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Was verdient der Kollege?

Gilbert Dietrich, Manager und Philosoph. Foto: privat.

Gilbert Dietrich, Manager und Philosoph. Foto: privat.

Über Geld spricht man nicht – man hat es. Oder auch nicht. Dass es nicht zuviel wird, dafür sorgt in Deutschland eine eigentümliche Geheimniskrämerei, die sich auch auf die Gehälter bezieht. Das 2017 in Kraft getretene Entgelttransparenzgesetz ist ein schwacher Versuch, dieser Geheimniskrämerei entgegenzuwirken. Warum Arbeitgeber klüger handeln, wenn sie ihre eigenen Transparenzregeln schaffen, erklärt HR-Manager Gilbert Dietrich im HR-Channel von buchreport.de.

Wesentliche Gründe für Entgeltungleichheit und wie man sie beseitigt

Die Zeiten, in denen man am Freitag 15 Uhr Schlange stand, um sich seinen Lohn bar auszahlen zu lassen, sind vorbei. Das war wohl richtige Transparenz, da wusste man, was der Kollege vor einem in der Schlange verdiente. Zwischenzeitlich war die Transparenz wohl ganz weg und nun soll sie wiederkehren. Aber sicher nicht durch so etwas Albernes wie das Entgelttransparenzgesetz, das ganz eingeschränkte Transparenz auf Antrag (höchstens alle zwei Jahre), mit dreimonatiger Auskunftsfrist und etlichen Ausnahmen, dafür aber ohne Sanktionen bei Verstoß vorsieht. Wer nicht schon jetzt mindestens die Transparenz von seinem Arbeitgeber einfordern kann, die dieser zahnlose Papiertiger vorsieht, der arbeitet schlicht in der falschen Firma.

Eigentlich ist es ganz einfach. Schon aus purem Eigeninteresse sollten Arbeitgeber Strukturen einführen, die ganz ohne „Antrag“ ihren Mitarbeitern ermöglichen zu erfahren, wo sie sich verdienstlich im Vergleich zu ihren Kollegen mit derselben oder sehr ähnlichen Tätigkeit und Arbeitserfahrung bewegen. Seit über einem Jahr wundere ich mich darüber, welche Wellen dieses Thema in Deutschland schlägt, weshalb ich unten eigentlich ganz selbstverständliche Strukturen erklären will, die weit mehr bringen, als diese Transparenz. Wie man solche Strukturen ganz einfach implementieren kann und warum das im Interesse des Arbeitgebers ist, dazu kommen wir gleich.

Unternehmensdemokratie für mündige Mitarbeiter

Zuvor ein Abstecher in die Zukunft: Es gibt sie bereits, die Firmen, in denen Mitarbeiter gemeinsam Gehälter und die Menge der Urlaubstage für sich und ihre Kollegen beschließen. Das funktioniert, weil sie selbstbestimmt und -organisiert arbeiten und wissen, was sie erwirtschaften und ausgeben können. So sieht wirtschaftsdemokratisches Verhalten von mündigen Menschen aus. Es ist auch klar, dass sich das (noch) nicht in allen Firmen oder Branchen anbietet. Aber in diese Richtung müssen wir uns bewegen. Transparenz – und zwar nicht erst auf Nachfrage oder Antrag – ist ein erster Schritt.

Personalkonzepte für die Zukunft

Mehr zum Thema Personalmanagement und -führung lesen Sie im HR-Channel von buchreport und Channel-Partner Bommersheim Consulting. Hier mehr…

Transparenz und Fairness ohne Bürokratie

Sicher, wenn Sie als Arbeitgeber ihre produktiven Mitarbeiter gern mit Anträgen und dreimonatigen Bearbeitungsfristen beschäftigen wollen, dann machen Sie das so, wie das Gesetz es vorsieht. Wenn Sie allerdings motivierte und erwachsene Mitarbeiter haben und auch rekrutieren und deren Zeit nicht mit Verwaltungsaufgaben verschwenden wollen, dann führen Sie ganz einfach verbindliche und transparente Gehaltsbänder ein. Dann hört auch endlich das nervige Gefeilsche bei Neueinstellungen und Jahresendgesprächen auf. Wenn ich das schon höre: Jahresendgespräch! Als wenn man nicht das ganze Jahr über mit seinen Mitarbeitern über Leistungen, Ansprüche, Feedback und Ziele sprechen würde.

Wie geht das, Gehaltsbänder unbürokratisch einführen? Man muss sich einfach einmal die Mühe machen, mit einem Vergütungsexperten zusammen den Bestand aufzunehmen und das Ergebnis dann in einem Benchmark zur Konkurrenz zu vergleichen. Dazu clustert man die im Unternehmen befindlichen Jobfamilien nach den jeweiligen Ansprüchen die jede Rolle auf ihren unterschiedlichen Senioritätsstufen hat. So kann man auch in größeren Unternehmen mit 80 bis 100 verschiedenen Jobs (multipliziert mit den vielleicht 7 Senioritätsstufen) zu einer relativ einfachen Struktur von ca. 7 x 10 Gehaltsbändern kommen.

Für Publisher ist das Gehalt nicht so wichtig – vor allem dann, wenn sie genug davon verdienen. Bild: Unsplash.

Bild: Unsplash.

Ein Band einer bestimmten Rolle auf einem bestimmten Senioritätslevel hätte einen Mittelwert, sagen wir zum Beispiel 40.000 Euro, eine untere (zum Beispiel 32.000 Euro) und eine obere Grenze (zum Beispiel 48.000 Euro). Man würde erwarten, dass ein Neueinsteiger auf diesem Senioritätslevel in diesem Job mit 32.000 Euro Jahresgehalt einsteigt, sich gut entwickelt und über Gehaltserhöhungen den Mittelwert anstrebt, um dann bei zunehmender Erfahrung und Leistung irgendwann an die Grenze von 48.000 Euro stößt.

