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Wunder von Lourdes

Am 10. September vor 119 Jahren wurde Franz Werfel geboren. Zum Jahrestag erionnert buchreport in Kooperation mit dem Verlag J.B. Metzler an den 1941 erschienenen Bestsellerroman „Das Lied von Bernadette“. Ein Auszug aus dem neuen Kindlers Literatur Lexikon, das am 4. September 2009 erscheint.

Das Lied von Bernadette

Hauptgattung: Epik/Prosa, Untergattung: Roman, (dtsch.)
Nach eigenem Bekunden erfüllte Werfel mit dem 1941 erschienenen Roman, der schon nach einem Jahr in den USA eine Auflage von 400 000 Exemplaren erreichte und damit zum größten Erfolg des Autors wurde, ein »Gelübde«; als er im Juni 1940 auf der Flucht vor den deutschen Truppen in Lourdes Obdach fand, gelobte er, im Falle seiner Rettung »die wundersame Geschichte des Mädchens Bernadette Soubirous und die wundersamen Tatsachen der Heilungen von Lourdes« zu »singen«.

Aber nicht Bernadette, deren Lebensweg der Dichter von ihren frühen Visionen an bis zur Stunde ihres Todes im Kloster der Damen von Nevers nachzeichnet, steht im Mittelpunkt des Romans, sondern die provozierende Unbegreiflichkeit des Wunders. Dieses Wunder – geschehen im Jahre 1858 und von Rom 1925 beglaubigt durch die Heiligsprechung Bernadettes, mit der dieses »geschichtliche Epos« abschließt – ist für Werfel keineswegs nur Stoff einer Heiligenlegende, auch nicht ein Credo im Sinne des Katholizismus, sondern Anlass zur persönlichen Auseinandersetzung mit der in allen seinen Werken wiederkehrenden Problematik des Verhältnisses von Erkenntnis, Wissen und Glauben. Werfel, der im Vorwort betont, dass er »kein Katholik […], sondern Jude« sei, hat den Agnostizismus zeit seines Lebens bekämpft. Hier versucht er den Beweis zu führen, dass die Vernunft vor der Ungeheuerlichkeit des Wunders kapitulieren müsse.

Der unbedingte Glaube aber, der an die Stelle der Vernunft tritt, steht in Gefahr, verfälscht zu werden, wenn die hingenommenen irrationalen Prämissen dem Ziel neuer, zweckgerichteter Vernünftelei dienen.
Bezeichnend für Werfels Anschauung von der Gnade ist die historisch nicht belegbare Auseinandersetzung zwischen Bernadette und ihrer Novizenmeisterin, Sœur Thérèse Vauzous, die mit sich selbst und Gott erst dann Frieden zu schließen vermag, als sie am Leiden Bernadettes erkennt, dass Heiligwerden nicht verdienstvolles Tun, sondern Geschehenlassen ist. Durch die unerschütterliche Hingabe an ihre »Dame«, der sie allen Anfechtungen zum Trotz die Treue hält, wird das unwissende Mädchen aus dem Volk eines göttlichen Geheimnisses teilhaftig, das sie voller Demut den Opfergang der Liebe vollenden lässt. Ihre letzten Worte sind ein »Bekenntnis: J’aime… Ich liebe!«
In szenisch dichter Folge – wobei die Gesamtzahl der in je zehn Kapitel eingeteilten fünf »Reihen« der Anzahl der »Ave Maria« im Rosenkranzgebet entspricht – werden die zwischen Hoffnung, Verwirrung, Angst und Verzweiflung schwankenden Reaktionen auf das Wunder geschildert. Freilich entgeht Werfel in den Passagen, die den Glückszustand Bernadettes in mystisch-erotischer Sprache schildern, nicht immer der Gefahr, ins Schwülstig-Sentimentale abzugleiten.

Ein sprachliches Dilemma entsteht ohnehin dadurch, dass das, was dargestellt werden soll, selbst den Anspruch erhebt, unsagbar zu sein. Große Teile des Geschehens werden im Dialog entfaltet. Dabei wird die Skepsis derer, die das Wunder nicht wahrhaben wollen, ironisch beleuchtet; in lustspielhaften Szenen zeigt der Autor, wie die theoretische Argumentation der Zweifler sich durch ihr praktisches Verhalten selbst widerlegt.

Lit.: R. F. Taylor: The Concepts of Reality and Transcendental Being in F. W.’s ›Das Lied von Bernadette‹, in: Autoren damals und heute, Hg. G. P. Knapp, 1991, 639–663. • K. Weissenberger: F. W.s ›Lied von Bernadette‹ und die dichterische Darstellung des Wunders, in: Colloquia Germanica 25, 1992, 2, 122–144. • E. Loewy: F. W.s ›Lied von Bernadette‹, in: E. L.: Zwischen den Stühlen, 1995, 172–177. • A.-F. Bernard: F. W., ›Le chant de Bernadette‹. Idée supratemporelle et questionnement religieux, in: Le monde de F. W. et la morale des nations, Hg. M. Reffet, 2000, 421–442.
Irena Zivsa

Zur Person Franz Werfel

geb. 10.9.1890 Prag (Tschechien) 
gest. 26.8.1945 Beverly Hills/Calif. (USA)
Sohn eines wohlhabenden deutsch-jüdischen Prager Fabrikanten; 1909 Abitur am Deutschen Gymnasium Prag, erste Gedichte, Literat des Prager Kreises; 1910 Volontariat bei einer Hamburger Speditionsfirma; 1911–1912 Militärdienst in Prag; 1912–1914 Lektor beim Kurt-Wolff-Verlag in Leipzig, Mitherausgeber der expressionistischen Zeitschrift Der jüngste Tag, Bekanntschaft mit Rilke, Freundschaft mit Hasenclever und Kraus; 1915–1917 Soldat auf österreichischer Seite (Front in Galizien und Wiener Kriegspressequartier); ab 1918 freier Schriftsteller in Wien; 1929 Heirat mit der Komponistin Alma Mahler (Witwe Gustav Mahlers); zahlreiche Reisen (u. a. nach Italien, Ägypten und Palästina); nach der Annexion Österreichs durch Deutschland Flucht nach Süd-Frankreich, 1940 (mit seiner Frau und der Familie Heinrich Manns) über Spanien nach Portugal, Emigration nach Kalifornien; 1941 amerikanischer Staatsbürger; ab 1943 zunehmend herzkrank; Lyriker, Dramatiker, Romancier, Essayist und Übersetzer.
Ausg.: Gesammelte Werke in Einzelbänden, Hg. K. Beck, 1989–1993.
Lit.: F. W. Neue Aspekte seines Werkes, Hg. K. Auckenthaler, 1992. • N. Abels: F. W. Mit Selbstzeugnissen und Bilddokumenten, 1993.

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