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Die zwei Pole unternehmerischen Erfolgs nachhaltig gestalten

Stabilität und Innovation sind die beiden Eigenschaften, die erfolgreiche Betriebe auszeichnen. Das Konzept der unternehmerischen Beidhändigkeit – Ambidextrie – steht heute für diese Pole. Wie können auch Medienunternehmen nachhaltig „beidhändig“ sein und bleiben?

Die Verlagsberatung Publisher Consultants hat das Konzept der Ambidextrie in die Diskussion der Medienbranche eingeführt. Olaf Deconinck, Anja Paquin und Luise Rößner von Publisher Consultants erklären es und zeigen seine Relevanz auch im Kontext der Nachhaltigkeit.

 

Unternehmen müssen heute mehr denn je für Stabilität und Effizienz sorgen, gleichermaßen aber auch nach vorne schauen und Innovationen auf den Weg bringen. Die Fähigkeit, derart unterschiedlich ausgerichtete strategische Pole ausgewogen zu handhaben, beschreibt das Konzept der Ambidextrie – „Beidhändigkeit“. Angesichts von aktuellen Krisen und Katastrophen ist es unumgänglich, die Zukunft eines Verlags nicht nur mit zwei Händen zu jonglieren, sondern sie auch auf sichere Beine zu stellen – indem die Ambidextrie in Corporate Social Responsibility (CSR) und ganzheitliche Nachhaltigkeit eingebettet wird. Wer das versteht und vermittelt, gewinnt in vielfacher Hinsicht.

Fühlte sich die Aufgabe, ein Unternehmen erfolgreich zu führen, in aller Regel früher schon anspruchsvoll an und hat uns täglich gefordert, liefern uns die aktuellen und sich überlagernden Krisen eine ganz neue Dimension von Herausforderungen.

Bei allen krisenhaften Eruptionen in Politik, Gesellschaft und Umwelt müssen Unternehmen sich selbst, ihren Mitarbeitenden und Partnern aber immer noch Stabilität und Struktur bieten und dabei regelbasiert funktionieren. Auch wenn vieles zwar geregelt ist, passiert um das Unternehmen herum immer mehr, das sich bestimmten oder nachvollziehbaren Regeln entzieht. Stichwort: unsichere Zeiten. Gleichzeitig müssen aber auch Innovation und das Sich-selbst-neu-Erfinden sowie die Nachhaltigkeit und Corporate Social Responsibility als permanente Prozesse verstanden und gemanagt werden. All das sind Themen, die in einer immer weniger oder gar nicht mehr einschätzbaren Zukunft immer kritischer werden.

 

Das Sichere für das Unsichere verlassen

„Das Sichere für das Unsichere verlassen“, so wie der italienische Künstler der Arte Povera, Alighiero Boetti, eines seiner Kunstwerke betitelte, kann auch als Aufforderung an Unternehmen gelten, sich mutig in die Unsicherheit zu begeben. Denn darin stecken Chancen und eröffnen sich viele spannende Optionen. Es ist also grundsätzlich eine positive Perspektive auf all das, was wir nicht kennen. „Das Unsichere“ wird heute mit den Akronymen VUCA oder BANI klassifiziert (siehe Infokasten) und beschreibt, wie volatil, unsicher, komplex und unbegreiflich unsere Welt ist, was viele Menschen (und Unternehmen!) ängstlich macht.

Alles fließt: VUCA und BANI. Grafik: Publisher Consultants.

Ob Unternehmen nun gewollt oder ungewollt das Sichere verlassen, in beiden Fällen braucht es dafür Orientierung und einen strukturellen Kompass, dies zu tun. Eine Möglichkeit ist die erstmals 1976 vom Soziologen Robert Duncan beschriebene Ambidextrie. Lange als konzeptionelles Schattengewächs weniger beachtet, in den 1990ern in den Halbschatten gestellt und heute wieder zunehmend in den Blickpunkt geraten, bietet die Ambidextrie – sinngemäß mit „Beidhändigkeit“ zu übersetzen – einen Rahmen und Regeln, um sich gesichert auf einen unsicheren Weg zu machen.

 

Ambidextrie: Effizienz und Innovation

Ein beidhändiges Unternehmen vereint dabei zwei völlig verschiedene Arbeitsweisen miteinander: das fehlervermeidende, prozess- und effizienzorientierte Umsetzen auf bekanntem Terrain (Exploitation) und das risikoaffine, explorative Ausprobieren von Neuem (Exploration).

Exploit und Explore – die zwei Pole der Ambidextrie. Grafik: Publisher Consultants.

