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Sprachenlernen? Beziehungen managen!

Die EU forciert seit Längerem neue Ansätze beim Sprachenlernen. Im Mittelpunkt steht dabei, Sprache als soziales Handeln zu verstehen. Klett hat jetzt den Begleitband zum europäischen Referenzrahmen veröffentlicht. Sebastian Weber ordnet das Grundlagenwerk ein.

Das Erlernen fremder Sprachen weist weit über Grammatik und Vokabeln hinaus: Das hat 2001 der „Gemeinsame europäische Referenzrahmen für Sprachen“ (GeR) des EU-Ministerrats systematisch aufbereitet und empfehlend forciert. Bekannt sind die dort europaweit definierten und für anerkannte Sprachzertifikate wichtigen Kompetenzniveaus von A1 bis C2, mittlerweile noch um eine Vorstufe erweitert. Der Referenzrahmen macht auch Lehrpläne vergleichbar und formuliert, was als Kommunizieren in fremder Sprache anzustreben ist, auch differenziert nach beruflichen und sozialen Anforderungen.

„Ein revolutionäres Werk“, sagt Sebastian Weber, der im Ernst Klett Sprachen Verlag die Redaktion für Deutsch als Zweit- und Fremdsprache (DaZ/DaF) leitet. Die EU hat das GeR-Konzept mittlerweile präzisiert, Lücken geschlossen und Anforderungen aktualisiert. Mit großem Aufwand und unter Beteiligung von mehr als 1000 Sprachexperten ist ein GeR-„Companion“ entstanden, der jetzt von Klett als „Begleitband“ auf Deutsch herausgebracht wird. Kooperationspartner ist das Goethe-Institut, das weltweit den Deutsch-Spracherwerb fördert, selbst Sprachkurse veranstaltet und zuletzt u.a. gemeldet hat, dass 13.400 Lehrkräfte für Deutsch als Fremdsprache an seinen Fortbildungs- und Qualifizierungsprogrammen teilgenommen haben. Lehrer und Lehrerinnen sowie Gestalter von Lehrplänen und Materialien sind die Hauptzielgruppe des GeR.

Schwerpunkt Lernen Wissen Sprachen – im buchreport.magazin 04/2020

 

Mediation als zentrale Kompetenz

Bei den Verfeinerungen und Ergänzungen des „Begleitbands“ ist Mediation der am meisten beachtete Begriff, der hier über das landläufige Verständnis der juristischen oder psychologischen Konfliktvermittlung hinausweist, wie Sebastian Weber im nachstehenden Interview erläutert: Es geht beispielsweise auch darum, zwischen Teilnehmern unterschiedlicher Sprachen und Kulturen zu vermitteln oder auch internationale Teams moderieren zu können. Mediation ist ausdifferenziert in:

  • Einen Text sprachmitteln: u.a. Daten, Schaubilder erklären, Notizen anfertigen, einen Text übersetzen
  • Konzepte vermitteln: Gruppenarbeit anleiten und in einer Gruppe kooperieren
  • Kommunikation vermitteln: u.a. in heiklen Situationen moderieren
  • Strategien/Konzepte erläutern
  • Strategien zur Textvereinfachung nutzen.

 

Zielführende Kommunikationsstrategien

Dabei rückt zwangsläufig das klassische Sprachlernziel in den Hintergrund, so nahe wie möglich an die Fertigkeiten eines Muttersprachlers heranzukommen. Kommunikationskompetenz gilt jetzt wichtiger als die linguistische Korrektheit. Es geht in dem fortgeschriebenen GeR viel stärker darum, Menschen in die Lage zu versetzen, über sprachliche und kulturelle Unterschiede hinweg Beziehungen zuein­ander aufzubauen und zu managen sowie zielführende Kommunikationsstrategien zu verfolgen. Statt wie in der Vergangenheit z.B. in Englischkursen die britische oder amerikanische Diskussionskultur zu vermitteln, müsse heute berücksichtigt werden, dass viele Verhandlungen auf Englisch geführt und Konferenzen auf Englisch von Menschen abgehalten werden, die keine Muttersprachler sind.

Thomas Wilking  wilking@buchreport.de

»Viel mehr als der treffende Ausdruck«

Wie sich die Anforderungen ans Fremdsprachenlernen weiter ausdifferenzieren

Sebastian Weber (Foto: Ernst Klett Sprachen)

Sebastian Weber (Foto) hat Germanistik studiert und arbeitet seit 1993 in verschiedenen Positionen in der Klett Gruppe. Seit 2016 ist er Redaktionsleiter im Bereich Deutsch als Zweit- und Fremdsprache. 

