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Strukturell oder kulturell – wie rettet man die verlegerische Vielfalt?

Die Studie des Beratungsunternehmens DIW Econ zur Förderung verlegerischer Vielfalt wirft kritische Fragen zur Methodik, zu den Indikatoren von Vielfalt und zu den vorgeschlagenen Maßnahmen auf. Ein Beitrag von Günther Fetzer. 

 

Die Kulturstaatsministerin Monika Grütters hat zum „Welttag des Buches“ eine von ihr in Auftrag gegebene Studie mit dem Titel „Aktuelle Bestandsaufnahme und Bedarfsanalyse im Bereich der Förderung verlegerischer Vielfalt auf dem Buchmarkt in Deutschland“ veröffentlicht. Erarbeitet hat das über 90-seitige Papier das bislang nicht durch Branchenexpertise hervorgetretene Beratungsunternehmen DIW Econ aus Berlin. Die Untersuchung kann auf einer Website der Bundesregierung abgerufen werden.

Günther Fetzer (Jg. 1946) ist Buchwissenschaftler. Nach Stationen am Deutschen Literaturarchiv (Marbach) und in den Verlagen Hanser, Heyne, Scherz, Droemer Knaur und der Verlagsgruppe Georg von Holtzbrinck war er von 2007 bis 2019 wissenschaftlicher Mitarbeiter und Lehrbeauftragter am Institut für Buchwissenschaft an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg. (Foto: privat)

Die Studie sieht „die verlegerische Vielfalt am deutschen Buchmarkt bedroht“ und macht dafür vier Indikatoren (Anzahl der Verlage, Anzahl der Veröffentlichungen und Konzentration der Veröffentlichungen nach Genres sowie nach Verlagen) aus.

Zur Bewältigung des konstatierten fundamentalen Strukturwandels schlägt das DIW Econ eine strukturelle Förderung vor, die auf zwei Komponenten beruht: auf einer ungebundenen Verlagsförderung und einer titelgebundenen Förderung durch Kostenzuschüsse. Die Kosten beider Maßnahmen werden mit 60 bis 70 Millionen Euro beziffert. Die durchschnittliche Fördersumme betrage ca. 25.000 Euro pro Verlag, was den durchschnittlichen gesamten Produktionskosten von ca. zwei Büchern entspräche.

Interessanterweise hat die Branchenpresse sich mit der mehr oder minder wortgleichen Wiedergabe der Pressemitteilung des Grütters-Ministerium begnügt – bis hin zu dem Selbstlob über die Einrichtung des Deutschen Buchhandlungspreises und des Deutschen Verlagspreises. Nur der buchreport hat sich kritisch mit der Studie auseinandergesetzt und seinen Bericht mit der treffenden Überschrift „Gießkanne mit extrabreiter Brause“ versehen.

Befasst man sich intensiv mit der detailreichen Untersuchung, so gibt es drei Hauptkritikpunkte:

  1. Methodik: Ist die Datenbasis einer schmalen und nicht repräsentativen Umfrage ausreichend?
  2. Indikatoren: Inwieweit ist die schlichte Zahl der Publikationen ein Anzeichen für verlegerische Vielfalt?
  3. Maßnahmen: Hilft eine strukturelle Förderung im Sinne von Masse statt Klasse? Stimmt das Verhältnis einer kleinen kulturell-qualitativen Förderung zur großen finanziellen strukturellen Förderung? Stimmen die Förderziele?

 

1. Kritik der Methodik

Eine der Grundlagen der Studie ist eine Umfrage unter Buchverlagen. Angeschrieben wurde – so die Autoren – eine „Vielzahl“ von Verlagen. Geantwortet haben 229 Verlage mit verlegerischem Schwerpunkt. Rechnet man die Verlage heraus, die keine Umsatzangabe gemacht haben, so verbleiben 194 für den Untersuchungsgegenstand relevante Verlage. Das entspricht 6,4 Prozent der rund 3000 Verlage, die nach den plausiblen Erläuterungen der Studie als Grundgesamtheit angenommen werden können. Das ist keine allzu breite Datenbasis.

Betrachtet man die Umsatzgrößenklassen der beteiligten Verlage, so ist eindeutig, dass die Kleinstverlage mit weniger als 17.500 Euro Umsatz pro Jahr deutlich unterrepräsentiert (21 Prozent in der Umfrage bei 36 Prozent in der Gesamtheit), die Kleinverlage mit einem Umsatz zwischen 17.500 Euro und 100.00 Euro deutlich überrepräsentiert sind (38 Prozent in der Umfrage bei 23 Prozent in der Gesamtheit). Die beiden Umsatzgrößenklassen 100.000 Euro bis 1 Million Euro und 1 Million bis 5 Millionen Umsatz pro Jahr sind entsprechend ihrem Anteil am Branchenumsatz adäquat repräsentiert. Die großen Unternehmen mit mehr als 5 Millionen Umsatz sind vierfach unterrepräsentiert.

Über die Gründe, warum die Beteiligung so weit auseinandergeht, kann nur gemutmaßt werden. Bei den Kleinstverlagen könnte das geringe Interesse darauf zurückzuführen sein, dass sie – im Jargon der Agrarförderung – wohl als Nebenerwerbsbetriebe einzustufen sind. Ihr Überleben beruht nicht auf dem Einkommen aus verlegerischer Tätigkeit. Vermutlich kommt hier die Komponente der Unterprofessionalisierung hinzu. Dieser Überlegung entspricht auch die Überrepräsentanz der Umsatzgrößenklasse 17.500 Euro bis 100.00 Euro, stehen doch vermutlich viele dieser Verlage vor der Frage oder an der Schwelle der Professionalisierung und haben daher naturgemäß ein hohes Interesse an (finanzieller) Unterstützung bei diesem Transformationsprozess.  Und die ganz großen Verlage waren vielleicht wegen ihrer Komplexität an der Teilnahme gehindert, denn an wen ging zum Beispiel bei Penguin Random House die Einladungs-E-Mail zur Beteiligung an der Umfrage?

