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Die Verteidigung des Wasserglases

Literatur-Prof. Stephan Porombka hat das klassische Lesungsformat kritisiert (hier). Hamburgs Literaturhaus-Chef Rainer Moritz (Fotomontage) warnt dagegen vor „Brimborium“:

Als „Dauerbefeuchter“ bezeichnet die Mineralwasserindustrie jene, vornehmlich aus jungen Frauen bestehende Zielgruppe, die sich außerstande sieht, ohne eine ausreichende Menge kohlensäurefreien Wassers das Haus zu verlassen. In einem Ausmaß, das vor Jahrzehnten noch undenkbar gewesen wäre, haben sich allenthalben unschöne, überteuerte 1,5-l-Plastikflaschen durchgesetzt, im Glauben, dass hoher Wassergenuss ho­hes Alter beschere und vor dem Austrocknen der Zellen schütze. An Catherine Deneuves souveränes Diktum „Ich trinke, wenn ich Durst habe“ mag sich da niemand mehr erinnern.

Ausgerechnet in diesen Zeiten des Wasserbooms setzt der Hildesheimer Literaturwissenschaftler Ste­phan Porombka dazu an, einer der klassischsten literarischen Veranstaltungsformen – die Wasserglaslesung – den Garaus zu machen. Diese verkörpere einen „recht alten Literaturbegriff“, stehe für die „gute alte protestantische Literaturkirche“ und für einen „Literaturbegriff“, der „aus der Perspektive der Mediengesellschaft überholt“ sei. Stattdessen gelte es, so Porombka, die „Medienkonkurrenz“ und triviale Literaturformen einzubeziehen, um den heutigen „Umgängen mit Texten“ gerecht zu werden.

Literatur darf das Besondere nicht aufgeben

Ich will es offen sagen: Ich halte von Stephan Porombkas forschen Forderungen nichts. Wo die Literatur heute stärker denn je mit dem Internet, dem Film oder der Musik konkurriert, muss sie vor allem zeigen, dass sie ein Angebot macht, über das Internet, Film oder Musik nicht verfügen. Literarische Texte ernst zu nehmen und an ihre stille ästhetische Wirkung zu glauben heißt eben nicht, sie mit anderen Kunst- und Kommunikationstypen zu vermengen. Sich als Zuhörer bei einer Lesung in einen Text, sagen wir: Tellkamps „Der Turm“, zu versenken – eine von Porombka mit leisem Spott beschriebene Haltung –, das macht das Besondere aus.

„Es wird zunehmend wichtiger, Literatur weniger im reinen Sinn zu denken“, sagt Stephan Porombka – ich wüsste nicht, warum man das tun sollte. Man muss keinen Geniekult pflegen, um zu erkennen, dass es ein wachsendes Bedürfnis gibt, spartanisch an­mutende Wasserglaslesungen zu besuchen, wo es kein Brimborium, keine Mu­sik­be­schallung, keine Powerpoint-Präsenta­tion, keine Weinverkostung gibt, allenfalls ein fundiertes Gespräch mit dem Autor, der zuvor seine Sätze auf die Zuhörer hat wirken lassen.

Den Text ins Zentrum stellen

Ich erinnere mich gut daran, als man vor einigen Jahren die Forderung erhob, Literaturveranstaltungen ließen sich allein als „Event“ am Leben erhalten. Ein Fehlschluss, wie die Entwicklung zeigt, da das literaturaffine Publikum einer solchen Überinstrumentalisierung rasch überdrüssig wird und das Eigentliche, der Text, nicht mehr im Zentrum steht. Natürlich muss jeder Veranstalter Anstrengungen unternehmen, einen Abend dramaturgisch aufzubauen und einen passenden Gesprächspartner zu finden, doch warum um alles in der Welt das starke ästhetische Ereignis eines gelungenen Textes meiden und stattdessen, wie Porombka formuliert, „Texte gegeneinanderstellen oder auch ihre Entstehung veranschaulichen“?

Zuletzt: Auch Kinder und Jugendliche werden sich für Literatur nur begeistern, wenn sie merken, dass die Bücher von Cornelia Funke oder Kirsten Boie, werbetechnisch gesprochen, „Alleinstellungsmerk­male“ aufweisen und deren Lektüre einmalige Erfahrungen beschert. Zur Not ersetzen wir das perlschwache, so asketisch wirkende Mineralwasser durch Energy-Drinks oder schweren Burgunder. So leicht lassen wir uns unseren alten Literaturbegriff nicht nehmen.

Zur Person: Rainer Moritz

1958 in Heilbronn geboren, leitet das Literaturhaus Hamburg. Er studierte Germanistik, Romanistik und Philosophie in Tübingen, wo er über das Werk Hermann Lenz’ promovierte. Von 1989 bis 2004 arbeitete er im Verlagswesen, zuletzt als Programmchef des Reclam Verlags Leipzig und als Programmgeschäftsführer des Hoffmann und Campe Verlags. Er ist zudem als Literaturkritiker (u.a. für „Literarische Welt“, „Neue Zürcher Zeitung“, Deutschlandradio) und Publizist tätig. Im Herbst 2009 erschien sein Roman „Madame Cottard und eine Ahnung von Liebe“ (Piper).

Kommentare

1 Kommentar zu "Die Verteidigung des Wasserglases"

  1. Michael Schikowski | 11. Dezember 2010 um 18:51 | Antworten

    Die Liste der zur lit.COLOGNE geladenen Autoren liest sich jedes Jahr aufs Neue wie die Gästeliste einer Fernsehshow am Samstagabend. Daran ist nichts auszusetzen, denn das Fernsehen selbst geht ja bekanntlich schon längst andere Wege. Da wird immer weniger eine Veranstaltung in ihrem Verlauf und Ergebnis abgebildet. Statt dessen wird immer mehr mit den Mitteln des Schnitts, der Musik und einiger dem Comic entlehnter Zusätze etwas völlig anderes inszeniert.

    Als Stephan Porombka im Buchreport formulierte, dass man im Veranstaltungsbereich nicht ausschließlich “Wasserglaslesungen” machen könne, wurde von ihm die Veranstaltungskultur der Buchhandlungen und Bibliotheken so hinterhältig anschaulich auf den Begriff gebracht, dass sich sofort Widerstand regte. Das Wasser, das er im Literaturbetrieb ausgeschenkt sieht, ist still und trübe.

    weiter unter:
    http://www.immer-schoen-sachli

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