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Vom Data Discman zum multimedialen Digitalbuch – eine Geschichte des E-Books

Die Geschichte des E-Books beginnt nicht erst 2007 mit dem Start von Amazons Kindle-Programm. Die Wurzeln reichen viel weiter zurück. Die Geschichte des Digitalbuchs im chronologischen Überblick. 

Woher kommt, wohin entwickelt sich der E-Book-Markt? Lesen Sie dazu auch das Interview mit Hans und Nina Kreutzfeldt.

1990

Sony bringt mit dem Data Discman ein Gerät auf den Markt, mit dem CD-Roms gelesen und Bücher (hauptsächlich Nachschlagewerke) angezeigt werden können. Bertelsmann Electronic Publishing unter Geschäftsführer Hans Kreutzfeldt produziert 1991 einige Lexika für das Gerät, Langenscheidt steuert Wörterbücher bei. Ohne Erfolg, 1993 wird die Produktion des Geräts eingestellt.

1998

Der Rocket eBook-Reader kommt für 499 Dollar auf den Markt. Kapazität: bis zu 18.000 Buchseiten. Gewicht: 630 Gramm. Der Vertrieb läuft in den USA u.a. über Powell’s und Barnes & Noble. Das Gerät wird auch auf der Frankfurter Buchmesse präsentiert.

Rocket eBook – einer der ersten E-Reader weltweit.

2000

Zeitgleich zur Markteinführung des Rocket eBook in Deutschland (VK: 345 Euro) startet Bertelsmann den Shop bol.de, mit 600 E-Books im Angebot.

NuvoMedia, das Joint Venture hinter dem Rocket eBook, an der auch Bertelsmann beteiligt ist, wird im gleichen Jahr von dem Medienunternehmen Gemstar übernommen.

Die Verlagsgruppe Random House kündigt an, eine E-Book-Abteilung zu gründen.

2003

Hans Kreutzfeldt, seit 1997 als Digitaldienstleister selbständig (Kreutzfeldt Electronic Publishing) gründet in Deutschland www.ebookportal.de, einen Gesamtkatalog für digitale Bücher.

Mit Gemstar verabschiedet sich im gleichen Jahr einer der letzten Anbieter von reinen E-Book-Lesegeräten in Deutschland. Problem: zu wenig verfügbare E-Books, unattraktive Lesegeräte.

2004

Sony verkauft nur in Japan den ersten E-Reader mit elektronischer Tinte, den Librié. Kreutzfeldt entwickelt zusammen mit Libri „E-Book-Tickets“ für den Buchhandel, damit auch dieser vom Verkauf digitaler Bücher profitiert.

2005

libri.de nimmt E-Books ins Angebot.

2006

Franklin, seinerzeit führender US-amerikanischer Anbieter für E-Books im Handheld-Format, übernimmt Kreutzfeldt Electronic Publishing.

Sony unternimmt in den USA einen weiteren Reader-Versuch, diesmal mit dem PRS-500.

2007

Klobiger Pionier: der erste Kindle-Reader von Amazon.

Amazon startet das Kindle-Programm in den USA, ein großer E-Katalog plus eigenes Lesegerät (399 Dollar) – was sich rückblickend als entscheidender Schritt für die Durchsetzung des Digitalbuchs erweist.
Eine internationale Verlegerumfrage zeigt: Für 44% der Befragten ist das E-Book das Produkt mit dem höchsten Wachstumspotenzial.

2008

Der Börsenverein empfiehlt feste Preise für E-Books – was in der Branche kontrovers diskutiert wird.

Der britische Buchhandels-Marktführer Waterstone’s bietet den Sony Reader an.

Die Mayersche experimentiert in sechs Großstadt-Filialen mit dem „iLiad“-Gerät, spricht von einem bisher „zweistelligen“ Absatz. Man sammele zunächst erste Erfahrungen.

2009

Der Digitalverband Bitkom meldet: 2,2 Mio Deutsche haben die Absicht, sich 2009 ein digitales Buch zu kaufen.

Sony kooperiert hierzulande mit Thalia und dem Buchgroßhändler Libri (stellt als Backend-Partner die Titel zusammen, hostet sie, integriert ggf. den Kopierschutz und vertreibt auch das Gerät). Start des Vertriebs des PRS 505 im Frühjahr. Das Gerät wird auch von Verlagen (insbesondere Lektoren) intensiv eingesetzt.

