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Thees Wullkopf: Die Konzentration bedroht die Vielfalt

Thees Wullkopf: Die Konzentration bedroht die Vielfalt

Vorbei ist sie, die Frankfurter Buchmesse. Und schön war sie. Ein beeindruckender und sympathischer Auftritt des klein-aber-oho-Gastlandes Island bei strahlendem Sonnenschein und 1% mehr Publikum. Doch wer hinter die Kulissen guckte, insbesondere in Halle 4.0 spürbar, der nahm auch das alles überlagernde Thema im Hintergrund sehr schnell auf: die Konzentrationswelle.

Einer der weltgrößten Verlagskonzerne, Pearson Education, schluckt den größten Anbieter im deutschsprachigen Lernhilfen-Bereich, den Stark Verlag (hier mehr). Thalia spannt ein länderübergreifendes Netz an Kooperationen, zuletzt mit dem marktführenden Unternehmen in England, und bei den Barsortimenten begibt sich Könemann unter den Schirm von Libri (hier mehr). Libri.de vermeldet den Zugang vieler Buchhändler und Vereinigungen unter seine Webshop-Lösung und verbreitet stolz des Volkes Meinung zum Thema „Bestes Download Portal“ für elektronische Medien als Sonderdruck der „Computer-Bild“. Marktkonzentration an allen Fronten – die Sortimente haben das unter dem Stichwort Filialisierung ja schon vor Jahren hinter sich gebracht.

Es ist richtig und notwendig, dass es in einer Branche im Wandel Marktbereinigungen gibt, ohne Zweifel. Und solche Veränderungen oder das Verhalten der einzelnen Marktteilnehmer sind auch in der Regel nachvollziehbar.

Hier setzt meine grundlegende Kritik und der Aufruf zur Veränderung an. Wenn ein großer Marktteilnehmer an strategischer Stelle – einem Nadelöhr im Warenumschlag, von Warendaten und notwendiger IT-Infrastruktur – in arroganter Weise das Überleben der kleineren Marktteilnehmer auf eine Rechenformel von Vorschulkindern verkürzen und messewirksam lancieren kann, dann zeigt das vor allem Eines: Die Konzentration bedroht an bestimmten Stellen die Vielfalt im Buchmarkt. Nämlich dort, wo die technischen oder logistischen Anforderungen so hoch werden, dass nur noch sehr wenige Marktteilnehmer diese Zugangsanforderungen stemmen können.

Hier und nur hier empfinde ich Marktbereinigung als bedrohlich. Das ist auch der wesentliche Unterschied zur Filialisierung bei den Sortimenten. In diesem Umfeld sind innovative Buchhändler gefragt, sich durch eigene Stärken und Konzepte zur Wehr zu setzen. Und das tun die auch. Wehrhaft und gut, wie der Rückzug von Thalia in Braunschweig oder erfolgreiche, regional bezogene und wachsende Filialkonzepte, wie etwa Steffen Buch in Mecklenburg Vorpommern oder die Buchhandlung Fischer am Niederrhein beweisen. Wo sich das Angebot der Möglichkeiten hingegen auf teilweise monopolistische Strukturen an Schlüsselstellen verkürzt, bedroht es die Vielfalt im Buchmarkt als Ganzes in bisher nicht gekannter Weise.

Wenn die Rechenkunst im einstelligen Zahlenraum Recht behält, dann ist die Zahl 55 etwa nahe bei unendlich angesiedelt. Anders ausgedrückt: Zukunftskonferenz, Thesen und Kopfzerbrechen – alles kalter Kaffee. Der Börsenverein hat bei sechs Mitgliedern in einer Sparte (Zwischenbuchhandel) nicht mehr die geringste Existenzberechtigung. Das überaus segensreiche Kulturinstrument Börsenverein mit seinen alles umspannenden drei Sparten zerfällt dabei automatisch. Denn die sechs (oder hat sich dar gar ein Rechenkünstler in aller Bescheidenheit doppelt gezählt und kommt beim Zusammenzählen nur bis fünf?) würden ihre Interessen einfacher und schneller im trauten Kamingespräch abstimmen. Die übrig bleibenden Sortimente organisieren sich dann in einem Verein analog zum VdS, dem Verband der Schulbuchverlage. Dort säßen dann die Vertreter der Ketten mit denen von eBuch, AUB, EK Servicegroup und LG Buch zusammen, unterhalten ein gemeinsames Koordinationsbüro und Ende.

