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Profitable Schätze

Der Handel könnte  durch das On-Demand-Verfahren eine profitable Nische bedienen. Dennoch ist es in letzter Zeit still geworden um die „Espresso Book Machine“, die das Hamburger Book-on-demand-Unternehmen BoD in den Buchhhandel bringen wollte. Lässt sich mit Ware, die nur selten nachgefragt wird, ähnlich viel Geld verdienen, wie mit Bestsellern? Der Harvard Book Store setzt auf eben dieses Prinzip und stellt fest: Dank der mobilen Druckmaschine können ganz neue Veranstaltungsformate und unbekanntere Bücher angeboten werden. Viele Kunden nutzen den Service begeistert, obwohl sie die meisten Bücher auch kostenlos bei Google herunterladen könnten.

Der Harvard Book Store war eine der ersten Buchhandlungen, in der eine Espresso Book Machine mit Google-Anbindung aufgebaut wurde. Seit September 2009 bieten die Inhaber der Buchhandlung, Jeff Mayersohn (Foto) und seine Frau Linda Seamonson, ihren Kunden in den USA den Service des Buchdrucks direkt in der Buchhandlung an. Ihre Erfahrungen schilderten sie erstmals auf „Publishers Weekly“, hier der Text in deutscher Übersetzung:

„Als Sarah Jensen und ihre Schwester jung waren, war Ethel PartonsPenelope Ellen“ ihr Lieblingsbuch. Darin freut sich ein Kind darüber, als Weihnachtsgeschenk die Ausgabe von „Peter Parley Annual“ aus dem Jahr 1840 zu erhalten, der populären Kinder-Zeitschrift aus dem 19. Jahrhundert. Im letzten Dezember strahlten die Augen von Sarah, als wir eine „Annual“-Kopie auf der „Espresso Book Machine“ des Harvard Book Store druckten. Sie wollte ihre Schwester damit zu Weihnachten überraschen, Jahrzehnte, nachdem sie das Buch als Kind gelesen hatte.

Die Erfahrungen von Sarah sind bei unseren Kunden nicht ungewöhnlich. Unsere Espresso Book Machine, die von unseren Kunden liebevoll „Paige M. Gutenborg“ (oder kurz „Paige“) genannt wird, dient als literarische Zeitmaschine und ermöglicht den Kunden, perfekt gebundene Kopien antiquarischer Bücher zu erhalten, die bis dato unerschwinglich teuer oder unmöglich zu bekommen waren. Jim Henle, ein Dichter aus dem Ort, fand eine Biografie seines Vorfahren Jacob Henle, einem Physiker und Anatomen aus dem 19. Jahrhundert, der Pionier auf dem Gebiet der Theorie bakterieller Krankheiten war. (…)

Unsere Kunden haben einige erstaunliche Schätze in der Datenbank von Paige gefunden, die mehr als vier Mio Titel umfasst. Es gibt beispielsweise eine Kopie des handschriftlichen Original-Manuskripts von „Alice’s Adventures Under Ground“, dem Dokument, das Lewis Carroll 1864 Alice Liddell gab. In den 1880ern bat Reverend Dodgson die erwachsene Alice, das Original zurückzugeben, damit er es fotografieren und veröffentlichen könnte, als Spendensammlung für Londoner Kinderkrankenhäuser. Die Kopie, die wir drucken, hat einen Stempel, der den Zugang für das Jahr 1887 vermerkt.

Das erste Buch, das wir mit Paige druckten, war das Bay-Psalm-Buch (Neuübersetzung des Psalter, Anm. d. Red.), das erste Buch, das im englischsprachigen Nordamerika gedruckt wurde. Das Original wurde fast vier Jahrhunderte zuvor, in der Druckerei von Stephen Daye wenige hundert Meter von unserem Laden entfernt, gedruckt. Es gibt nur noch elf erhaltene Original-Ausgaben. Jetzt kann jeder Kunde seinen eigenen Scan des Originals haben.

Paige hat uns aber nicht nur als mit der literarischen Vergangenheit verbunden; sie ermöglicht etwas, was wir als wichtig für die Zukunft der Verlage und Buchhandlungen erachten. Aktuell arbeiten wir mit rund 100 Autoren zusammen, die ihre eigenen Werke damit drucken, aus allen Genres. Bücher aus dem Eigenverlag machen rund 75% der rund 1500 Bücher aus, die wir im Monat mit Paige drucken.

Steve Almond, ein Autor aus unserer Stadt mit nationaler Reputation, hat drei kurze Bücher geschrieben (…). Wir haben eine Lesung aus seinem ersten Buch veranstaltet, das Steve mit Paige gedruckt hat, „This Won’t Take but a Minute, Honey“. Steve konnte rund 100 noch warme Bücher signieren, sofort nachdem diese im Ausgabeschacht von Paige landeten. (…) Unsere Maschine hat auch jungen, neuen Autoren eine erste Gelegenheit geboten, sich ihre Werke gedruckt anzusehen und aus diesen vor einem Publikum vorzulesen. So haben wir einen Kurzgeschichten-Wettbewerb veranstaltet, bei dem wir mehrere hundert Einsendungen bekamen. Wir wählten die unserer Meinung nach besten aus und druckten sie in einem kleinen Buch mit dem Titel „Microchondria“, was den Gewinner-Teilnehmern ermöglichte, ihre Geschichten vor einem hundertköpfigen Publikum zu lesen. „Microchondria“ gehörte zu unseren Bestsellern im Jahr 2010.

Was mich fasziniert, ist die Tatsache, dass unsere antiquarischen Bücher, die wir drucken, kostenlos als Downloads über Google verfügbar sind. Analog dazu kann jedes Buch aus dem Eigenverlag ganz einfach im Internet veröffentlicht werden. Zweifelsohne werden viele dieser Bücher als E-Books heruntergeladen, aber für viele Leser und Autoren bleibt der Reiz des Papiers. Wenn man die Freude in ihren Gesichtern sieht, kommt man unvermeidlich zu dem Schluss, dass wir noch immer die Erfahrung des gedruckten Wortes schätzen, die für die Ewigkeit auf den Seiten eines Buchs bewahrt wird.“

Wie die Espresso Book Machine in der Praxis funktioniert, zeigt auch der New Yorker Buchhändler McNally Jackson in einem Video auf ScienceFriday.

Übersetzung: Daniel Lenz, mit freundlicher Genehmigung der Urheber

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