buchreport

Dirk von Gehlen fordert »zugeschnittene Angebote«

Dirk von Gehlen (Foto: Matthes & Seitz)

Im Zeitalter der Digitalisierung verliert das Standardprodukt an Bedeutung: In seinem neuen Buch „Meta!“ (Matthes & Seitz) proklamiert Dirk von Gehlen das „Ende des Durchschnitts“. Das Buch ist in mehreren Formaten erschienen: Taschenbuch, Hardcover, E-Book, PDF-Präsentation und Podcast (sowie diverse Bundles) – als „erster sehr kleiner Schritt“ Richtung personalisierter Buchinhalte, so von Gehlen im Interview. Lesen Sie auch den Auszug aus dem Buch im buchreport-Blog.

Ihre Hauptthese ist, dass das Standardprodukt an Bedeutung verliert zugunsten von personalisierten Inhaltezugängen, die zum Ende des Durchschnitts führen. Wo sehen Sie in der Medienbranche Belege für diesen Trend?

Die Timeline als dominantes Distributionsmodell in sozialen Netzwerken ist das vermutlich bekannteste Beispiel für einen hoch personalisierten Zugang zu Inhalten. Meine Timeline in Facebook ist mein ganz privater Blick auf die Welt, niemand sonst teilt ihn. Recht ähnlich verhält es sich mit Suchanfragen bei Google. Es gibt den weit verbreiteten Irrglauben, ein Suchbegriff werfe für jeden die gleichen Ergebnisse aus. Aber Google ist nicht „Wetten dass …?“. Digitale Angebote sind eben nicht für jeden und jeder Zeit gleich, sondern personalisierte Zugänge zu Inhalten. Dabei sind sie so populär, dass ich mich getraut habe, dem Buch den Titel „Das Ende des Durchschnitts“ zu geben.

Anders als der personalisierte Newskonsum per Twitter oder Facebook hat sich z.B. die personalisierte Zeitung bis dato nicht durchgesetzt. Können traditionelle Medien nur Durchschnitt?

Nein, ich glaube, dass klassische Medien – wie übrigens wir alle – mehr können. Dafür müssen wir aber versuchen, zu verstehen, was die Entwicklungslinien der Digitalisierung sind, um dann darauf angemessen zu reagieren. Deshalb habe ich das Buch geschrieben, um eine dieser Linien herauszuarbeiten und ihr Prinzip besser zu verstehen. „Das Ende des Durchschnitts“ will in dem Sinne keine Bewertung oder Beurteilung der Entwicklung sein, sondern eine Beschreibung. Denn ich glaube, dass wir noch nicht im Ansatz verstanden haben, was da gerade passiert. Was einige alarmistische Autoren aber nicht daran hindert, schon breitflächig Meinung zu den Entwicklungen zu verbreiten.

Auf dem Publikumsbuchmarkt sind die meisten Versuche, mit angereicherten E-Books oder Apps vom Standardbuch wegzukommen und damit neue Zielgruppen zu erschließen, gescheitert: zu hoher Aufwand, zu niedrige Erlöse. Waren die Verlage zu früh damit unterwegs?

Ich glaube, dass wir mitten in einem Veränderungsprozess sind, der noch nicht abgeschlossen ist. Es ist technisch möglich, das, was man früher mal Bücher nannte, auf den Nutzungskontext der Leserinnen und Leser zuzuschneiden. Ich gehe davon aus, dass dies in absehbarer Zeit auch passieren wird. Und meine Spekulation ist, dass diese zugeschnittenen Angebote für die Leserschaft passender sind als diejenigen, die für alle gleich sind.

Wie umschiffen die Verlage den hohen Kostenberg bei solchen Inhalten?

Neue Ideen testet man am besten in kleinen Experimenten. Hohe Kostenberge entstehen, wenn man nicht kleine Experimente, sondern große Lösungen plant.

Sie schreiben in Ihrem Buch: „Um aber zu verstehen, was Kontext für den Journalismus bzw. die gesamte Kulturbranche der Zukunft bedeuten kann, muss man sich Personalisierung als individuelle Inhalteproduktion vorstellen.“ Vor diesem Hintergrund ist das Verfügbarmachen von Buch-Inhalten in verschiedenen Formaten, wie an Ihrem Buch beispielhaft illustriert – vom E-Book zum Podcast – sicher nur ein erster Schritt.
Ja, das ist nur ein erster sehr kleiner Schritt, aber ich bin dennoch sehr froh, dass ich in Matthes & Seitz einen Verlag gefunden habe, der diesen Schritt mit mir ausprobiert. Das wirkt nämlich nur so einfach, ein Buch als Standard-Version auf Papier, als Präsentation, Podcast und E-Book anzubieten. In der operativen Umsetzungen steht man bei der Versionierung von Inhalten dann aber vor ganz konkreten Problemen wie dem unterschiedlichen Mehrwertsteuersatz von E- und Papier-Buch.