Was hat das nun mit der MVB zu tun? Ganz viel aus meiner Sicht. Die MVB bündelt zunächst einmal die Wirtschaftsinteressen des Börsenvereins, also seiner Mitglieder in einer GmbH. Das ist keine gemeinnützige GmbH, also hat sie zunächst das Interesse der Gewinnerzielung im Auge. Das geht aber bei einem Gesellschafter, der die Interessen einer ganzen Branche wiedergibt, also quasi gemeinnützig denken muss, zwangsläufig in selbiges. „Für 2010 wird ein Umsatz in der Größenordnung von EUR 19 Mio. und ein Ergebnis vor Steuern von EUR 0,7 Mio. geplant“, gibt sich bei der MVB Ronald Schild alle Mühe, die man von ihm als Geschäftsführer einer GmbH erwarten kann.

Und da komme ich zurück zum Beispiel des Sonderdrucks der Computer-Bild. Platz eins Libri.de, dann natürlich die üblichen Verdächtigen, mit Amazon dabei. Irgendwo im Mittelfeld dann auch Libreka. Was sagt uns das? Ganz einfach: Wirtschaft können privatwirtschaftlich organisierte, gewinnorientierte Firmen besser. Und wenn das Volkes Stimme sagt, dann gibt es keinen Zweifel daran, dass das stimmt.

Wenn man den Geschäftsbericht weiter liest, erfährt man folgende Einschätzung zum Produkt „Buchjournal“ der MVB: „Trotz der starken Konkurrenz hat es seine Position am Buchhandelsmarkt als führendes Kundenmagazin gehalten.“ Allenthalben konnte man in der Vergangenheit einen Aufschrei der Betroffenen hören über MVB-Produkte, nach der Art „Warum macht der Börsenverein seinen eigenen Mitgliedern Konkurrenz bei Produkten, die es im Markt schon in reichhaltiger Form gibt?“. Diese Einschätzung teile ich uneingeschränkt. Wenn die MVB schon selbst einen großen Konkurrenzdruck verspürt, gibt es dann einen Grund, mit der Branchenplattform in funktionierendem Markt mitzuwirken? Ich meine: ganz klar nein. Zumal dann andere Marktteilnehmer es besser machen, mit klarer Ausrichtung und einen funktionierenden Außendienst, der regelmäßig prüft, ob das, was da erfunden wird, auch das ist, was der Kunde will. Siehe Computer-Bild und Libreka.

Und da liegt in meinen Augen der grundlegende Fehler, in der grundlegenden Zielsetzung für die Geschäftsführung durch die Gesellschafter der MVB. Die MVB ist nämlich in erster Linie nicht auf Gewinn angelegt, sondern als branchenpolitisches Instrument aller Sparten gedacht zum Erhalt der Vielfalt bei Fragen, die mit wirtschaftlicher Betätigung zu tun haben. Die MVB soll da tätig sein, wo die Marktteilnehmer als Einzelne überfordert sind. Wo durch Monopolisierung Verarmung der Vielfalt droht. Nicht Aufgabe der MVB ist es hingegen, dort, wo ertragreiche Marktlücken erkannt werden, diese zu füllen. Aufgabe der Gesellschafter der MVB ist es, diese Themenfelder zu erkennen, zu bewerten und der Geschäftsführung die Ziele vorzugeben.

Praktisches Beispiel: VLB. Als der Abmahnkrieg im Internethandel auszubrechen drohte, weil jeder jedem unlauteren Wettbewerb durch falsche Preisangaben im Webshop, irgendwo im Millionen Titel umfassenden Katalog, nachweisen konnte, waren auch sehr große Marktteilnehmer schnell einverstanden, drohendes Unheil durch eine neutrale Referenzdatenbank, das VLB, abzuwenden. Das VLB ist ein von allen Marktteilnehmern akzeptiertes, notwendiges, strategisches Werk, das wirtschaftliche Bedeutung hat. Es ist eine Kernaufgabe und Kompetenz der MVB.