Deutsch als Fremdsprache ist durch die Flüchtlingszuwanderung stark ins öffentliche Bewusstsein gerückt. Wie entwickelt sich der Markt?

Die Flüchtlingszuwanderung hat für eine besondere Nachfrage und Aufmerksamkeit gesorgt, aber der Bedarf für Deutsch als Fremdsprache ist sehr viel breiter gestreut, beispielsweise auch durch Binnenmigration in Europa. Die Herausforderung besteht darin, dass wir uns auf sehr unterschiedliche Zielgruppen einstellen müssen. Das Spektrum reicht von Menschen mit vergleichbarer Schulbildung bis zu solchen, die keine Alphabetisierung erfahren haben, zumindest nicht in unserem Schriftsystem. Diese Heterogenität ist bei der Entwicklung von Materialien zu beachten und für die Unterrichtenden eine Riesenherausforderung.

Welche Rolle spielt der europäische Referenzrahmen für Sprachen? Was sehen Sie als seine Hauptleistung?

Er forciert in vielen Facetten einen handlungsorientierten und differenzierten Spracherwerb. Sprache wird im kulturellen Rahmen gesehen und als umfassende Kommunikation verstanden. Und natürlich hat er mit den Niveaubeschreibungen erstmals eine transparente Systematisierung von Spracherwerbsstufen geleistet.

Die sprachliche Grundverständigung in einer Fremdsprache steht nicht mehr im Vordergrund?

Sie gehört dazu, aber die bloße Übersetzung und funktionale Nutzung der Sprache wird im Alltag immer mehr automatisiert. Das funktioniert schon sehr gut und es gibt auf diesem Feld riesige Entwicklungsfortschritte. Den Fremdsprachenunterricht aber wird auch stark prägen, was darüber hinausgeht. Dafür braucht es interkulturelles Wissen und ein Verständnis für Metaebenen.

Es ist dabei viel von Mediation die Rede. Was heißt das in diesem Zusammenhang?

Mediation ist der meistgehypte Begriff. Er weist hier über das land­läufige Verständnis der juristischen oder psychologischen Konfliktvermittlung hinaus. Es geht heute weniger darum, in der gelernten Sprache mit einem Muttersprachler gut zu kommunizieren, sondern um Sprachmittlung im weitesten Sinne, auch zwischen Teilnehmern unterschiedlicher Sprachen zu vermitteln, weil zum Beispiel wichtig wird, in einem internationalen Team arbeiten und moderieren zu können.

Stichwort „plurikulturelle Kompetenz“…

Verstehen, dass es nicht nur um den treffenden sprachlichen Ausdruck geht, sondern dass Sprache in unterschiedlichen Kontexten stattfindet. Ein einfaches Beispiel sind Begrüßungsrituale: Küsschen, Händeschütteln oder Verbeugen. Das Fremdsprachenlernen wird erweitert auf eine übergreifende kommunikative Kompetenz. Es geht darum, eine Sensibilität für die Unterschiede der Herkunft- und der Zielsprache zu entwickeln.

Welche Spuren hinterlässt die digitale Kommunikation?

Auch die gehört zum handlungsorientierten Spracherwerb. Sie stand im Referenzrahmen 2001 noch nicht im Fokus, aber jetzt im Begleitband: Wie schreibe ich einen Blog, wie nutze ich Messenger-Dienste, was ist bei Mails zu beachten. Die Regeln dieser Textsorten müssen vermittelt werden.

Welche Rolle spielen neben allgemein-kultureller Kommunikationskompetenz konkrete Handlungs­situationen?

Es gibt für viele berufliche Anforderungen spezielle Angebote, beispielsweise in der Pflege, wo Menschen in unser Gesundheitssystem integriert werden mit großen Anforderungen an sprachliche und berufliche Kompetenz. Ein anderes Beispiel: Wir arbeiten gerade an einem Lehrwerk für Studierende. Diese recht große Zielgruppe braucht nicht nur allgemeine Sprachkenntnisse, sondern muss auch in ihrer Studierfähigkeit gestützt werden: wie man in einer Vorlesung Notizen macht, Themen in einer Präsentation auf­bereitet, eine Hausarbeit schreibt. Solche spezifische Verarbeitung von Sprache muss in einem Sprachlehrwerk heute vermittelt werden.

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