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Das Schulbuch ist nicht auf der Höhe der Zeit

Das durchschnittliche Schulbuch im Dienst ist leicht bis schwer in die Jahre gekommen, kann weder vom Lehrer noch von den Schülern ergänzt werden – und verzichtet auf Interaktion. Zu den Unzufriedenen gehören ein Lehrer und ein Medienfachmann aus Berlin, die ein Portal für freie digitale Schulbücher aufbauen wollen. Im Interview schildert Hans Hellfried Wedenig die Hintergründe und Ziele.
Über die Crowdfunding-Community Startnext möchten der Wirtschafts- und Sozialwissenschaftler Wedenig (Foto: rechts) und der Biologie- und Sportlehrer Heiko Przyhodnik (links) das erste deutschsprachige Online-Portal für freie und offene Schulbücher aufbauen: „Schulbuch-O-Mat“. Als Pilotprojekt soll ein Biologiebuch für die Klassenstufe 7/8 konzipiert werden, das im Schuljahr 2013/2014 vorliegt. 10.000 Euro sollen für den Anfang über Startnext eingeworben werden.
Warum sind Sie mit den Schulbüchern nicht zufrieden?
Das Schulbuch ist als Medium nicht auf der Höhe der Zeit. Es ist in erster Linie ein gedrucktes Medium, das maximal mit Bildern arbeitet, aber die Möglichkeiten ausblendet, mit denen Kinder und Jugendliche tagtäglich konfrontiert werden. Es gibt beispielsweise keine Interaktion mit dem Leser. Hinzu kommt, dass die Inhalte oft veraltet sind und Lehrer nichts aktualisieren oder ergänzen können.
Dies könnten Sie aber mit Hilfe von Apple, mit „iBooks Author“, der Software zur Konzeption von Fachbüchern.
Damit hat Apple zum Anfang des Jahres die Diskussion neu ins Rollen gebracht. Und es scheint ja auch so, als ob dieses Werkzeug für den US-amerikanischen Markt ein Traum ist. Aber man darf nicht vergessen, dass dies ein proprietäres System ist und Apple selbst über die Aufnahme von Titeln entscheidet. Uns stört, dass ein privatwirtschaftliches Unternehmen definieren kann, was in einem Schulbuch steht, wer es veröffentlicht und was es kostet – zumindest die Preisobergrenze festlegt.
In Kürze startet digitalesschulbuch.de, die Initiative von 27 Schulbuchverlagen.
Auch die Verlage setzen auf eine verschlüsselte und proprietäre Lösung – ich kann diese Bücher nur mit einem digitalen Schlüssel lesen und erhalte mit diesem Schlüssel nur bestimmte Rechte. Ich gehe nicht davon aus, dass der Nutzer aus den Büchern etwas kopieren und weiterschicken kann. Diese Lösung ist also auch sehr weit weg von einem offenen Ansatz, der in anderen Ländern gepflegt wird.
Warum sind die USA weiter?
Ich muss etwas ausholen: Vor eigenen Jahren erklärte Arnold Schwarzenegger, damals als Gouverneur des klammen Bundesstaates Kalifornien, dass Schulbücher frei werden müssten. Daraufhin wurde die CK12-Foundation gegründet, die dafür sorgen sollte, dass kostenlose Open-Source-Bildungsinhalte publiziert werden. Hinter der Initiative stehen Persönlichkeiten wie Wikipedia-Gründer Jimmy Wales. Das von CK12 erarbeitete Buchformat heißt „Flexbook“, ein freies und veränderbares Format. Die Autoren verlangen teilweise Geld dafür, dass ihr Buch ausgedruckt oder um zusätzliche Arbeitsmaterialien ergänzt wird. Auf der Plattform werden inzwischen alleine über 100 Grundschulbücher angeboten, teilweise mit multimedialen Inhalten – die deutschen Verlage werden in erster Linie ihre PDF-Bücher als Epub herausbringen.
Nur wenige deutsche Schulen sind mit Tablets oder E-Readern ausgestattet. Ein Henne-Ei-Problem?
Nein, weil zumindest außerhalb der Schulen viele Kinder und Jugendliche mit portablen Geräten ausgestattet sind. Mein Sohn hat im Urlaub zwei Bücher auf seinem Smartphone gelesen. Die Hardware wird immer günstiger. Es soll bald ein Google-Tablet für 100 Dollar geben; in Indien kostet ein Tablet in der Herstellung 60 Dollar, und der Staat gibt 30 Dollar dazu – die Eltern können das Gerät also für 30 Dollar erwerben. So viel kostet heute auch fast ein Schulbuch.
Das Beispiel Wikipedia zeigt, dass kollaboratives Arbeiten zwar funktioniert, aber die Zahl der Beiträger überschaubar ist. Was stimmt Sie zuversichtlich, dass bei Ihrem Projekt Lehrer und andere Autoren mitziehen werden?
„Zuversichtlich“ ist der richtige Begriff – denn sicher sind wir nicht, dass es funktioniert. Es wird nicht leicht, Autoren zu gewinnen und bei der Stange zu halten. Ich nenne aber ein Beispiel: In dieser Nacht schrieb eine Chemielehrerin aus der Nähe von Kaiserslautern, die unsere Initiative lobte und berichtete, dass sie ein digitales Chemie-Arbeitsbuch auf einer Wiki-Seite konzipiert habe. Sie schrieb: „Leider bin ich noch sehr einsam dort. Aber ich nutze es für meinen Unterricht. Neben der Einbindung aller möglichen Medien versuche ich auch, interaktive Tests zu verwenden“. Von solchen Initiativen gibt es Hunderte, wenn nicht Tausende, auf unterschiedlichsten Plattformen und teilweise sogar nicht-öffentlichen Servern geparkt. Wir möchten Lehrern und Autoren ermutigen, Autoren- oder Co-Autorenschaften verantwortlich zu übernehmen und sich gegenseitig ihre Materialien zur Verfügung zu stellen.
Wie werden die Schulbehörden reagieren?
Wir tangieren die Schulbehörden nicht. Es gibt zwar eine Schulbuchzulassung, die über die Kultusministerien der Länder läuft. Aber unser Ziel besteht nicht darin, mit einem E-Schulbuch diese Zulassung zu erhalten. In der Praxis arbeiten viele Lehrer ohnehin mit ihrem eigenen Material, egal ob dieses zugelassen ist oder nicht. Worauf die Lehrer jedoch alle achten und wonach sich auch die offenen Bücher richten sollen, ist der Rahmenlehrplan. Darin steht alles drin, was die Schüler in diesem Fach in zwei Jahren lernen sollten.
Die Fragen stellte Daniel Lenz

