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Steffen Meier: Verlage, die auf Startups starren

Steffen Meier: Verlage, die auf Startups starren

buchreport hat seinen jährlichen Zukunftstag unter dem Motto „Agil und kundenorientiert: Wie Verlage neue Geschäftsmodelle entwickeln und umsetzen“ veranstaltet. Dabei: Unternehmen wie Oetinger mit ihrer eigenen Softwaresparte. Der Evangelist Andreas Winiarski von Rocket Internet, der die Zukunft in „19-Jährigen, die für Ideen brennen“ sah, es ging viel um Startups und innovative Projektformen. Unabhängig davon, dass die Veranstaltung wirklich löblich interessant war, blieb am Ende aber doch irgendwie die Frage: Können Verlage Startup? Oder suchen Verlage vielleicht am Ende die Lösung ihrer Probleme bei den falschen Vorbildern?

Startups leben das Prinzip der Agilität und permanentem Open Beta. Schnelligkeit ist das Credo, kleine Projektteams arbeiten in kleinen iterativen Entwicklungsschritten, wiederholen permanent das Mantra von Scrum und Sprints. Nun ist es aber so, dass der Großteil der Verlage nicht am grünen Tisch just im Moment gegründet wurde. Im Gegenteil, die mitunter 50- bis 100-jährige Tradition mancher Häuser mit festen (zugegebenermaßen oft zu festen) Organisationseinheiten, mangelndem Innovationstransfer, Fixierung auf eine mehr und mehr veralternde Produktform und vieles mehr machen Verlage zu regelrechten Startup-Antagonisten. Und selbst beim besten Willen bedeutet Veränderung für Verlage schlicht Innovation im laufenden Betrieb. Und zwar ohne diesen zu stören.

Startups leben vom frischen Geldstrom der Investoren und sind Magnet für jedes Talent. Der durchschnittliche Verlag in Deutschland besteht aus drei bis fünf Mitarbeitern, hat eine knappe Finanzdecke und oft genug Probleme mit seinem Kernprodukt. Wie soll hier eine eigenständige Unit, möglichst mit jungen, engagierten Technikverstehern, entstehen, die sich für einen längeren Zeitraum aus dem täglichen Überlebenskampf ausklinkt und über die berühmt-berüchtigten „neuen digitalen Geschäftsfelder“ nachdenkt? Think-Tanks sind etwas, das sich in der Branche die überschaubar wenigen Verlagskonzerne leisten können.

Startups sind größtenteils technologiegetrieben. Die Personalkosten entstehen dort bei Software-Entwicklern, die immer auf dem neuesten Stand sind, gnadenlos den Hype Cycle leben und jetzt schon wissen, was einmal mit Google Glass und selbstlenkenden Autos anzustellen ist. Der letzte wirkliche Technologie-Shift der Verlage fand, seien wir doch einmal selbstkritisch, in der Mitte des 15. Jahrhunderts statt. Also lieber Finger weg von allem, was nach Technologie aussieht, nach dem Motto „Lasst die Umsetzung den jungen Wilden, wir kümmern uns um relevante Inhalte für unsere Zielgruppe“?

Das eigentliche Problem ist, dass heutzutage Content nicht wirklich unabhängig von Technologie gesehen werden kann. Ein Rückzug auf die Position eines reinen Inhalte-Erstellers würde nicht nur einen radikalen Verzicht auf große Teile der bisherigen Wertschöpfungskette von Erstellung (administrierend) bis Vertrieb und Handelsbeziehungen bedeuten. Die Frage wäre auch, wie sich ein solcher Inhalte-Ersteller zwischen Autor, den modernen Produktformen und den digitalen Marktplätzen positioniert, welchen Mehrwert er dann überhaupt noch generieren kann. Oder vielleicht sogar die Gefahr der eigenen Austauschbarkeit erhöht. Konkret: Wer wird die Produkthoheit haben? Der App-Entwickler und App-Markt-Experte oder der Verlag? Digitale Produkte funktionieren eben nicht wie die Buchproduktion in Form von standardisierten Auftragsvergaben an Druckereien. Der Kunde will zurückgespielt und einbezogen werden. Die rasante Technologieentwicklung insgesamt muss erkannt und korrekt eingeschätzt werden. Andere Medienformen wie Audio, Bewegtbild, Gaming und soziale Rückkanäle bis hin zu den Endgeräten müssen schon bei der Produktkonzeption berücksichtigt werden. Selbst auf technische banale Erzählformen wie der geläufigen Belletristik werden die Lesegeräte der Zukunft, das Smartphone und das Smart-TV, Einfluss nehmen.

Steht für Verlage über der Tür zur digitalen Zukunft also „Lasst, die ihr eintretet, alle Hoffnung fahren“? Offen gesagt: Vielleicht. Die Lösung für das Problem? Es gibt keine – jedenfalls keine allgemein in der Verlagsbranche übertragbare, die einem ohne eigene Mühen in den Schoß fällt. Am Ende sind die entscheidenden Faktoren ganz banale: Offenheit, Risikobereitschaft, Experimentierlust im Rahmen der eigenen Möglichkeiten, Nachhaltigkeit im Tun und fundamentales Wissen über die Zielgruppe. Und das sind keineswegs Eigenschaften, über die nur 19jährige Startup-Gründer verfügen.

Steffen Meier ist Leiter Produktinnovation und -marketing beim Dortmunder E-Book-Spezialisten Readbox.

Kommentare

2 Kommentare zu "Steffen Meier: Verlage, die auf Startups starren"

  1. Liegt die Wahrheit nicht dazwischen? Wenn das Erstellen von Inhalten schlicht erlernbares Handwerk ist, können die Techniker es kaufen bzw. nach ihren Wünschen bestellen. Dies entspricht zweifellos den meisten Büchern. Hat jedoch ein Urheber einen unverwechselbaren Inhalt, den viele haben wollen – dann müssen alle sich rundherum nach seinen Wünschen richten. Für einen Walter Moers macht jeder Verlag Kopfstand und hundert Techniker laufen meilenweit …

  2. Ich habe so meine Probleme mit Sprints. War in letzter Zeit an mehreren beteiligt. Viel Amateur-Delier, und am Ende funktioniert es irgendwie (nicht wirklich gut), weil dort, am Ende, wir (wenigen) Profis von Redaktion, Schlussredaktion, Grafik sitzen. Profund ist das nicht, aber etlichem Publikum scheint es zu genügen.

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