"Brandbrief" der Auszubildenden im Buchhandel

"Wir sind keine billigen Arbeitskräfte!" 

29. März 2021
von Börsenblatt

Enttäuscht, kraftlos und ausgelaugt - so fühlen sich gerade viele Auszubildende im Buchhandel. Ausbildung finde nicht statt, stattdessen würden sie "den Laden am Laufen halten", so die Einschätzung der Azubis, die gerade am mediacampus frankfurt ihren Berufsschulunterricht digital absolvieren. 

Der "Brandbrief" im Wortlaut: 

In den letzten Wochen haben wir Buchhändler*innen-Azubis uns eine Frage gestellt: „Wie ergeht es uns während Corona?“ Durch digitale Beschulung, sind wir besser vernetzt denn je und Rückmeldungen kamen von 60 Azubis aus ganz Deutschland, quer durch alle Ausbildungsjahre.Die Antworten waren dann doch so schockierend, dass sie Gehör finden sollen.

Egal ob Filialisten wie Thalia, Mayersche, Hugendubel, Osiander oder Inhabergeführte Buchhandlungen, in den Berichten gab es kaum Unterschiede. Um sich einen Eindruck zu verschaffen, sind hier ein paar ausgewählte Antworten: 

Ich kann einfach nicht mehr, doch Urlaub wird mir nicht gewährt, weil ich der einzige Azubi im Laden bin und alle anderen in Kurzarbeit sind. 

  • „Ich komme abends nach Hause, breche zusammen und weine, weil ich weiß, dass es morgen wieder von vorne los geht. Ich kann einfach nicht mehr, doch Urlaub wird mir nicht gewährt, weil ich der einzige Azubi im Laden bin und alle anderen in Kurzarbeit sind.“ 
  • „Wenn ich mal einen freien Tag habe, was seit drei Wochen, außer sonntags, nicht mehr vorgekommen ist, liege ich nur im Bett und versuche mich zu erholen.“ 
  • „Ich fühle mich von meinem Ausbilder allein gelassen.“ 
  • „Ich entscheide momentan Sachen, die ich gar nicht entscheiden dürfte. Einkauf, Buchhaltung... Und wenn ich es dann falsch mache, bekomme ich Ärger. Aber niemand hat Zeit, mir das zu erklären. Wieso bin ich plötzlich für alles zuständig?“ 

Allein im Laden, keine Urlaub, keine Betreuung

In jeder Antwort klang derselbe Grundton mit: Wir sind enttäuscht, kraftlos und können nicht mehr! 

Auszubildende, die teilweise den ganzen Tag alleine im Laden stehen, sollen sich um alles, am liebsten gleichzeitig, kümmern. Telefon, Kund*innen und Ware verräumen, weil alle festen Mitarbeiter*innen in Kurzarbeit sind. Ansprechpartner*innen oder gar eine Betreuung vor Ort gibt es nicht. 

Dazu kommt auch noch der Zeitdruck und der geforderte Effizienzgedanke. Geld und Kennzahlen scheint den meisten Unternehmen wichtiger zu sein als das Wohl seiner Auszubildenden. 

Vielen Azubis wurde ihr Urlaub kurzfristig, ohne Absprache, gestrichen. Arztbesuche werden verweigert, weil sie während der Öffnungszeiten des Ladens anfielen, und eben kein Ersatz greifbar war. Ebenfalls wird erwartet, dass man auf freie Tage verzichtet, weil die doch nicht notwendig wären, immerhin sei man in einem eingeschränkten Regelbetrieb. 

Pausen gibt es bei manchen auch nur dann, wenn ein/e feste/r Mitarbeiter*in dafür abgestellt werden kann. Andere wiederum haben seit Beginn der Pandemie keine ausbildungsrelevanten Inhalte mehr erhalten. Wichtige Abteilungen wurden nicht durchlaufen, Abläufe, wie Abholfach oder Remissionen wurden nicht erklärt oder gezeigt und trotzdem auf einmal eigenständig von uns verlangt. 

Vielen von uns steht der Abschluss noch in diesem Jahr bevor, doch uns fehlen (prüfungs-) relevante Inhalte. Wir werden gezwungen, Azubiberichte zu verfassen, damit der Inhalt unserer Ausbildung protokolliert wird. Doch scheinbar werden diese gar nicht gelesen, denn warum fällt es dann niemanden auf, dass wir seit einem Jahr versuchen, irgendwelche Themen aus dem Hut zu zaubern bzw. aus Schulskripten abschreiben, um irgendwas hinschreiben zu können?

Jedenfalls sind wir momentan keine Auszubildenden zu Buchhändler*innen. Allerdings sind wir: Telefonist*innen, Ausliefer*innen, Kassenkräfte. Kurz zusammengefasst: „Mädchen-für-alles“, billige Arbeitskräfte, die den Laden am Laufen halten. Und als würde das nicht reichen, wird von einigen sogar verlangt, dass sie ihre Social-Media-Kanäle und die dort geposteten Inhalte vor der Teamleitung offenlegen. Um zu kontrollieren, dass nichts nach außen dringt? Wo bleiben da die Persönlichkeitsrechte? Und nein, das war kein Einzelfall! 

Umfrage

Für Auszubildende

             

Für Ausbilder*innen

                

Warum wir uns nicht wehren? Wir haben Angst! Bei vielen geht es um die Übernahme. Um finanzielle Sicherheit, gerade auch wegen der Pandemie. 

Wir fordern Ansprechpartner*innen, freie Tage, bessere Kommunikation

Vielleicht sagen die Unternehmen jetzt: Dann sagt uns doch, dass ihr unzufrieden seid. Oder warum wehrt ihr euch nicht? 

Die Antwort ist ganz einfach: Wir haben Angst! Bei vielen geht es um die Übernahme. Um finanzielle Sicherheit, gerade auch wegen der Pandemie. Allerdings haben auch einige versucht, etwas dagegen zu unternehmen, und das Gespräch gesucht, aber in den meisten Fällen hat sich nichts geändert. 

Uns ist allen bewusst, dass wir in einer besonderen Situation sind, doch wir sind immer noch Azubis und die Verantwortung, die uns momentan übertragen wird und die Umstände, unter denen wir gerade arbeiten, sind, abgesehen von der Verletzung der Fürsorgepflicht, ein klarer Verstoß gegen das Arbeitsrecht. 

Daher fordern wir: Ansprechpartner*innen, freie Tage, bessere Kommunikation. Eine Ausbildung, die auch als solche bezeichnet werden kann, und die Motivation, auch weiterhin in dem Beruf bleiben zu wollen, der für die meisten von uns mal der Traumberuf war!