Aber, wie so oft, ist es auch hier keine Frage von „Entweder-oder“, sondern vielmehr, wie es gelingt, beide Modi angemessen und individuell in die jeweilige Organisation zu integrieren, die eine Gleichzeitigkeit von Exploit und Explore zulässt und fördert.

Hierbei unterscheidet die Ambidextrie vier Möglichkeiten – und welche für eine Organisation die richtige ist, kann nur in einem individuellen Prozess und vor dem Hintergrund der ganz eigenen unternehmerischen Wirklichkeit entschieden werden:

  • Strukturelle Ambidextrie:

Bei der strukturellen Ambidextrie werden Explore- und Exploit-Modus in getrennten organisatorischen Einheiten gelebt. Bei den Einheiten kann es sich um verschieden große Bereiche handeln (Tochterfirmen, Abteilungen, Teams).

  • Eingebettete Ambidextrie:

Bei der eingebetteten Ambidextrie ist der Explore-Modus dauerhaft und neben dem Exploit-Modus gleichberechtigt in die Organisation eingebunden.

  • Sequentielle Ambidextrie:

Bei der sequentiellen Ambidextrie wechseln Explore- und Exploit-Modus sich im Zeithorizont ab. Auf Phasen des Explorierens, z.B. der Neukonzeption eines Produkts, folgen Exploit-Phasen, in denen das Produkt hergestellt und vertrieben wird.

  • Kontextuelle Ambidextrie:

Bei der kontextuellen Ambidextrie werden Explore- und Exploit-Modus im Arbeitskontext situativ ausgesteuert. Zur Entscheidung für einen Modus werden Merkmale, Situation, Aufgaben, Ziele und personenbezogene Aspekte betrachtet und analysiert.

Die vier Dimensionen der Ambidextrie. Grafik: Publisher Consultants. Quelle: Frey, Töpfer: Ambidextrie in Organisationen.

Ein bekanntes Beispiel für die kontextuelle Ambidextrie war Google mit seiner 20/80-Regel, in der Mitarbeitende 20%  ihrer Arbeitszeit für eigene Ideenfindungen und Projektentwicklungen verwenden durften. Der Ansatz ist bei Google mittlerweile abgeschafft, da die Gegensätzlichkeit der zwischen Explore und Exploit benötigten Mindsets, Skills und Arbeitsweisen auf Dauer eine Überforderung der Mitarbeitenden darstellte.

 

Ambidextrie auf nachhaltige Füße stellen

Kernziel der Ambidextrie ist, dass Unternehmen gleichermaßen effizient und prozessorientiert sowie innovativ und zukunftsgerichtet handeln. Vor dem Hintergrund der Klimakatastrophe und einer Zeit, die Stephen Hawking als „das Jahrhundert der Komplexität“ bezeichnet hat, erweitert sich die Anforderung jedoch: Die Ambidextrie bzw. der Exploit- und Explore-Modus muss heute eingebettet sein in eine Corporate Social Responsibility (CSR) und gelebte Nachhaltigkeit.

 

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In diesem Geflecht von Anforderungen müssen Unternehmen nicht nur Höchstleistungen bringen, sondern auch resilient sein, um allen Widrigkeiten zu trotzen. Und sie sollten sich die Frage nach dem permanenten Wachstum genauso kritisch stellen, wie sie die Auswirkungen ihrer Aktivitäten auf die Umwelt mitberücksichtigen müssen, was konkret sichtbar wird in ihrem CO2-Fußabdruck und nachvollziehbar in einem nicht-finanziellen Bericht, zum Beispiel auf Grundlage des Deutschen Nachhaltigkeitskodex (DNK).

Der wesentliche Punkt ist dabei: Nachhaltigkeit ist Innovation! Es gibt schon in der Zeit der frühen Industrialisierung Beispiele, die zeigen, dass die Lösung sozialer und sehr drängender Probleme (unerträgliche hygienische Bedingungen im viktorianischen London, Kindersterblichkeit in der Schweiz) ein Treiber für Innovation war und Unternehmen wie Unilever und Nestlé zu bahnbrechenden Lösungen geführt hat. Und auch der Management-Vordenker Peter Drucker war der Meinung, „jedes ungelöste gesellschaftliche oder globale Problem ist eine unentdeckte Marktchance.“ Nutzen wir sie!

 

Chefsache: die Aussteuerung zwischen Gegenwart und Zukunft

Die große Herausforderung besteht also darin, die einander bedingenden Spannungspole zwischen Stabilität, Innovation und Agilität und einer ganzheitlichen Nachhaltigkeit dynamisch auszusteuern – und das unverzüglich.

