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Auf der Suche nach den Wassergeistern

Zum Jahresende blicken bekannte Branchen-Persönlichkeiten auf buchreport.de zurück auf ihre größten Erfolge und schönsten Augenblicke. Heute blickt Wolfgang Tischer, Chef im literaturcafe.de, zurück.

Mein schönster Augenblick:

… war eine Wanderung im kalten, verregneten, nebligen Schwarzwald. Für einen Film über den Mummelsee war ich unterwegs und wanderte an zwei Tagen über 40 km. Der Mummelsee im Nordschwarzwald ist literarisch nicht unbedeutend, schon Grimmelshausen schrieb in seinem „Simplicissimus“ über den verwunschenen See, in dem Wassergeister hausen sollen, denen später auch Mörike ein lyrisches Denkmal setzte. Heute herrscht dort Schwarzwald-Kitsch, und der Mummelsee wurde zum Rummelsee. So wollte ich den Film ursprünglich anlegen und zeigen, dass es ihn als „Geistersee“ nur noch in Büchern gibt.

Bereits am Vortag der Wanderung regnete es unaufhörlich, und mir schien es sinnvoll, die Sache abzubrechen. Wir machten uns dennoch auf den Weg. Und ich erlebte meine bislang schönste Wanderung. Auf einmal war alles so, wie in den Geschichten beschrieben. Der Schwarzwald wurde buchstäblich zum „schwarzen Wald“, und der Nebel wirbelte gespenstisch um die Bäume und über den See. Kein Mensch war dort anzutreffen, und ich hatte das Glück, mit einem Ruderboot auf den einsamen See hinauszufahren.

Es war ein unbeschreiblicher Moment. Alle sagten hinterher: Was hattet ihr nur für schreckliches Wetter! Aber es war das beste Wetter, das ich mir vorstellen konnte.

Mein größter Erfolg:

Es ist ein Erfolg, zu dem ich nur einen kleinen Baustein beigetragen habe, dennoch war es sicherlich die Aktion „Stuttgart liest ein Buch“. Sowas gab es schon in anderen Städten, aber in diesem Jahr fand sie zum ersten Mal in Stuttgart statt. Initiiert von dortigen Schriftstellerhaus stand zwei Wochen lang Margriet de Moor mit ihrem Roman „Sturmflut“ im Mittelpunkt. Das literaturcafe.de hat die Website aufgebaut, etwas bei der Redaktion und den Web-Aktivitäten unterstützt, und ich war im Organisationsteam.

Niemand wusste, wie die Sache in Stuttgart ankommen würde – und „Stuttgart liest ein Buch“ war ein Erfolg, die Veranstaltungen waren überaus gut besucht, die Besucher und die Presse waren begeistert und die Aktion soll im übernächsten Jahr wiederholt werden.

Mein schlimmster Irrtum:

Hier muss ich etwas vorsichtig formulieren, aber ich habe wohl zu sehr und naiv an das Gute im Menschen geglaubt. Ich fand es bemerkenswert, wie eine völlig unbekannte Frau (Wolfgang Tischer bezieht sich auf den Fall Martina Gercke, d. Red.)  quasi im Alleingang laut Amazon das meistverkaufte E-Book des ersten Halbjahres veröffentlich hat. Ich muss zugeben, dass mich das Buch selbst nicht interessiert, da es so genannte „Chick Lit“ ist. Ich bin nicht die Zielgruppe und habe daher mit der Autorin nicht über ihr Buch, sondern über ihre bemerkenswerte Erfolgsgeschichte gesprochen und hatte eine hocherfreute und über den eigenen Erfolg überrascht wirkende Autorin vor mir.

Heute scheint es mehr als offensichtlich, dass diese Autorin sich dreist bei anderen urheberrechtlich geschützten Romanen bedient hat. Natürlich ändert das nichts an den Erfolgsinstrumenten an sich und man kann nicht mal von einem Betrug an den Leserinnen sprechen, denn die fühlten sich von diesem 2,99-Euro-Werk bestens unterhalten. Da ist es egal, ob das Ganze nur kopiert ist. Aber es ist eine ungeheuerliche Tat gegenüber den Originalautorinnen und dem Verlag.

Ich hatte gedacht, nach der – teilweise auch unsäglichen – Urheberrechtsdebatte müsste jeder und jedem klar sein, dass man keine Texte klaut. Wie tief der Absturz sein kann, zeigten Guttenberg und Hegemann. Es drohen Strafanzeige, Zivilklage und der Verlust der Einnahmen, und die Häme und Hass im Netz und realen Leben kommen hinzu. So dumm oder naiv kann doch niemand mehr sein, dass er all das für den Erfolg und das Geld in Kauf nimmt.

