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Enorme Spielfreude und Erfindungslust

Jonas Winner hat über Spieltheorie promoviert und arbeitet als Fernsehautor. Als er von Amazons-Kindle-Direct-Publishing-Programm er­fuhr, beschloss er, seinen auf etwa 1200 Seiten angelegten Thriller „Berlin Gothic“ als siebenteilige E-Book-Reihe herauszubringen (hier mehr). Winner gilt als Beispiel für gelungene Selbstvermarktung. Im Interview spricht er über die Vorzüge von Amazon, Experimente und die eigene Vermarktung. 

Jonas Winner tritt am Donnerstag, 15. März, 16 bis 17 Uhr, im „Forum Leipziger Buchmesse digital“ bei einer buchreport-Podiumsdiskussion auf. Thema: „Brauchen Bücher und Autoren noch Verlage?“ Mit dabei sind Ina Fuchshuber (Droemer-Knaur, Neobooks), Egmont-Verleger Volker Busch und der Unternehmensberater Erhardt F. Heinold.

Wie viel verdienen Sie mit Amazon?
Über die deutsche Amazon-Plattform habe ich inzwischen seit September ca. 55.000 E-Books verkauft, derzeit sind es rund 1000 pro Tag. Zugleich werden meine E-Books auch auf der italienischen, englischen, französischen und spanischen Amazon-Plattform sowie über amazon.com verkauft, aber als deutschsprachiger Titel dort nur in kleineren Stückzahlen. Alles in allem kommt da einiges zusammen. Im 35%-Tantiemenprogramm bekomme ich bei Amazon 30 Cent pro Buch (kosten 0,89 Euro), in den anderen Shops, die ich über meinen Verlag Berlin Gothic Media beliefere, ist es etwas mehr. 
Wie läuft die Zusammenarbeit mit Amazon? 
Es ist alles sehr einfach. Im Kindle-Direct-Publishingportal kann ich meine Bücher hochladen, ihnen einen Klappentext und Titelbild geben, den Preis festlegen und die Kategorien, innerhalb der das Buch im Ranking auftaucht – Amazon lässt mir da vollkommen freie Hand. Und es geschieht unglaublich schnell. Wenn ich an einem Abend den letzten Polish eines „Berlin Gothic“-Bandes abgeschlossen habe, kann ich das Buch umgehend hochladen, wenige Stunden später ist es öffentlich und wird bereits verkauft. Das ist für jede andere Publikationsform unvorstellbar und ein riesiger Vorteil. Je früher eine Idee, ein Buch von mir herauskommt, desto besser. Dafür stellt Amazon eine bekannte, hervorragend gewartete weltweite Plattform zur Verfügung, ohne im mindesten Einfluss auf meinen Text zu nehmen. 
Ist Amazon Crossing oder Kindle Direct Pub­lishing ein Sprungbrett deutscher Autoren?
Ich kann mir vorstellen, dass nicht jeder darauf erpicht ist, als KDP-Autor herauszukommen. Ich selbst hatte vor meiner Veröffent­lichung bereits einen Thriller bei dtv und keine Berührungsängste. Es kommt mir so vor, als ob – auch in den Medien – noch erheb­liche Vorbehalte gegen die heranwachsende E-Book-Kultur und Amazon als Plattform bestehen. Ich halte diese Vorbehalte für un­begründet. Im Prinzip kann ich jedem nur empfehlen: Wenn Du wissen willst, ob die Menschen dein Buch lesen wollen, biete es doch einfach an!
Amazon bewirbt seine Autoren nicht so intensiv wie klassische Verlage. Besteht die Gefahr, dass diese Bücher im Rauschen der zahlreichen Buchtitel untergehen? 
Das KDP-Programm von Amazon ist ja kein richtiger Verlag. Es ist eher so etwas wie eine Vertriebsform. In der Tat bewirbt Amazon die bei KDP erscheinenden Bücher so weit ich weiß gar nicht. Aber wenn sich ein Buch gut verkauft, erscheint es in der Amazon-Bestsellerliste und wird auf diese Weise bekannt. Die Gefahr, dass ein Buch in der Angebotsfülle untergeht, besteht ja für jedes Buch. Ich glaube, dass bei E-Books letztlich nicht so sehr die Werbung ausschlaggebend ist, sondern das Buch selbst. Ist es gut, sagt jeder Leser seinen Freunden, dass sie es auch lesen sollen. Ist ein Buch viel beworben worden, aber jeder Leser rät ab, verkauft es sich nicht. Bei Amazon bekommt jedes Buch die Chance, zu zeigen, ob es den Menschen gefällt. Vielleicht ist es sogar so, dass das „System Amazon“, weil weniger Kosten vorab entstehen, weniger auf Werbung an­ge­wiesen ist als ein traditioneller Verlag. 
Wird es zunehmend wichtig, dass Autoren sich selbst vermarkten?
Ich habe vor ein paar Wochen die Balzac-Biografie von Stefan Zweig gelesen und ge­staunt, was Balzac innerhalb der Pariser Gesellschaft alles getan hat, um sich selbst zu vermarkten. Auch wenn der Vergleich gewagt ist: Es ist ja nicht so neu, dass die Selbstvermarktung zum Autorendasein da­zugehört. Beim E-Book spielt sicherlich eine gewisse Rolle, dass das Internet eine Reihe von sehr effizienten Mitteln bietet, um sich als Autor zu vermarkten, wobei ich den Be­griff nicht passend finde. Lieber würde ich sagen, dass das Internet einem Autor die Möglichkeit gibt, ohne Kostenaufwand mit seinen Lesern in einen Dialog zu treten – via Facebook, Blog, Twitter.