Deswegen ist es von zentraler Bedeutung, dass das Aufeinandertreffen der Welten von Exploit, Explore und Nachhaltigkeit durch das C-Level der Organisation gelenkt wird. Hierfür stehen fünf wirkungsvolle Hebel zur Verfügung:

  • Unternehmens- und Nachhaltigkeitsstrategie
    • klares Bekenntnis zur Ambidextrie
    • klares Bekenntnis zur Nachhaltigkeit/CSR
  • nachhaltige Struktur
    • klare Einbettung der Ambidextrie in die Organisation
    • klarer Aufbau nachhaltiger Strukturen und Verantwortlichkeiten
  • nachhaltige Prozesse
    • Kollaboration und Co-Kreation zwischen Kerngeschäft und Innovationsbereich
    • effiziente und ressourcenschonende Prozesse
  • nachhaltige Anreizsysteme
    • Anpassung der Anreizsysteme, damit kurzfristiger (messbarer) Erfolg nicht Vorrang hat vor langfristiger, innovativer Ausrichtung
    • Anreizsysteme, die nachhaltige Entwicklung mehr belohnen als kurzfristigen Gewinn
  • nachhaltige Personalentwicklung und Führungsverhalten
    • Entwicklung ambidextrer Führungsqualitäten als entscheidender Wirkfaktor
    • Nachhaltigkeit als zentrales Element von Know-how-Aufbau in allen Bereichen der Unternehmung

 

Kehrtwende: Vom Verzicht zum Gestaltungskonzept

Um die Hebelwirkung der genannten Aspekte voll zur Geltung zu bringen, ist eine Kehrtwende auch in anderer Hinsicht nötig: Bisher wird Nachhaltigkeit meist als „Verzichtserzählung“ formuliert oder wahrgenommen: Wir dürfen nicht mehr (so viel) fliegen, kein Fleisch mehr essen (oder zumindest nicht mehr so viel), nicht mehr Auto fahren und sollen auch noch auf eine ganze Reihe anderer Dinge verzichten. Häufig eingebettet in Krisen- und Katastrophenszenarien, machen derartige Nachhaltigkeitskonzepte niemandem Lust, sich damit zu befassen. Hinzu kommt, dass eine derart wahrgenommene Einschränkung der Handlungsfreiheit häufig zu Ablehnung und Widerstand gegenüber entsprechenden Maßnahmen führt.

Stattdessen ist es sinnvoll und erfolgversprechend, Nachhaltigkeit als Gestaltungskonzept zu verstehen, in eine kraftvolle Erzählung einzubinden und ein positives Narrativ im und für das Unternehmen zu entwickeln, das zu einer wahren Heldengeschichte wird. Von einem solchen Storytelling, das von Gewinn – in vielerlei Hinsicht! – statt Verzicht erzählt, profitiert die Organisation tatsächlich.

 

Nachhaltigkeit ist Teil der Lösung – nicht des Problems

Nachhaltigkeit bietet Stabilität. Im Dreiklang von Ökologie, Ökonomie und Sozialem liegt u. a. die Prozess- und Effizienzorientierung der Nachhaltigkeit. Dort verankert sich auch die Sinnorientierung der Organisation. Und hier liegt ebenfalls der schonende Umgang mit Ressourcen – und dies meint eben nicht nur die natürlichen, sondern auch die persönlichen Ressourcen und Bedürfnisse der Mitarbeitenden, das Soziale. Führt man dies gedanklich weiter, finden sich Effekte wie weniger Fluktuation durch einen positiv wahrgenommenen Purpose der Organisation. In Zeiten des Fachkräftemangels ist ein positives Employer-Branding ein Vorteil in der Gewinnung von Mitarbeitenden. Effizienter Einkauf von Ressourcen führt zu verbesserter Wirtschaftlichkeit. Die Liste der positiven Wirkungen lässt sich nicht beliebig, aber doch um eine ganze Reihe weiterer Punkte ergänzen.

Wenn wir das dringendste Problem unserer Zeit – die Erhaltung menschlicher Lebensgrundlagen innerhalb der planetaren Grenzen – in jeder Unternehmung als Innovationstreiber verstehen, erhalten wir Produkte und Dienstleistungen, die einen Beitrag leisten und damit Wirkung und Impact erzielen für eine lebenswerte Umwelt. Wir gewinnen dadurch alle – eine Zukunft für das Unternehmen und eine lebenswerte Umwelt und Wohlbefinden für die Menschen. Das ist das positive Narrativ, davon müssen wir erzählen – egal ob im Explore- oder Exploit-Modus. Jeden Tag aufs Neue.

 

Der Schweizer Buchhandels- und Verlags-Verband (SBVV) führt am 18. November in Zürich eine Fortbildungs-Veranstaltung zum Thema Geschäftsmodellentwicklung durch, die das Konzept der Ambidextrie aufgreift.

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