Es sieht so aus, als hätte ich mich da leider geirrt. Ich bin gespannt auf die Gerichtsurteile.

Mein bestes Buch 2012:

Mit solch absoluten öffentlichen Buchurteilen halte ich mich eigentlich immer zurück. Auch 2012 gab es viele gute Bücher. Besonders gefreut habe ich mich, dass zwei Autorinnen ihr Debüt feiern konnten, die ich schon lange beobachte. Da ist Cornelia Travnicek mit ihren „Chucks“ (DVA), die obendrein noch in Klagenfurt lesen durfte und den Publikumspreis gewann. Und da ist Fee Katrin Kanzler mit „Die Schüchternheit der Pflaume“ (FVA). Fee war zwar für den Aspekte Literaturpreis nominiert, jedoch wurde dieser Roman viel zu wenig beachtet. Ein Jammer, denn das ist eine andere, sprachlich überzeugende Form von „Chick Lit“.

Ein Skandal auch, dass Sibylle Berg mit „Vielen Dank für das Leben“ nicht mal auf der Longlist zum Deutschen Buchpreis stand.

Aber ich will mich nicht um ein Urteil drücken und erkläre einfach ein Buch eines lang Verstorbenen zum besten Buch: Gustav Flaubert und „Madame Bovary“. Elisabeth Edl ist eine herausragende Neuübersetzung gelungen. Und das Beste: dieses Buch gibt es auch ungekürzt in 14 Stunden vorgelesen von keinem geringeren als Christian Brückner. Besser geht‘s nicht.

Mein wichtigstes Ziel 2013:

Abnehmen.

Weitere persönliche Jahresrückblicke: 

Kommentare

2 Kommentare zu "Auf der Suche nach den Wassergeistern"

  1. Lieber Herr Baumer,

    so für sich und um die Nachsätze beraubt, klingt die Passage seltsam, da gebe ich Ihnen Recht.

    Allerdings finde ich auch den kino.to-Vergleich seltsam, denn damit implizieren Sie, Amazon würde wissentlich Raubkopien verbreiten und die Nutzer wüssten dies und nehmen es in Kauf, nur weil die Bücher günstig sind. Hier wurde ja kein Ken Follett für 99 Cent verkauft.

    Ich wähle zur Erläuterung meiner Aussage einen anderen Vergleich:

    Sie gehen in das günstige Konzert einer unbekannten Band, die Lieder spielt, die Ihnen sehr gefallen. Sie haben einen schönen Abend erlebt.

    Später stellt sich raus, dass die Lieder gar nicht von der Band selbst waren, dass die gar keine Erlaubnis hatten, sie zu singen und das Konzert nicht bei der GEMA angemeldet war.

    Kämen Sie sich da betrogen vor? Sicherlich nicht. Sie hatten einen schönen Abend, fanden das Konzert toll, der Preis war ok und dass die Lieder „geklaut“ waren, wäre Ihnen mit Sicherheit egal. Es gäbe für Sie als Konzertbesucher doch keinen Grund, auf die Band böse zu sein. Als ehrlicher Mensch finden Sie das zwar nicht ok, was die Band da gemacht hat, aber mehr doch sicher nicht.

    Das wäre natürlich anders, wenn Sie der Komponist der Lieder wären. Oder die konkurrierende Band aus dem Nachbarort 🙂

  2. „Natürlich ändert das nichts an den Erfolgsinstrumenten an sich und man kann nicht mal von einem Betrug an den Leserinnen sprechen, denn die
    fühlten sich von diesem 2,99-Euro-Werk bestens unterhalten. Da ist es
    egal, ob das Ganze nur kopiert ist.“

    Das ist eine extrem seltsame Aussage, die irgendwie wirkt, als wäre der Interviewte noch immer auf der Seite der plagiierenden Autorin oder wollte sich irgendwelche Hoffnungen bewahren. Natürlich fühlen sich die Leser „unterhalten“, wenn ich hochwertige, fremde Inhalte für wenig oder kein Geld verticke. Von kino.to fühlten sich auch alle Zuschauer super unterhalten. Das spricht aber noch lange nicht für irgendetwas als „Erfolgsinstrument“, außer es ist hier das Instrument „gute Bücher günstig als eBooks verkaufen“ gemeint. Das funktioniert natürlich. Eigenpublishing wird dann ein Erfolg, wenn die Inhalte stimmen. Für mich tun sie das (noch) nicht, ich hab bisher noch kein selbstverlegtes Buch im Netz gesehen, das annähernd literarisch hochwertig war.

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