Kommentare

5 Kommentare zu "Das Schulbuch ist nicht auf der Höhe der Zeit"

  1. So, das ganz Unwahrscheinliche ist passiert – Crowdfunding hat über 10.000 Euro eingespielt.

  2. „Buchverlage (und deren qualifiziertes Personal) sollten aufwachen und diese Offenheit mitgestalten.“ – soso. Man beachte, „dass kostenlose Open-Source-Bildungsinhalte publiziert werden. Hinter der Initiative stehen Persönlichkeiten wie Wikipedia-Gründer Jimmy Wales.“

    Absehbares Ergebnis: kostenlose Inhalte – unbezahlte Produktion. Das „qualifizierte Personal“ der Buchverlage müsste schon extrem dumm sein, da mitzumachen, ohne vorher knallhart übers Geld zu reden.

    • Die Einstellung, erstmal sei „knallhart übers Geld zu reden“, ist genau die blinde Stelle, die mit dem Wort „aufwachen“ in der ersten Zeile gemeint ist. Denn vor lauter Angst um den Verlust des Status quo sieht man nicht die Möglichkeiten, die offene Kommunikation und Wissensweitergabe bieten können. Kein Vertreter offener Plattformen will irgendjemandem etwas Böses, und „Offenheit“ heißt nicht „kein Geld verdienen“. Wenn das manche Gegner verstehen würden, wäre meiner Ansicht nach viel Gutes und Wichtiges für die Zukunft unserer Gesellschaft möglich – gerade, wenn es um das Thema Bildung geht.

      • Bislang hatten die Schulbuchverlage die Lizenz zum Gelddrucken. Oligopol, nicht das geringste unternehmerische Risiko … – So gesehen höchste Zeit, dass sich hier was tut.

        Hinzu kommt wachsende Piraterie auch in diesem Bereich. Die Eltern schulpflichtiger Kinder sind wissen heutzutage, wo man sich die Sachen holt. Gegenmaßnahmen der Schulbuchverlage gegen die entsprechenden Plattformen fallen bislang nicht weiter auf.

        Insgesamt freilich auch das keine guten Nachrichten für den stationären Buchhandel.

  3. Endlich passiert etwas. Die UNESCO hat auf einem Arbeitstreffen im Juni 2012 weitere Grundlagen gelegt, damit OER (Open Educational Ressources) qualitativ und offen umgesetzt werden können.

    Polen hat gerade den Auftrag gegeben für drei Klassenstufen erste Schulbücher und -materialen unter Creative Commons zu produzieren.

    Berliner SPD hat gerade eine Entscheidung verabschiedet, dass die Berliner Grundschulen noch in dieser Legislaturperiode auf offene Lernmaterialen umstellen.

    Der schlicht peinliche Versuch der alten Schulbuchverlage statt hieran mitzuarbeiten ihre proprietären Geschäftsmodelle mit dem Portal „Digitales Schulbuch“ den Schülern und Lehrern weiterhin aufzuzwingen, zeigt wie hier die Angstperlen fliessen (statt Innovation mitzugestalten).

    Die Biologie der beiden ist der richtige Impuls. Und bei all den engagierten Lehrern bin ich mir sicher, dass es eine aktive „Community“ in Deutschland geben wird, die offene und qualitativ hochwertige Open Educational Ressources produzieren und weiterentwickeln werden. Buchverlage (und deren qualifiziertes Personal) sollten aufwachen und diese Offenheit mitgestalten.

    Digitale Lernmittelfreiheit heute!

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