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»Mit Jellybooks lernen Verlage und Autoren die Leser kennen«

Reader Analytics können Verlage bei strategischen Entscheidungen unterstützen. Bild: Jellybooks

Reader Analytics können Verlage bei strategischen Entscheidungen unterstützen. Bild: Jellybooks

Die Digitalisierung des Buches hat alle gewachsenen Beziehungen im Publishing verändert: die zwischen Autoren und Verlagen, die zwischen Verlagen und Handel und die zwischen Handel und Lesern. Sie hat sogar direkte Beziehungen zwischen Lesern und Autoren gestiftet. Die E-Book-Konferenz der Medienakademie in München am 6. Dezember 2017 geht den geschäftlichen Fragen auf den Grund, die all diese Veränderungen aufwerfen. Andrew Rhomberg, Gründer und Geschäftsführer des Dienstleisters Jellybooks, erläutert im IT-Channel von buchreport.de, wie Reader Analytics nutzbare Beziehungen zwischen Verlagen und Lesern herstellen können.

Jellybooks setzt auf den Daten auf, die E-Book-Lesesoftwares über das Verhalten der User registrieren. Jellybooks wirbt in Zusammenarbeit mit den Kundenverlagen oder auf eigene Initiative Testleser für bestimmte Bücher – etwa für Bestseller, die noch nicht erschienen sind. Diese Testleser berechtigen Jellybooks zum Zugriff auf das Verhaltenstracking der Lesesoftware. Diese Auswertungen teilt Jellybooks mit den Lesern und den Verlagen. Die Leser-Interaktion endet mit einem personalisierten Fragebogen am Ende der Lektüre.

Jellybooks erfasst sogenannte „Key KPI“, also zentrale Kennzahlen wie vor allem

  1. Fertigleserate (welcher Prozentsatz der Leser, die ein Buch anfangen haben, liest zu Ende)
  2. Zufriedenheitsindex (entsprach das Buch den Erwartungen)
  3. Empfehlungsfaktor (würde der Leser das Buch Freunden empfehlen)
  4. Cover-Match-Faktor (passt das Cover zum Buch)
  5. Velocity (durchschnittliche Lesegeschwindigkeit mit allen Ablenkungen, Unterbrechungen und Pausen – wie stark fesselt das Buch den Leser)

Mit diesen 5 KPI drückt Jellybooks das Engagement des jeweiligen Lesers aus, aggregiert diese Werte und behauptet, damit bis zu einem gewissen Grad den Verkaufserfolg vorhersagen zu können. Jellybooks kann diese KPI nach Alter aufschlüsseln und damit zum Beispiel feststellen, dass die Fertigleserate um 30% abnimmt, wenn ein bestimmtes Alter überschritten wird, oder ob junge oder eher ältere Leser ein Buch weiterempfehlen.

Im Interview erläutert Rhomberg, wie Verlage und Autoren davon profitieren können.

Andrew Rhomberg, Gründer und Geschäftsführer des Dienstleisters Jellybooks

Mit Jellybooks bieten Sie den Verlagen „Reader Analytics“ an. Was ist das Prinzip?

Amazon kennt seine Leser wie kein anderer, aber wie gut kennen Autoren und Verlage ihre Leser? Jellybooks erschließt mit Daten für Leser, Autoren, Agenten und Verlage eine neue faszinierende Welt.

Wem soll das was bringen?

Jeder hat es schon erlebt: eine Verlagssitzung, in der Lektorat, Marketing, Presseabteilung und viele mehr hitzig diskutieren, wie das Buch positioniert werden soll. Wen es anspricht, ob ein großes Marketingbudget gerechtfertigt ist oder man vielleicht auf Sparflamme schalten soll. Soll man das Buch ins Herbst- oder ins Frühjahrsprogram aufnehmen, welches Cover, welche Verpackung ist richtig für das Buch. Jeder hat in der Buchbranche schon solche Meetings erlebt. Oft wird hier auf der Basis von Bauchgefühl, Vermutungen und Annahmen diskutiert. Jellybooks stellt Daten und Analysen bereit, die helfen, bessere Entscheidungen zu treffen, wie zum Beispiel die, das Marketingbudget auf jene Titel zu konzentrieren, die davon am meisten profitieren, das richtige Cover oder die richtige Verpackung (Titel, Genre Beschreibung, Klappentext, etc.) zu finden. Zu verstehen, wen das Buch wirklich anspricht und welchen Kunden man zu erreichen versuchen muss.

