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Streaming: Warum Hörbücher zwangszerstückelt werden

Johannes Haupt (Foto: privat)

Der Hörbuchmarkt boomt, auch bei Streaming-Plattformen wie Spotify und Deezer erfreuen sich eingesprochene Geschichten großer Beliebtheit. Der Hörgenuss wird hier aber oftmals getrübt durch eine extrem kleinteilige Untergliederung der Titel in einzelne kurze Tracks, die scheinbar keinem logischen Schema folgt. Die Ursache für den Streaming-Frust ist profan – und könnte einfach abgestellt werden.

Innerhalb einer stagnierenden Buchindustrie sind Hörbücher seit Jahren ein zuverlässiger Wachstumstreiber. Gerade erst legte der US-amerikanische Verlegerverband Zahlen vor, nach denen der US-Buchmarkt im ersten Quartal 2017 um magere 0,9% gewachsen ist, das Segment „Hörbuch-Downloads“ allerdings um ganze 28,8%. Neben Download-Shops und Abo-Angeboten wie der Amazon-Tochter Audible sind Hörbücher auch bei den großen Streaming-Plattformen ein Hit.

Hörbücher bei Streaming-Diensten: Aus vier Teilen werden 40

Allein Spotify kommt inzwischen auf mehr als 100 Mio Kunden. Mehr als 30 Mio davon haben ein kostenpflichtiges Premium-Paket, das ihnen neben Werbefreiheit auch die Möglichkeit einer Wiedergabe von Playlists „der Reihe nach“ auf Mobile-Apps ermöglicht. Das ist Grundvoraussetzung für eine sinnvolle Wiedergabe der vielen zehntausend Hörbücher, die bei Spotify zu finden sind und die sich jeweils in viele Einzelteile untergliedern. In sehr viele Einzelteile.

 

Die neueste Folge der Hörspielserie „Die drei ???“ etwa, „187 – und das silberne Amulett“, dauert marktübliche 1:07h. Auf der Audio-CD ist die Folge in 9 logische Kapitel untergliedert, die MP3-Kaufausgabe kommt sogar mit nur 4 Dateien aus. Bei Spotify hingegen besteht die gleiche ???-Folge aus satten 40 „Songs“ mit einer Einzellänge von 1:24min und 2:01min.

Was soll das? Aufschluss gibt eine Pressemitteilung des Auslieferers Bookwire von diesem Dienstag zur hauseigenen „technischen Lösung für die optimale Verwertung von Hörbuch-Content  (…), die an der Abrechnungslogik von Streaming-Portalen ausgerichtet ist“ (mehr dazu hier). Spotify, Napster & Co. vergüten Wiedergaben nämlich nicht etwa nach Hörminuten, sondern nach Anzahl der Tracks. 40 einzelne Mini-Kapitel bringen demnach 40 Mal so viele Erlöse wie ein zusammenhängendes Hörbuch exakt gleichen Inhalts.

Bookwire, das die Auslieferung von 35.000 Hörbücher verantwortet, hat darum „eine technische Lösung entwickelt, die automatisiert und in einwandfreier tontechnischer Qualität einzelne Audiobook-Titel in kleinere Track-Einheiten zerteilt“. Alles gut also? Naja.

Hörbuch-Zerstückelung: Viele Nachteile, nur Verlierer

Unter einwandfreien Rahmenbedingungen läuft ein gestreamtes Hörbuch respektive Hörspiel auch bei der gegenwärtigen Zerstückelung bündig durch. Aber wehe, wenn die Internetverbindung schwächelt und der nächste Mini-Track erst nach kurzer Wartezeit geladen wird. Solche Gedenksekunden können gerade bei einem Hörbuch, das seine Konsumenten ja in Beschlag nehmen sollte, schnell jeden Hörgenuss zunichte machen.

Wer einzelne Tracks default ein- oder ausfaden lässt oder Shuffle aktiviert hat, muss für jedes Hörbuch seine Einstellungen ändern. Und Gratis-Nutzer sind bei den meisten Streaming-Diensten ohnehin außen vor, weil sie Playlists nur in zufälliger Reihenfolge wiedergeben können. 

Der Ball liegt bei Spotify & Co.

Das Problem ließe sich ganz einfach damit lösen, dass die Streaming-Anbieter – zumindest für bestimmte Bereiche – nach Wiedergabezeit und nicht nach einzelnen Tracks vergüten. Im Bereich der eBook Flatrates macht es Amazon bei Kindle Unlimited, wo schon lange nach gelesenen Seiten und nicht nach gelesenen Büchern vergütet wird, vor wie es geht.

Aber dazu bräuchte es eben erst einmal ein Problembewusstsein der Streaming-Anbieter, dass mit der aus Verlagssicht ja leider derzeit wirtschaftlich absolut sinnvollen Hörbuch-Zerstückelung die eigene Nutzerschaft vergrault wird. Zumal es bei Kauf-Plattformen eben nicht nur oftmals ungekürzte Fassungen (zumindest bei Audible), sondern auch sinnvoll redaktionell aufgeteilte Vertonungen gibt.

Der Beitrag ist zuerst erschienen bei lesen.net, dessen Chefredakteur Johannes Haupt ist, und das zusammen mit lernen.net und schreiben.net ein Content Netzwerk im Bereich digitales Lesen und Lernen bildet. 

Kommentare

1 Kommentar zu "Streaming: Warum Hörbücher zwangszerstückelt werden"

  1. Johannes Stricker | 16. August 2017 um 15:10 | Antworten

    Absolut richtig- eigentlich gibt es nur Verlierer bei dieser aus Sicht der Hörbuchverlage notwendigen Tracksrückelung. Aber Alterntiven sind nah! Demnächst startet BookBeat in Deutschland: bei diesem Hörbuchanbieter fällt die lästige Trackunterteilung beim Streaming weg!

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