Wer solche Bänder hat, braucht keine Antragsprozesse für Auskünfte, sondern einfach gute Manager, die in Gesprächen mit den Mitarbeitern vermitteln können, warum diese zum Beispiel am unteren Ende, in der Mitte oder am oberen Ende seines Gehaltsbands liegen und wie es damit weitergeht. Das bietet den optimalen Einstieg in Gespräche zur nicht nur gehaltlichen Weiterentwicklung von Mitarbeitern. Man kann dann als Manager ruhigen Gewissens mit seinen Mitarbeitern besprechen, was geschehen muss, damit die Mitarbeiter sich über die Zeit in Richtung obere Grenze des Gehaltsbandes bewegen und dann via Beförderung in die nächste Stufe zu gelangen, wenn denn das das nächste Karriereziel sein sollte. Und wenn doch mal jemand einen Auskunftsantrag stellt, kann man die Auskunft innerhalb von drei Minuten aus dem Ärmel schütteln.

Individuelle Gehaltsverhandlungen sind die Wurzel der Ungleichbezahlung.

Die Wurzel des Übels ziehen

Der wesentliche Grund für die Ungleichheit in der Bezahlung ist jedoch mit Transparenz noch nicht behoben: Individuelle Gehaltsverhandlungen sind die Wurzel des Übels, denn nicht alle Mitarbeiter verhandeln überhaupt und wenn, dann verhandeln nicht alle gleichermaßen erfolgreich. Individuelle Gehaltsverhandlungen sind auch für die Firma insgesamt schädlich, denn es schleichen sich schnell Ungerechtigkeiten ein und Kollegen fangen an, sich gegenseitig misstrauisch und sogar missgünstig zu begegnen. Solch eine Kultur befördert keinen Zusammenhalt. Außerdem sorgen individuelle Gehaltsverhandlungen für einen enormen Aufwand und Stress bei Managern und für die zum Teil irrsinnige Bürokratie in Personalabteilungen.

Mit regelmäßigen Lohnüberprüfungen schließen wir charakter- und geschlechterspezifische Ungleichheiten eher aus, als wenn jeder für sich kämpft und nur die Maulhelden dabei gewinnen.

Abhilfe ist auch hier nicht schwierig: Zyklische Überprüfungen aller Gehälter auf interne Fairness und Marktgerechtigkeit. Will man als Arbeitgeber attraktiv bleiben und seine Leute halten und neue einstellen, dann bietet es sich an, dass man weiß, wie sich die internen Gehaltsgefüge zum Markt verhalten. Man muss sich mit den Gehältern nicht im Median oder im oberen Percentil bewegen, wenn man nicht gerade Waffen, Medikamente oder Zigaretten herstellt, aber man muss am Markt vergleichbar bleiben und sich mitbewegen. Dazu sollte man seine im Benchmark verglichenen Gehaltsbänder mindestens jährlich an die allgemeine Lohnentwicklung im Markt anpassen, also zum Beispiel im Schnitt um 5% anheben, wenn die Gehälter in der Branche so gewachsen sind.

Diese jährlichen „Lohnrunden“ ermöglichen dann ebenfalls ein Performance Management, denn man kann die, die überdurchschnittlich gut waren auch überdurchschnittlich anheben und die Mitarbeiter, die unterdurchschnittliche Leistungen erbrachten, entsprechend weniger am Trend partizipieren lassen.

Es gibt weitere Vorteile: Die Lohnausgaben der Firma lassen sich genau budgetieren, der Aufwand von Gehaltserhöhungen findet nur zu diesen Zyklen statt und lässt sich damit gut planen und – am allerwichtigsten – wir schließen charakter- und geschlechterspezifische Ungleichheiten eher aus, als wenn jeder für sich kämpft und nur die Maulhelden dabei gewinnen.

Zusammenfassung

Noch einmal auf einen Blick, was man braucht, um ohne das für alle Beteiligten unsinnige Prozedere des Entgelttransparenzgesetzes eine gut vermittelbare Vergütungsstruktur ins Unternehmen zu bringen:

  1. Clustern: Internes Job Mapping, um Vergleichbarkeit verschiedener Jobfamilien hinsichtlich der Gehaltsbänder zu erreichen.
  2. Benchmarking der internen Gehaltsbänder am externen Markt, um überhaupt eine Vergütungsstrategie für Recruiting und Retention zu entwickeln und damit am Markt konkurrenzfähig zu bleiben.
  3. Mindestens jährliche Gehaltsrunden für alle Mitarbeiter, um individuelle Verhandlungen und damit Unfairness zu minimieren.
  4. Disziplin beim Einhalten der Bänder und Zyklen, auch wenn sich nicht immer begründete Ausnahmen vermeiden lassen werden.
  5. Gute Manager, die diese Bänder und Zyklen zum Performance Management und zur Mitarbeiterzufriedenheit unter der Hilfe des People Teams (aka der Personalabteilung) einsetzen können.

Für die Schritte 1. bis 3. benötigen Sie immer wieder etwas Geld, Zeit und Expertise. Machen Sie das und dann vergessen Sie das Entgelttransparenzgesetz, denn es wird Sie nie jemand damit belästigen müssen.

Gilbert Dietrich ist seit 2017 Executive Director People Team bei der IBM-Tochter Aperto. Zuvor war er in der Personalleitung von Unternehmen wie SoundCloud und Unister. Gilbert Dietrich ist studierter Philosoph, ausgebildeter Coach und Autor des philosophischen Online Magazins Geist und Gegenwart.

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