter iPad-Rivale. Glänzt das Apple-Gerät als Allround-Tablet, das sowohl bei der Medien-Nutzung als auch Spielen punkten kann, ist der Ansatz von Amazon viel radikaler, da die Devise lautet: Medien, Medien, Medien. Natürlich kann sich der Nutzer Apps aus dem Android-Store herunterladen (was beim Test nicht geklappt hat, vermutlich wegen der Nutzung aus Deutschland heraus) und im Web surfen – doch wohl nicht zufällig sind diese Funktionen auf dem Start-Bildschirm ganz weit rechts angesiedelt, während „Newsstand“ (Presse), „Books“ und „Music“ vorne stehen. Daher dürfte dem Nutzer das Fehlen von Kamera und Mobilfunkmodul nicht weiter schmerzen – zur Lektüre oder zum Filmesehen sind diese Features überflüssig.

Nicht nur die Navigation ist diesem Zweck geschuldet. Das Regal auf dem Start-Screen sortiert, anders als der iPad, nicht nach Apps, sondern Medieninhalten. Hat der Nutzer zuletzt im Houellebecq-Buch gelesen, steht das Buch vorne, dahinter dann ein Musik-Stück und vielleicht ein Film. Tappt der Nutzer auf das Symbol des Medien-Inhaltes, wird automatisch das passende Programm gestartet.

Dies relativiert alle Tests, die auf das Fazit hinauslaufen, dass es das Kindle-Tablet nicht mit dem iPad aufnehmen könne. Das stimmt zwar, aber Amazon hat eine andere Zielrichtung.

Auf der Kosten-Seite muss ebenfalls differenziert werden. Zwar bringt Amazon das Tablet mit dem Kampfpreis von 199 Dollar auf den Markt. Vor dem Hintergrund, dass der Onliner aber allen Berechnungen nach nicht viel oder sogar gar nichts an der Hardware verdient – die Analysten von iSuppli haben errechnet, dass das Unternehmen pro Tablet rund zwei Dollar Verlust macht –, müsste der Vergleichspunkt das Tablet eines Wettbewerbers (der nicht auf die Hardware-Marge verzichtet und auf „Loss Leading“ setzt) zum Verkaufspreis von vermutlich „300 Dollar plus“ sein.

Wie sich der Fire dabei schlägt, kann in diesem Test nicht erörtert werden, da kein Tablet dieser Preis-Kategorie vorliegt. Verglichen mit dem Weltbild-Tablet, das preislich mit 160 Euro auf Amazon-Niveau liegt, aber konzeptionell ein iPad sein will, wird das Amazon-Gerät optisch eleganter und haptisch viel wertiger.

Haptik

FotoTrotz des hohen Kunststoff-Anteils (gegenüber der Metall-Optik des iPad) überzeugt der Fire, man hat nie den Eindruck, ein „billiges“ Tablet in der Hand zu halten. Zu diesem Eindruck mag beitragen, dass Amazon, anders als andere Andoid-Tablets, auf Knöpfe (bis auf den „Power“-Knopf) verzichtet. Auf der Rückseite ist ähnlich wie beim Kobo-E-Reader eine dicke Hartgummi-Schicht angebracht, die zwar das Gewicht des Geräts erhöht, aber praktisch ist. Auffällig ist grundsätzlich, dass das Gerät relativ schwer ist – das 2,7 Zoll größere iPad, das auch schon als schwer gilt, wiegt rund ein Drittel mehr.

Hardware/Software
Welcher Prozessor und wie viel Arbeitsspeicher im Fire arbeiten, ist nicht bekannt. Grundsätzlich arbeitet das Tablet aber flott, Bücher und Filme werden schnell geöffnet, die automatische Umschaltung zwischen Landscape- und Portrait-Modus ist sogar schneller als auf dem iPad.

Der Bildschirm wirkt entgegen anderer Tests nicht weniger brilliant als der des iPad. Wer auf dem iPad ungern länger liest, wird auch beim Fire über ermüdete Augen klagen. Dies ist möglicherweise jedoch nur eine Frage der Gewöhnung, zumal ein Nachtlese- sowie ein Sepia-Modus auch empfindliche Augen schont.