Alle nutzen es. Es hat auch einen wirtschaftlichen Wert. Der wird vermarktet, um es zu finanzieren. Für lächerliche 1000 Euro im Monat kann man darauf zurückgreifen, seine eigenen Kataloge füllen.

Lächerlich? Für Amazon und die Barsortimente stimmt das sicherlich. Für die sonstigen Marktteilnehmer wohl eher nicht. Die setzen sich abseits der Messe in Klagerunden zusammen, überlegen Petitionen an die Bürgermeister und Stadträte, mit der Bitte, den Büchereien die Nutzung der zur Verfügung gestellten Kataloge mit bunten Bildchen zu untersagen. Ungeheuerlich ist das Signal! Buchhändler wollen den öffentlichen Büchereien in feindlichem Akt die Nutzung hilfreicher Informationen untersagen lassen, tun das sogar in einigen Kommunen bereits erfolgreich, warum? Was ist da passiert?

Die Hersteller von Bibliothekssoftware sind selbstverständlich kundenorientiert. Sie wollen kostengünstig und einfach gute Information möglichst günstig zum Kunden, in ihrem Falle zu den Büchereien, bringen. Amazon stellt seinen Katalog jedem zur freien Nutzung zur Verfügung. Also wird dieses Angebot gerne von den Softwareherstellern, die kein eigenes Interesse an dem Buchverkauf haben, aufgegriffen und der Katalog in der Software bereitgestellt. In Folge haben viele Büchereien schöne bunte Bilder und sind nur einen Klick von Amazon als Beschaffungslieferant entfernt. Und das beruhend auf Daten der Branchenplattform VLB und zum Nachteil der Masse seiner Mitglieder. Gehört eigentlich Amazon dazu, oder liefert das VLB das Ausgrenzugswerkzeug für die Sortimente aus der öffentlichen Buchbeschaffung?

Das VLB kostet nämlich nicht nur für die Verlage im Einstellen, sondern auch in der Nutzung Geld. Das gehorcht dem wirtschaftlichen Prinzip einer MVB GmbH, die versucht, ihre Produkte gewinnmaximiert zu vermarkten. Sinnvoll wäre die Lösung der freien Verwendung für alle, die zwar weniger Einnahmen bei der MVB erzeugt, aber ein Verbleiben im Geschäft für Marktschwache ermöglicht. Hierauf muss die Schaffenskraft der MVB als politisches Instrument gerichtet werden.

Ähnliches gilt aber auch für andere Produkte in den Kernkompetenzen. Mit Buchhandel.de, Libreka, der IBU, neuebuecher.de und ihrem neuen Onlineshop-Angebot verfügt die MVB über strategische Produkte, von denen man prüfen sollte, ob sie notwendig sind zur Erhaltung von Vielfalt oder nicht. Sind sie es, dann ist eine konsequente Umsetzung notwendig, dahingehend das Produkt auch für eine maximale Anzahl von Mitgliedern in kundengerechter Weise nutzbar zu machen. Sind sie es nicht, dann behindern sie den Markt, werden von diesem sowieso besser umgesetzt und gehören weg. Ganz weit weg und an den Höchstbietenden zur Verwertung verkauft.

Ich bin übrigens nicht grundsätzlich gegen einfache Rechenformeln. Mit 4+1 wurde einmal eine ganze Nation Zusammengeführt.

Thees Wullkopf ist Geschäftsführer in der Buchhandlung KiBuLa in Lippstadt. Bis 2010 war Wullkopf zunächst als Hauptmann in der Bundeswehr und anschließend als Berufsschullehrer aktiv.

Kommentare

1 Kommentar zu "Thees Wullkopf: Die Konzentration bedroht die Vielfalt"

  1. Sehr gut geschriebener Beitrag und wahrscheinlich spricht er vielen Inhabern von kleinen und mittlerern (und vielleicht auch einigen großen) aus dem Herzen. Danke!

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