Wie verändert sich dadurch das Rollenverständnis der Autoren? 
Für mich gibt es nichts Tolleres, als E-Mails, Benachrichtigungen oder Kommentare von Le­sern zu meinen Büchern zu bekommen. Die Menschen nehmen Anteil und teilen mir mit, was die Geschichten und Ideen für sie bedeuten, bei ihnen bewirken. Nichts macht mir mehr Mut, als wenn mir jemand schreibt, dass ihm meine Bücher gefallen.  
Welche Rolle spielen multimediale Inhalte? 
Im vierten Band meiner „Berlin Gothic“-Reihe kommt eine Serie von sieben oder acht kleinen Zeichnungen vor. Hätte ich geplant, das Buch von einem Verlag herausbringen zu lassen, hätte ich mir die Frage gestellt, ob der Verlag ein Problem mit diesen Abbildungen hat. So musste ich die Skizzen lediglich in mein E-Book integrieren, was kein Problem war. Das ist nur ein einfaches Beispiel, aber es zeigt einen sehr schönen Aspekt des E-Book-Publishings: Man kann ohne Probleme am Computer verschiedene Medien mischen und in einer erstklassigen Qualität veröffentlichen. Vielleicht wird die Einfachheit dieses Produzierens manchen Kreativen in Zukunft dazu bringen, mehr mit Kombinationen unterschiedlicher Medien zu experimentieren. Möglicherweise macht nicht jede Kombination gleich riesigen Spaß, aber ich könnte mir vorstellen, dass man über kurz oder lang zu faszinierenden neuen Darstellungs- und Publika­tionsformen kommt, an die man heute noch gar nicht denkt.
Wie erfahren Sie als Autor die Umwälzungen in der Branche? 
Die Kombination E-Ink-Reader, E-Book und direktes Publizieren ist das, was für mich die gegenwärtige Umwälzung im Buch­markt ausmacht, eine Umwälzung, die in meinen Augen mit der Erfindung des Buchdrucks vergleichbar ist. Auch vor dem Buchdruck gab es schon Bücher, aber sie waren per Hand geschrieben, teuer und nur mühevoll zu vervielfältigen. Mit dem Buchdruck wurden sie billiger und konnten in höheren Auflagen hergestellt werden. Ähnliches ist jetzt mit dem E-Book und seinem Umfeld ge­schehen. Worum geht es mir als Autor? Da­rum, so viele Menschen wie möglich für meine Ideen zu begeistern. Das ist seit der aktuellen Revolution im Buchgeschäft ein­facher als je zuvor. Also bin ich ein großer Anhänger dieser Umwälzung. 
Müssen sich Verlage anders aufstellen? 
Das wissen die Verlage wohl selbst am besten. ch habe den Eindruck, dass vor ein paar Jahren im Fernseh- und Film-Geschäft noch eine größere Experimentierfreudigkeit geherrscht hat und in letzter Zeit vielleicht öfter ähnlich gestrickte Produktionen herauskommen. Dafür ist beim Buch-Medium eine enorme Spielfreude und Erfindungslust ausgebrochen. Ich denke, das führt dazu, dass gerade auch jüngere Menschen sich plötzlich wieder sehr für Bücher interessieren. Es ist wesentlich einfacher und kostengünstiger, mit einem Buch Neues auszuprobieren als mit einem Film. Die Möglichkeiten, die das Buch bietet, bisher unbetretene Fantasiewelten zu erforschen, sollten wirklich ausgelotet werden. Wenn ich ein großer Verlag wäre, würde ich ein E-Book-Label aufbauen, um das einmal ernsthaft auszuprobieren.
Die Fragen stellte Daniel Lenz
Zur Person: Jonas Winner
1966 in Berlin geboren, wuchs in Rom und den USA auf, arbeitete auf dem Bau, am Fließband und als Nachtportier, studierte und schloss mit einer Promotion über Spieltheorie ab. Er drehte Reportagen fürs Fernsehen und schrieb Drehbücher für ARD, ZDF, Sat.1 und RTL. 2011 debütierte er mit dem Thriller „Davids letzter Film“ bei dtv, seit August 2011 erscheint „Berlin Gothic“ als siebenteilige E-Book-Reihe bei Amazon, iTunes, Weltbild & Co, 2012 folgt bei dtv sein neuer Roman. Mehr über Jonas Winner auf jonaswinner.com.

Amazons Selfpublishing-Angebote

Seit April 2011 bietet Amazon das ursprünglich nur in den USA, Großbritan­nien, und Kanada verfügbare „Kindle Direct Publi­shing Programm“ auch für Deutschland, Österreich sowie weltweit rund 100 weitere Länder an. Verlage und Autoren können ihre Werke hochladen und als Kindle-Books über die Amazon-Plattform publizieren. Daneben lässt Amazon für das Programm „Amazon Crossing“ internationale Bücher – auch von deutschen Autoren – ins Englische übersetzen.

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