Ob angesichts der geringen Zahl der Verlage und angesichts der Unwucht der repräsentierten Umsatzgrößenklassen die Umfrage als Basis für eine Handlungsempfehlung an die Politik dienen kann, ist doch deutlich in Frage zu stellen.

 

2. Kritik der Indikatoren

Doch nicht nur die statistische Basis wirft Fragen auf. Ob die rein numerische Betrachtung des Problems, ob also die Zahl der jährlichen Neuerscheinungen ein Indikator für die „verlegerische Vielfalt“ in Deutschland ist, muss kritisch beleuchtet werden. Zumindest in dieser Pauschalität ist die Aussage nicht zu belegen, weil entsprechende Detailuntersuchungen fehlen. Ein erheblicher Teil der Titelreduktion in den letzten Jahren ist auf die massive Rückführung der Taschenbuch-Novitäten gerade durch die großen Player zurückzuführen – der buchreport hat darüber regelmäßig berichtet. Insgesamt hat die Branche lernen müssen, dass ein höherer Titelausstoß der Rentabilität abträglich war.

 

3. Kritik der Maßnahmen

Ein weiterer Kritikpunkt ist die Prämisse, dass „eine strukturelle Förderung … zur effektiven Unterstützung der verlegerischen Vielfalt am deutschen Buchmarkt“ in der Lage sei. „Im Gegensatz zu einer kulturellen Förderung, welche nur ein bestimmtes qualitativ definiertes Teilsegment des Verlagswesens fördert, deckt eine strukturelle Förderung alle relevanten Segmente des Buchverlagswesens ab.“ Also Masse statt Klasse, wie die folgende Überlegung zeigt.

Ein zentrales Förderkriterium ist, dass der Umsatz des Vorjahrs unter einer Million Euro gelegen haben muss. Für das Jahr 2020 waren das nach der Umsatzsteuerstatistik des Statistischen Bundesamts 1560 Verlage. Hinzukommen die rund 1100 Verlage, die nicht durch die amtliche Statistik erfasst werden, da sie weniger als 17.500 Euro Umsatz pro Jahr erwirtschaften. Für diese rund 2700 Verlage stünden maximal 70 Millionen Euro an Fördersumme zur Verfügung, was im Höchstfall rund 25.000 Euro je Verlag ergibt. Das sind nach den Durchschnittszahlen der Studie die Produktionskosten von zweieinhalb Büchern pro Jahr. Da darf man schon die Frage stellen, ob durch die Erhöhung der jährlichen Titelzahl um 6750 Titel (2700 Verlage mal 2,5 Titel) die verlegerische Vielfalt am deutschen Buchmarkt gesichert werden kann.

Die Größenverhältnisse sind bezeichnend: Bis zu 70 Millionen Euro für eine strukturelle Förderung mit der ganz großen Gießkanne und 2 Millionen für eine kulturelle Förderung.

Ein Weiteres kommt hinzu: Die Unübersichtlichkeit der staatlichen Unterstützungsmaßnahmen für das Verlagswesen wird durch den Vorschlag einer strukturellen Förderung noch einmal erhöht. Der 2019 zum ersten Mal durch das Staatsministerium für Kultur und Medien vergebene Deutsche Buchpreis ist eine ausschließlich kulturelle Förderung: „Drei besonders herausragende Verlage“ erhalten eine Prämie von jeweils 60.000 Euro, „bis zu sechzig herausragende Verlage“ eine Prämie von jeweils 20.000 Euro. Voraussetzung für die Preiswürdigkeit ist, dass die Verlage in den vergangenen drei Jahren im Schnitt nicht mehr als drei Millionen Euro pro Jahr umgesetzt haben – also eine qualitative Förderung bei dreifach höherem Umsatzkriterium. Es wäre einer gesonderten Betrachtung wert, die Liste der prämierten Verlage zu analysieren. Ob es sinnvoll ist, Verlage finanziell zu unterstützen, der seit 30, ja seit über 50 Jahren erfolgreich in ihrem Marktsegment tätig sind und ob dadurch die verlegerische Vielfalt gefördert wird, kann zumindest bezweifelt werden.

Für diese „Förderung der kulturellen Vielfalt unabhängiger Verlage“ – so die Bezeichnung im Bundeshaushaltsplan – standen dort 2020   2 Millionen Euro zur Verfügung. Daraus wurde neben der Finanzierung des Deutschen Buchpreises unter anderem auch die Kurt Wolff Stiftung gefördert, die sich als „Interessenvertretung unabhängiger deutscher Verlage“ versteht. Die Größenverhältnisse sind bezeichnend: Bis zu 70 Millionen Euro für eine strukturelle Förderung mit der ganz großen Gießkanne und 2 Millionen für eine kulturelle Förderung.

Eine stringente Strategie sieht anders aus. Anzusetzen wäre bei den Defiziten der Kleinverlage. Diesen mangele es an Marktbeobachtung und Innovation, an effizienter Produktion und bei Marketing und Vertrieb, so eine wissenschaftliche Studie der Leipziger HWTK unter der Federführung von Friedrich Figge. Allerdings ist auch bei dieser Untersuchung die Datenbasis recht schmal, denn von 1700 angeschriebenen Kleinverlagen haben gerade einmal 89 geantwortet und 61 Rückmeldungen konnten in die Studie einbezogen werden.

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