Der weltgrößte Buchhandelsfilialist Barnes & Noble eröffnet den nach eigenen Angaben größten E-Book-Shop der Welt.

2010

Im April zeigt sich Carel Halff skeptisch mit Blick aufs E-Book: „Das ist ein großer Medienhype, die tatsächlichen Umsatzperspektiven sind begrenzt.“ Einen „riesigen Medienhype“ sieht auch Ralf Müller, damals Geschäftsführer bei Droemer Knaur. Kurz darauf meldet Amazon in den USA, inzwischen mehr elektronische als gebundene Bücher zu verkaufen.

Der US-Literaturagent Andrew Wylie will die bei den E-Konditionen geizigen Verlage umschiffen und direkt via Amazon die E-Books seiner hochkarätigen Autoren vertreiben. Die Verlage reagieren empört, Wylie rudert zurück.

Thalia stellt auf der Berliner Funkausstellung IFA den mit ausländischen Filialisten (u.a. Fnac) gemeinsam entwickelten E-Reader „Oyo“ vor, der in Deutschland exklusiv über die eigenen Vertriebskanäle vertrieben wird. Vorbild ist die (anfängliche) Erfolgsgeschichte von Barnes & Nobles mit dem „Nook“. Der Start zur Frankfurter Buchmesse ist erfolgreich, der „Oyo“ rangiert im Weihnachtsgeschäft unter den Top 5 der meistverkauften Produkte bei Thalia.

Bei Weltbild ist man überrascht über den Erfolg des mit viel Marketing-Power aufs digitale Feld geschickten Billig-Readers Aluratek Libre.

„Enhanced“ kommt auch bei belletristischen Verlagen an. Vorzeigeprojekt bei Bastei Lübbe ist der angereicherte Historienroman „Sturz der Titanen“, inklusive Bewegtbild und Internet-Links. Rowohlt kündigt zur Messe ein neues E-Book-Format mit Videos, Tonspuren und interaktiven Elementen an.

Der Börsenverein taxiert den E-Book-Umsatz im Käuferbuchmarkt (ohne Schul- und Fachbücher) auf 21 Mio Euro, 0,5% des Gesamtumsatzes dieser Teilbranche.

2011

Im April startet Amazon das deutsche Kindle-Programm, mit rund 25.000 deutschen Titeln; insgesamt umfasst das Sortiment 650.000 E-Bücher. Zum Jahresende jubeln Online-Händler – E- Reader gehören zu den Topsellern im Weihnachtsgeschäft; bei Amazon ist der eingedeutschte Kindle am 12. Dezember das meistgekaufte Produkt.

Eine Anwaltskanzlei aus Seattle reicht gegen Apple und fünf der sechs großen US-Verlage eine Sammelklage ein. Die Kläger werfen den Unternehmen vor, illegal die Preise von E-Books festzusetzen, um ihre „Gewinne zu steigern und Amazon dazu zu zwingen, seine Discountpreise aufzugeben“. Auftakt jahrelanger Debatten und Verfahren rund um das so genannte Agency-Modell, bei dem sich die Verlagsgruppe am Ende vergleichen und Apple viel Strafe zahlen muss.

Der kanadische E-Book-Dienstleister (Hardwareanbieter und Shop) Kobo startet in Deutschland mit eigenem Lesegerät und E-Sortiment.

Die GfK schätzt den E-Book-Anteil am Käuferbuchmarkt (ohne Schul- und Fachbücher) auf jetzt 1% – mit allerdings großen Unterschieden. Lübbe-Geschäftsführer Klaus Kluge: „Rund 50% der Umsätze, die wir mit Amazon generieren, gehen auf das Konto der digitalen Titel“.

2012

Im Februar starten die Bertelsmann-Töchter Arvato und Random House sowie die Verlagsgruppe Holtzbrinck die kostenpflichtige E-Book-Flatrate Skoobe.

2013

Weltbild, Thalia und Club Bertelsmann verbünden sich mit der Telekom als Technik-Partner gegen den E-Book-Marktführer Amazon. Tolino startet erfolgreich und sichert sich laut GfK in den folgenden Jahren bis zu 40% Marktanteil.