Der Nutzer des Tablets merkt kaum etwas davon, dass er ein Android-Tablet in der Hand hält. Die Software-Oberfläche aus dem Hause Google wurde bis ins Detail verändert – besser gesagt: verbessert. So fehlt beispielsweise Googles Marketplace für Apps, was offenbar dem Zweck des Amazon-Tablets entspricht: Medien-Shopping über Amazon. Die radikale Vereinfachung, mit einem Medien-Regal im Zentrum aller Aktivitäten, ist Kennzeichen der Bedienoberfläche.Systemeinstellungen können zwar vorgenommen werden, sind aber relativ versteckt und also sekundär.IMG_0565

Wenig auffällig ist der eigene Browser, der zwar gelegentlich ein bisschen mehr ruckelt als der auf dem iPad, ansonsten aber in einer Liga mitspielt. Vor- oder Nachteile der „Silk Browser Technologie“ (Amazon speichert Daten aus dem Netz auf eigenen Servern, wodurch das Surfen im Netz wesentlich schneller werden soll) können nicht festgestellt werden.

Format

Der erste Eindruck: Der Fire (7 Zoll) hat gegenüber dem iPad (9,7 Zoll) das handlichere Format. Vermutlich wird das Amazon-Gerät daher viel stärker mobil – im Sinne von unterwegs: in der Bahn, usw – genutzt. Was auf den zweiten Blick allerdings stört, ist das vergleichsweise „schmale“ Format. Nutzt man das Tablet im Landscape-Modus, muss man beispielsweise bei der Lektüre von Büchern sehr häufig umblättern; beim Surfen im Internet ist der Ausschnitt ebenfalls störend klein. Gleiches gilt für die Lektüre von Zeitschriften und Zeitungen, die in der Regel nicht für das Fire-Format optimiert wurden.

Medien

Verglichen mit Apple ist die Integration der „Wolke“, des Speichers von Medieninhalten auf den Amazon-Servern, weitaus besser gelöst. Unter „Bücher“ kann der Nutzer ganz oben im horizontalen Menü auswählen, ob er ein Buch aus dem Geräte-Speicher oder der Cloud auswählen möchte – was den 8 Gigabyte kleinen Speicher entlastet.

IMG_0566Beim Umblättern der Buchseiten hakt der Fire ein wenig, was vor allem beim direkten Vergleich mit der Kindle-App auf dem iPad auffällt, der Lesefluss wird aber kaum merklich unterbrochen. Dass das Umblättern nicht auf Wunsch animiert werden kann, mag einige Leser stören, fördert auf der anderen Seite aber auch den Lesefluss und die Konzentration auf den Inhalt. Highlights und Notizen lassen sich intuitiv und komfortabel setzen, beim Schreiben von Notizen im Portrait-Modus ist die durch das Display bedingte kleine Tastatur gewöhnungsbedürftig. Die komfortable Suchfunktion innerhalb des Buches, in Google und/oder Wikipedia ist neben dem Wörterbuch ein attraktiver Zusatznutzen für den Leser.

Ähnlich gut gelöst wie auf dem iPad ist die Anbindung an das Nutzerkonto. Loggt sich der Kunde mit seiner Amazon-ID ein, werden automatisch die bereits gekauften Medieninhalte angezeigt und zum (wiederholten) Download angeboten.

Was beim iPad von Apple immer wieder gelobt wird, die gute Integration in die hauseigene Software (iTunes, iBooks), erfüllt Amazon somit ähnlich gut, perspektivisch vielleicht sogar besser, weil Amazon das gesamte Tablet auf die Mediennutzung zuschneiden kann, während sich Apple offen gegenüber anderen Funktionen/Anbietern zeigen muss. Bei Büchern, Hörbüchern (Audible als 100%-Tochter) und Musik greift Amazon bereits auf eigene Shops zurück; bei Filmen setzt Amazon auf die Kooperation mit dem Streaming-Anbieter Netflix (was im Test nicht unter die Lupe genommen werden konnte, da dies aus Deutschland nicht funktioniert), bei Web-Musik/-Radio dockt Amazon Pandora an.

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Fazit

Insgesamt überzeugt das Kindle Fire vor allem durch die Konzentration auf das – für Amazon, aber sicherlich auch für die meisten Tablet-Nutzer – Wesentliche: Zeitschriften, Zeitungen, Bücher, Musik und Videos sowie die starke Verzahnung mit den hauseigenen Shopping-Angeboten. Entstanden ist ein benutzerfreundliches, weil intuitiv und komfortabel zu bedienendes, Tablet.

Natürlich konkurriert der Fire nicht mit dem iPad. Aber: Vor die Alternative gestellt, ein multifunktionales Tablet oder ein Tablet mit allen wesentlichen Funktionen zu einem günstigen Preis zu kaufen, könnten sich viele Nutzer für Letzteres entscheiden. Und somit letztlich auch für Amazons Shopping-Portal.

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