Was ist perspektivisch möglich, um eine individuelle Inhalteproduktion umzusetzen?

Was perspektivisch möglich ist, kann man aktuell schon auf Plattformen wie Spotify sehen. Hier wird der Blick nicht mehr ausschließlich auf Inhalte gerichtet, sondern vor allem auf die Metadaten, die wie Schatten neben den Inhalten stehen und in einer digitalen Welt die Grundlage für Kontext bilden. Angebote wie „Discover weekly“ bei Spotify konzentrieren sich auf die Interessen des Verbrauchers und vermitteln ihm und ihr personalisierte Zugänge zu neuen Inhalten. Wer das mal ausprobiert hat, wird feststellen, dass das sehr spannend ist.

Führt der personalisierte Zugang zu Medien zwangsläufig dazu, dass Entdecken, Stöbern und Inspirieren im Vergleich zur Durchschnittskultur der analogen Welt kürzertreten werden?

Das weiß ich nicht. Statt über die Zukunft zu spekulieren, erlaube ich mir manchmal, den umgekehrten Blick auf die Entwicklungen zu werfen: Was würden wir eigentlich denken, wenn wir mit den Möglichkeiten der Algorithmen aufgewachsen wären und nun käme jemand auf die Idee, z.B. Buchläden zu erfinden? Wer auf diese Weise auf Entwicklungen blickt, erkennt die spezifischen Stärken der jeweiligen Angebote – etwas unabhängiger von dem, was man selber einfach gewohnt ist und deshalb für richtig hält.

Personalisierung spielt auch beim Online-Kiosk Pocketstory eine Rolle. Neben Presseverlagen entbündeln vereinzelt auch Buchverlage ihre Bücher und verkaufen separate Kapitel. Mit welchen Chancen?
Das kann ich nicht beurteilen. Grundsätzlich glaube ich, dass wir nur im Ausprobieren neue Wege entdecken. Deshalb betrachte ich all diese Ansätze immer mit großer Sympathie. Ich würde mir sogar wünschen, dass noch viel mehr experimentiert wird. Gerade im Bereich des social readings passiert da in Deutschland noch recht wenig, finde ich. Und dann wundert man sich in ein paar Jahren, warum Anbieter wie Google oder Amazon dann den Markt dominieren.

Personalisierung würde für Verlage bedeuten, dass es umso wichtiger wird, sowohl Inhalte zu granulieren als auch noch mehr Daten über die Kunden zu sammeln, um – Stichwort „Datennutz“ – maßgeschneiderte neue Inhalte zu komponieren. Sind Verlage dafür gerüstet?

Das wichtigste Rüstzeug ist meiner Einschätzung nach ein Verständnis der Entwicklungen. Da will mein Buch einen kleinen Beitrag zu leisten: Mithelfen, zu verstehen, was jenseits der kurzlebigen Hypes an langfristigen Entwicklungen passiert. Daraus kann man dann Schlüsse ziehen und sich iterativ im Ausprobieren fortbewegen. Da sehe ich viele tolle Ansätze in Deutschland. Das Portal Log.os, auf dem wir im März eine Lesegruppe zu „Meta!“ ausprobieren, zählt für mich dazu, aber auch viele kleine Projekte aus Verlagen wie zum Beispiel das Crowdfunding des Hanser-Verlags im vergangenen Jahr auf Startnext.

Lesen Sie auch den Auszug aus dem Buch „Meta!“ im buchreport-Blog.

Kommentare

Kommentar hinterlassen zu "Dirk von Gehlen fordert »zugeschnittene Angebote«"

Hinterlassen Sie einen Kommentar

Mit dem Abschicken des Kommentars erklären Sie sich damit einverstanden, dass Ihre Daten elektronisch gespeichert werden. Diese Einverständniserklärung können Sie jederzeit gegenüber der Harenberg Kommunikation Verlags- und Medien-GmbH & Co. KG widerrufen. Weitere Informationen finden Sie in unseren Datenschutz-Richtlinien

E-Mail Adresse wird nicht veröffentlicht.


*

Themen-Kanäle

SPIEGEL-Bestseller

1
Fitzek, Sebastian
Droemer
2
Neuhaus, Nele
Ullstein
3
Garmus, Bonnie
Piper
4
Schlink, Bernhard
Diogenes
5
Follett, Ken
Lübbe
27.12.2023
Komplette Bestsellerliste Weitere Bestsellerlisten

Veranstaltungen

Es gibt derzeit keine bevorstehenden Veranstaltungen.

größte Buchhandlungen