Belustigt bis empört reagiert der Buchhandel auf das Angebot von Amazon, die Kindle-Reader ins Sortiment aufzunehmen. Der Onliner wolle „die positive Einstellung der Käufer gegenüber dem unabhängigen Sortiment ausnutzen, um die Buchhandlungen dann in einer klammenden Umarmung zu ersticken und auszubluten“, warnt ein eBuch-Mitglied.

Laut GfK/Börsenverein wächst der E-Book-Umsatzanteil am Publikumsbuchmarkt auf 3,9% (+63%).

2014

Im Juni geht Amazon in den USA mit einer eigenen E-Book-Flatrate an den Start: Kindle Unlimited knüpft an die Kindle Lending Library an, die ausschließlich für „Prime“-Kunden gedacht ist. Bei der „Kindle Lending Library“ sind auch einige größere Verlage an Bord, hierzulande Bastei Lübbe, Oetinger und dtv. Insgesamt halten sich die großen Verlage aber bei den Amazon-Flatrates zurück.

Auch die Publikumsmedien greifen den Konditionenstreit von Amazon mit Hachette und Bonnier auf. Namhafte Hachette-Autoren schalten sich als „Authors United“ per offenem Brief an Amazon ein, darunter James Patterson, Stephen King und Donna Tartt.

Kindle Unlimited startet in Deutschland, einige namhafte Verlage sind vertreten, darunter Bastei Lübbe, Patmos, Herder, Gräfe und Unzer, Riva und Dotbooks sowie Rowohlt (mit einem Titel). Im Sortiment gibt es einige Überschneidungen mit dem Wettbewerber Readfy, der kurz zuvor gestartet war. Insgesamt sind knapp 50 000 deutsche Titel gelistet, das Gros davon Selfpublisher.

2015

Missbraucht Amazon seine Marktmacht? Im Juni eröffnet die EU-Kommission offiziell ein Kartellverfahren gegen den Online-Riesen. Im Fokus der Wettbewerbshüter stehen vor allem die E-Book-Konditionen. Konkret geht es vor allem um Meistbegünstigungsklauseln.

In den acht Jahren seit der Kindle-Einführung durch Amazon haben E-Books in den USA zwar rund ein Viertel des Marktes erobert, doch allmählich flaut die Dynamik wieder ab, die Nachfrage nach E-Readern sinkt. Eine Ursache: Die Preise der Verlagstitel sind in den Augen vieler Leser zu hoch – weshalb der Selfpublishing-Markt weiter wächst.

2016

Laut einer buchreport-Erhebung bezeichnen sich 46% der deutschen Buchkäufer als Hybrid-Leser, die sowohl Gedrucktes als auch Digitales lesen. Auch die E-Reader-Penetration fällt hoch aus: Ein Drittel der deutschen Buchkäufer (33%) verfügen über einen E-Reader, 76% haben in den vergangenen vier Wochen auch damit gelesen.

Im Rahmen der Ermittlung der „100 größten Verlage“ errechnet buchreport, dass der E-Book-Anteil am Publikumsmarkt gut 8% beträgt; bei deutschen Konzernverlagen wie Random House, Fischer, Rowohlt, Ullstein und Droemer liegen die E-Anteile bereits zwischen 12 und 16%.

2017

Was ist los mit dem E-Book? Mit dieser zentralen Fragestellung beschäftigen sich in einem Panorama-Interview von buchreport.magazin (2/2017) gleich mehrere Digitalstrategen: Sascha Heinen (Lübbe), Michael Döschner-Apostolidis (Holtzbrinck) und Ralf Biesemeier (Readbox). Ihre Gründe: Selfpublishing, Piracy und eine Sättigung des E-Reader-Geschäfts.

Diskurs der Digitalstrategen: Ralf Biesemeier, Sascha Heinen und Michael Döschner-Apostolidis (nicht im Bild) im Gespräch mit den buchreport-Redakteuren Daniel Lenz und Lucy Mindnich (v.l., Foto: Olivier Favre).

Kommentare

1 Kommentar zu "Vom Data Discman zum multimedialen Digitalbuch – eine Geschichte des E-Books"

  1. In 2008 publiziert die Akademische Verlagsgesellschaft AKA GmbH das Buch : E-Books 2008. Von den Anfängen bis zum Durchbruch. Eine verlagswirtschaftliche Studie‘ von Katherina Rapp. ISBN 978-3-89838-610-4

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