Es handelt sich hier nicht um abstrakte Analysen, sondern um ein Werkzeug, das zu besseren Entscheidungen führt, die richtigen Leser zu finden und mehr Bücher zu verkaufen. Am Ende können Verlage sich entscheiden, mit einer Investition von 500 bis 1000 Euro doppelt oder dreimal so viele Exemplare zu verkaufen, wie sie sonst verkauft hätten. Oder darum, 20.000 Euro Werbe- und Marketingbudget auf das richtige Buch zu verwenden, anstatt sie bei einem Buch einzusetzen, das davon nicht profitieren wird, weil das Leser-Engagement fehlt und damit kein Potenzial für Mundpropaganda vorhanden ist.

Wie viele Leser haben Sie inzwischen in Deutschland mobilisieren können, die mehr tun als nur mal zum Schnuppern zu kommen?

Bei jeder Testleseaktion im Jahre 2017 haben wir in Deutschland und in Zusammenarbeit mit dem Verlag zwischen 400 und 900 Leute pro Buch als Testleser angeworben. Von 55 bis 65% der Teilnehmer bekommen wir auch detaillierte Daten zurück. Der Rest liest entweder nicht oder überlegt es sich anders und bleibt anonym. Bis zu einhundert Lesern rezensieren auch das Buch, obwohl das absolut nicht verpflichtend ist. Wir freuen uns auch, wenn uns ein Leser nur die Lesedaten und den ausgefüllten Fragebogen zurückschickt.

E-Book-Previews und Einfluss auf Autor und Verlag motivieren Testleser. Bild: Jellybooks

E-Book-Previews und Einfluss auf Autor und Verlag motivieren Testleser. Bild: Jellybooks

Sie versprechen den Lesern einen so großen Einfluss auf Autoren und Verlage, wie sie ihn zuvor nie hatten. Legen Leser überhaupt Wert auf solchen Einfluss?

Die Leser freuen sich, Bücher kostenlos lesen zu dürfen, die noch nicht erschienen sind, und besser zu verstehen, wie sie selber lesen. Für viele Leser ist es auch motivierend, dass sie dem Autor und dem Verlag helfen, das Publikum besser zu verstehen. Testleser fühlen sich als Teilnehmer in einem Entwicklungsprozess. Eine andere Triebfeder ist es, von Autor und Verlag ernst genommen zu werden. In einen Dialog treten zu dürfen, der nicht mündlich sein muss, sondern in der Form von Lesedaten und passivem Beobachten abgewickelt wird.

Viele Leser probieren auch Bücher, die sie sonst nicht lesen würden, wir segmentieren aber die Resultate, um zu sehen, ob Leser, die viel im Genre lesen, sich anders verhalten als die, sonst nicht im Genre lesen. Das hilft uns und dem Verlag immens, und erlaubt uns zu messen ob ein Buch die Masse anspricht oder eher ein Nischentitel ist. Ein Buch wie Harry Potter war ein Riesenerfolg, weil es eine breite Masse von Lesern ansprach. So etwas kann man vor dem Erscheinungstermin objektiv messen.

Könnte es sein, dass Verlage Reader Analytics aufregender finden als die Leser selbst?

Wir werden ständig gefragt „Wann gibt es mehr Bücher?“ Wir haben mehr Nachfrage als Angebot. Natürlich profitieren Verlage sehr von Reader Analytics, aber Leser machen unglaublich gerne mit. Man sagt uns ständig, wie viel Spaß es macht. Testleser erzählen anderen auch ganz begeistert von ihrer Erfahrung mit Jellybooks.

