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Unterm Strich bleibt weniger als Hartz IV

Albert Sellner (71, Foto: Marie-Theres Deutsch) gründete 2002 ein Online-Antiquariat, das sich auf Titel der bibliophilen Buchreihe „Die Andere Bibliothek“ spezialisiert hat. Sellner, der zuvor u.a. Autor, Lektor und Literaturagent war, muss jetzt das Unternehmen Sellner, Stein & Partner schließen.

Warum geben Sie auf?

Seit fünf, sechs Jahren gehen unsere Umsätze rapide zurück, obgleich sich die Zahl unserer katalogisierten Bücher stetig ausgeweitet hat. Zum Schluss hatten wir etwa 50.000 Einzeltitel im Angebot. Noch schlimmer hat es die Erträge erwischt. Die regelmäßige notwendige Anpassung an die Marktlage hat den Durchschnittspreis von etwa 19 Euro im Jahr 2007 auf aktuell 6 Euro pro bestelltem Buch gesenkt. Das führte zu einer Verdreifachung des Arbeitsaufwandes für denselben Umsatz und einem immer weiter sinkenden Ertrag für uns Betreiber. Damit wurden sowohl Kapitalreserven zum Erwerb attraktiver Nachlässe wie auch ein vernünftiges Einkommen verunmöglicht. Wenn unterm Strich weniger als Hartz IV herauskommt, dann fragt man sich schon, ob man dafür eine 50-Stunden-Woche durchackern will. Und nebenbei: Es macht auch einen Unterschied für die eigene Psyche, ob die Produkte, die man anbietet, wertgeschätzt oder geringgeachtet werden.

Was sind die Gründe für den Preisverfall am antiquarischen Buchmarkt?

Die Generation klassischer Sammler und bibliophiler Leser ist in die Jahre gekommen, in denen viele abtreten. Die Sterberate steigt und mit ihnen wächst die Zahl vererbter Nachlässe, die auf den Online-Märkten landen. In den klassischen Feldern wie Belletristik, Biografie oder Reise sind kaum mehr kostendeckende Preise erzielbar. Von den Nischen verschwindet ebenfalls eine nach der anderen. Uns hat es mit unserem Spezialgebiet der „Anderen Bibliothek“ hart getroffen. Es gab seit 1985, dem Gründungsjahr der Reihe durch Hans Magnus Enzensberger und Franz Greno, Tausende von Abonnenten, die 30 Jahre später ein stets wachsendes Kontingent vererben. Und das landet jetzt auf dem Internetgroßmarkt. Die Folgen: Die Durchschnittspreise lagen im Jahr 2007 für vergriffene AB-Erstausgaben noch bei 40 Euro, die limitierten Lederbände bei 75 Euro; heute sind wir froh, wenn wir 20 Euro im Schnitt für die Original- und 30 Euro für die Lederbände bekommen.

Liegt es nur an Titeln zur „Anderen Bibliothek“?

Nein, im wissenschaftlichen und Sachbuchbereich kommt die zunehmende Digitalisierungswelle bei Archiven und Bibliotheken hinzu. Alle wichtigen Enzyklopädien und Lexika, viele Zeitschriften und Zeitungen ab dem 18. Jahrhundert sind schon im Internet online verfügbar. Wenn ich die deutschsprachigen Zeitungen von vor hundert Jahren lesen will, habe ich eine Auswahl von mindestens hundert Journalen zwischen Berlin, Luxemburg, Bern, Bozen, Czernowitz, Budapest, Lemberg und Prag. Wer kauft da noch alte Jahrgänge einer Zeitschrift? Und natürlich hat auch die E-Book-Welle die Kaufbereitschaft für Printprodukte unterspült.

Welche Rolle spielt Amazon?

Ein großer Schlag war die Übernahme des ZVAB durch die Amazon-Tochter Abebooks. Daraufhin wurden die Geschäftsbedingungen für die über 4000 angeschlossenen Antiquariate verschlechtert. Die im ZVAB installierte „Antiquaria“-Oberfläche für Buchhändler wurde einfach abgeschafft , was bei uns zu einem massiven Rückgang der Buchhandelsbestellungen führte. Dafür arbeitet Amazon mit Ramschanbietern wie Medimops und Rebuy zusammen, die Bücher für ein paar Cent anbieten. Diese Preispolitik schafft bei den Verbrauchern das Gefühl, Bücher müssten so billig wie alte Klamotten aus dem Second-Hand-Shop sein.

In der Buchbranche sehen viele das bibliophile Buch als Chance angesichts der Digitalisierung. Stimmt diese These, obwohl doch ausgerechnet Ihr Antiquariat als Spezialist für die „Andere Bibliothek“ aufgeben muss?

Da bin ich in der Tat skeptisch. Viele bibliophile Ausgaben landen doch in relativ kurzer Zeit im Modernen Antiquariat. Oder sehen Sie den Preisverfall bei den wunderbaren Winkler-Klassikern oder bei Tusculum. Also Wertsteigerungen bei bibliophilen Buchreihen, wie es sie ursprünglich etwa bei der „Anderen Bibliothek“ gab, sind mir aus dem letzten Jahrzehnt nicht bekannt.

Gibt es noch Bereiche im antiquarischen Handel, die vom Preisverfall ausgenommen sind?

Ja, nach meinem Eindruck Autografen, Kunst, signierte Bücher von ganz hoch einzustufenden Autoren wie Thomas Bernhard oder W.G. Sebald. Hinzu kommen Nischen, in denen noch authentisches Sammlerinteresse herrscht wie Jagd, Schiffe, Flugzeuge, Teppiche, Comics.

Sie hatten das Online-Antiquariat 2002 gegründet, weil Sie endlich einmal konkrete Dinge verkaufen wollten. Haben Sie diese Entscheidung bereut?

Zunächst nicht, weil es ein Befreiungsgefühl war, wie es manche haben mögen, die aus Unternehmens- oder Staatsbürokratien aussteigen, um dann Bauer oder Kunstschreiner zu werden. Aber seit 2008 begann der Zweifel an der Entscheidung zu nagen. Nun ist es zu spät. Man muss auch einsehen, wenn man verloren hat.

Die Fragen stellte Till Spielmann

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