IT-Grundlagen und Technologien der Zukunft

Mehr zum Thema IT und Digitalisierung lesen Sie im IT-Channel von buchreport und den Channel-Partnern knk und Rhenus. Hier mehr…

Experten aus anderen Marktforschungsbranchen fragen uns regelmäßig, wie viel wir den Testlesern zahlen, und unsere Antwort ist „Nichts. Wir bieten Testlesern ein kostenloses E-Book an – und dass jemand ihnen zuhört“. Wir wickeln den Prozess auch bewusst extrem transparent ab. Leser wissen, was wir machen, können die eigenen Daten sehen und vieles mehr.
Viele Leser wollen gern mehr darüber erfahren, was der Verlag an dem gelesenen Titel verändert, aber das dürfen wir leider nicht immer ausplaudern. Es wäre schön, wenn wir mehr darüber erzählen dürften. Auf der E-Book-Konferenz können wir auch nur ausgewählte Beispiele nennen. Da kann ich auch nicht immer sagen, von welchem Buch, welchem Autor oder welchem Verlag ich spreche.

Als Sie vor zwei Jahren Jellybooks ankündigten, fanden sich schnell prominente Testpartner unter den deutschsprachigen Verlagen. Haben Sie mittlerweile weitergehende Commitments einsammeln können?

Reader Analytics haben wir ursprünglich auf Anregung englischer Verlage, ganz spezifisch Penguin Random House, und mit Unterstützung des englischen Forschungsfonds „Innovate UK“ entwickelt.
Im Januar 2015 hielt ich eine Keynote auf der Digital Book World in New York City, wo ich auch Alexander Lorbeer vom Ullstein Verlag kennen lernte. In der Folge hielt ich Vorträge auf der Ullstein Uni in Berlin wie auch auf der Piper Akademie in München und dem Carlsen Campus in Hamburg (alles Mitglieder der Bonnier Deutschland-Familie). Dies führte dazu, dass Jellybooks auch eine deutsche Version von Reader Analytics entwickelte und mit Unterstützung der englischen Regierung Pilotprojekte in Deutschland durchführte. Alexander Lorbeer arbeitet früher bei Amazon und war einer der ersten, die das Potenzial von Reader Analytics erkannten. Es ist ihm und Siv Bublitz…

… jetzt Verlegerin bei den Fischer Verlagen…

… aber damals Verlegerin bei Ullstein, zu verdanken, dass Deutschland eines der ersten Länder ist, in denen wir Reader Analytics eingeführt haben. Maßgeblich geholfen haben aber auch Rita Bollig, Frank Sambeth und Nicole Geismann bei der Verlagsgruppe Random House und Michael Döschner, Josef Röckl und Jörg Pfuhl bei der Verlagsgruppe Georg von Holtzbrinck.

Seit Sommer 2016 ist das Tool kommerziell in Großbritannien, den USA und der Bundesrepublik verfügbar. In Deutschland haben davon nicht nur die Bonnier-Gruppe, sondern auch Bertelsmann, Holtzbrinck, Bastei Lübbe, DTV und etliche mehr Gebrauch gemacht, und die Zahl der Verlage, die es einsetzen, nimmt ständig zu.

In den US setzt auch Simon & Schuster Reader Analytics ein, wie auch wieder die Bertelsmanngruppe. In den UK stößt diesen Monat Pan Macmillan dazu, wiederum ein Mitglied des Holtzbrinck-Konzerns.
Im Frühjahr 2018 geht es dann auch in Skandinavien mit Egmont, Bonnier und anderen los, gefolgt von den Benelux-Staaten und Spanien. Frankreich und Lateinamerika stehen in 2019 an.
Piper zum Beispiel hat sehr aktiv in seiner Fantasy-Community fürs Mitmachen bei Jellybooks geworben.

Was übergeben Sie ganz konkret an Piper? Daten oder Interpretationen von Daten?

Es geht nicht um abstrakte Daten. Der Verlag kann in Echtzeit über das Onlineportal „Candy“ („Book candy for readers, data candy for publishers“ ist unser Motto) verfolgen, wie der Lesefortschritt ist, sowohl für das Gesamtpublikum wie auch für einzelne Leser. Ja man kann sich das Verhalten einzelner – pseudonymer – Leser anschauen. Wer liest ausschließlich am Wochenende, wer liest eine Stunde vor dem Einschlafen, wer liest bis tief in die Nacht? Wir hatten einmal einen Kriminalroman, den ein Viertel der Leser nicht weglegen konnte. Sie haben bis ein, zwei, ja sogar bis sechs Uhr früh durchgelesen.

Testleser-Werbung für Reader Analytics. Bild: Jellybooks

Testleser-Werbung für Reader Analytics. Bild: Jellybooks

Wir führen auch A/B-Tests durch, um zu sehen, welchen – unterbewussten – Einfluss das Cover auf die Leser hat. Wie wirkt sich eine dem Leser unbekannte Änderung des Covers auf Leser aus, ihr Leseverhalten, ihre Bereitschaft, das Buch zu empfehlen, und so weiter. Das Mundpropagandapotenzial für ein Buch hängt tatsächlich sehr stark vom Cover ab. Ganz egal, wie sehr Leser versichern, dass sie das Buch nicht basierend auf dem Cover auswählen, sie tun es doch. Das können wir objektiv erfassen, aber die Details zu diesem Thema gibt es auf der E-Book Konferenz, alles wird hier noch nicht verraten.

Es ist wichtig, darauf hinzuweisen, dass wir diese Daten auf den Leseapplikationen Dritter erfassen. Leser können also mit iBooks (Apple), Adobe Digital Editions oder verschiedenen Leseapplikationen für Android, Windows und Linux die E-Books lesen, es sind aber immer E-Books. Mit dem gedruckten Buch können wir leider keine Daten erfassen.

Was fangen Verlage mit den Erkenntnissen an?

Es gibt so viele Anwendungen, die kann man hier gar nicht alle aufzählen, wie findet man das richtige Cover, Titel, Beschreibung, wie positioniert man das Buch richtig?
Auch warum ein Buch, in das man hohe Erwartungen setzte, im Markt nicht ankam. Lag es am Inhalt, am Cover, an der Positionierung? Das können wir herausfinden und dann wird das Buch neu gelauncht. Solche Tests werden oft durchgeführt, wenn es erstmals im Taschenbuch erscheint.

Es geht auch darum, sehr früh zu identifizieren, was denn die „Renner“ sind, auf die man sich sinnvollerweise konzentriert.

Jellybooks wurde auch schon eingesetzt, wenn man sich von einem Autor trennen wollte. Da hat der Verlag vorher noch gemessen, wie stark eigentlich das Leserengagement war, statt sich nur auf Verkaufszahlen zu verlassen. Da gab es schon so manches „Aha-Erlebnis“, aufgrund dessen man zum Schluss kam: Eigentlich sollten wir mit dem Schriftsteller weitermachen, denn das Leserengagement ist eigentlich stark, aber die Leserschaft eine ganz andere, als wir uns das gedacht haben.

Wie ist das Feedback der Nonfiction-Verlage? Auch Sachbücher oder Lehrbücher könnten sich für Reader Analytics eignen.

In den letzten 18 Monaten drehte sich alles um die Belletristik. Im kommenden Frühjahr geht es dann auch mit dem Sachbuch und akademischen Verlagen wie MIT Press, der Verlagsabteilung des Internationalen Währungsfonds und anderen Sachbuchverlagen los, aber mit einer angepassten Methodik. Davon werde ich auf der E-Book-Konferenz mehr erzählen.

Wie finden Autoren Jellybooks?

Welcher Autor will nicht seine Leser besser kennenlernen? Natürlich kann ein Autor da schon manchmal nervös werden, aber Feedback stärkt den Schriftsteller, er schreibt ja für sein Publikum und nicht gegen das Publikum.

 

 

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