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Offen ist bei Open Access vor allem die Finanzierung

20 Jahre sind seit den ersten zarten Open-Access-Anfängen vergangen. 2017 ist das Modell zu einer relevanten Größe geworden, die dynamisch zulegt. Open-Access-Experte Sven Fund über den aktuellen Stand und die Aussichten.

Sven Fund ist Geschäftsführer der Beratung Fullstopp sowie des Open-Access-Anbieters Knowledge Unlatched. (Foto: privat)

Mit einem Anteil von 20% der wissenschaftlichen Zeitschriftenartikel ist Open Access (OA) in den vergangenen zwei Jahrzehnten eine relevante Größe wissenschaftlichen Publizierens geworden, mit einer weiterhin hohen Veränderungsdynamik. Die Zahl der Zeitschriften, die bereits vollständig nach Open-Access-Modell veröffentlichen, haben mittlerweile ein beeindruckendes Volumen erreicht. Der Zwischenstand 2016:

  • 3800 vollständig indexierte, renommierte Journals, komplett OA – eine Zahl, die jährlich um 2 bis 3% steigt
  • Insgesamt ca. 15.000 OA-Publikationen
  • Rund 400.000 Artikel im Jahr.

In diesem Jahr werden nach Schätzungen des Open Access Data & Analytics Tools der Marktforschungsfirma Delta Think immerhin eine halbe Milliarde US-Dollar für die sofortige freie Verfügbarkeit von Forschungsergebnissen ausgegeben. Das ist ein Wachstum von 18% gegenüber dem Vorjahr. Insgesamt sind dies zwar nur zwischen 4 und 9% der Mittel, die für die wissenschaftliche Informationsversorgung jährlich weltweit investiert werden, aber das Wachstum dieses Segments ist um ein Mehrfaches höher als das von Inhalten in klassischen Vertriebsmodellen.

Open Access wird sich gemäß den Projektionen weiter dynamisch entwickeln. Die Experten von Delta Think gehen jedoch davon aus, dass es noch mindestens zwei weitere Dekaden dauern wird, bis das Modell marktführend sein wird.

 

Open Access als Karriere-Katalysator

Aus Sicht von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern ist Open Access zunehmend attraktiv. Kein Forscher publiziert für sich selbst, ihm geht es um Sichtbarkeit, Rezeption und schließlich Anerkennung in Kollegenkreisen. Dass frei zugängliche Artikel deutlich mehr genutzt werden als solche hinter den Bezahlschranken von Verlagen, hat sich mittlerweile herumgesprochen und anfängliche Zweifel hinsichtlich der Reputation von Open Access weitgehend beseitigt. Und seit Universi­täten und Forschungseinrichtungen über OA-Fonds immer mehr Mittel zur Ver­fügung stellen und Forscher „angefüttert“ sind, um sogenannte Article Processing Charges zu finanzieren, übersteigt die Nachfrage von Autorenseite die finan­ziellen Möglichkeiten bei Weitem. Open Access dient, das ist mittlerweile klar, der Sichtbarkeit der eigenen Forschung und damit der wissenschaftlichen Karriere.

 

Reaktionen von Verlagen

Es ist noch nicht lange her, dass Verleger, die dem Modell offen gegenüberstanden, von ihren Kollegen als Nestbeschmutzer gesehen wurden – gerade in Deutschland. Allerdings haben sich die Verhältnisse mittlerweile deutlich geändert:

  • Autorinnen und Autoren machen ein Open-Access-Angebot immer häufiger zur Basis ihrer Publikationsentscheidung; so gibt es kaum noch einen Verlag, der kein OA-Modell anbietet.
  • Bei vielen Verlagen sind die Auswirkungen in Form stagnierender Einreichung von Artikeln in Zeitschriften des klassischen Verbreitungsmodells oder durch die Abbestellung von Abos schon heute so gravierend, dass sie reagieren müssen.

Die Auswirkungen im Markt sind frappierend: Die drei größten Anbieter, allesamt etablierte Großverlage, vereinigen fast 50% der Open-Access-Erlöse auf sich. Damit ist dieses Segment weltweit mit Sicherheit das am stärksten konsolidierte. Es ist eine Ironie der Geschichte, dass der wissenschaftspolitische Anstoß für Open Access die zunehmende Monopolisierung des Marktes gerade begrenzen wollte – passiert ist das Gegenteil.

 

Politik und Wissenschaft

Der entscheidende Druck für Open Access kommt nach wie vor aus der Politik. Beim Aufkommen des Modells traten weltweit vor allem die großen Forschungseinrichtungen und hierzulande besonders die Max-Planck-Gesellschaft als intellektuelle Vordenker und wirtschaftliche Wegbereiter auf. Mittlerweile ist OA auf höchsten politischen Ebenen angekommen. Die EU-Kommission mit ihrer Horizon-2020-Initiative drängt ganz massiv, bis zum Ende der Dekade mindestens 50% der öffentlich finanzierten Forschung für die Nutzer kostenfrei zugänglich zu machen. Ob die Schwelle zum Stichtag erreicht wird oder nicht: Es werden mittlerweile erhebliche Mittel bereitgestellt, um Open Access zu etablieren.

Horizon 2020

ist das mit einem großen Fördertopf ausgestattete Rahmenprogramm der Europäischen Union für Forschung und Innovation (2014 bis 2020). Als Förderprogramm zielt es darauf ab, EU-weit eine wissens- und innova­tionsgestützte Gesellschaft sowie eine wettbewerbsfähige Wirtschaft aufzubauen. Open Access ist darin fest verankert. Veröffentlichungen eines unter Horizon 2020 geförderten Projekts müssen grundsätzlich öffentlich und kostenfrei online bereitgestellt werden.

Die Motive Europas sind dabei weniger der hehren Wissenschaft geschuldet als einem zentralen Anliegen der Gemeinschaft: der Erhöhung der Wettbewerbsfähigkeit des europäischen Wirtschaftsraums. Die ist nach allgemeiner Überzeugung leichter zu erreichen, wenn Wissen allgemein zugänglich und damit rasch verwertbar ist.

Politischen Druck zugunsten von Open Access gibt es in Deutschland sowohl auf nationaler wie auf Länderebene:

  • Aufsehen hat in den vergangenen Wochen die Auseinandersetzungen um das Landeshochschulgesetz von Baden-Württemberg erregt. Es verpflichtet Wissenschaftler als Angestellte des Landes, unter Nutzung ihrer Urheberrechte wissenschaftliche Zeitschriftenbeiträge ein zweites Mal in einem Open-Access-Repositorium zu ver­öffent­lichen. Kritiker sehen darin eine Einschränkung der Wissenschaftsfreiheit, Unterstützer hingegen ein legitimes Mittel der Förderung freien Zugangs.
  • Bei den laufenden Verhandlungen der Hochschulrektorenkonferenz um bundesweite Lizenzverträge (Projekt „Deal“) mit den großen Wissenschaftsverlagen Elsevier, Springer Nature und Wiley lautet eines der definierten Verhandlungsziele: „Alle Publikationen von Autorinnen und Autoren aus deutschen Einrichtungen werden automatisch Open Access geschaltet.“

 

Erfolgsfaktor Finanzierung

Im Jahr 2017 stellt sich mit zunehmender Brisanz die Frage, woher die Finanzierung von Open Access künftig kommen soll. Wurden in den ersten Jahren des Modells Experimente oft aus Sondermitteln finanziert, ist heute klar, dass dies aufgrund der stark steigenden Nachfrage künftig nicht mehr reichen wird. Das rückt die überwiegend öffentlich finanzierten Bibliotheken, in ihrer Mehrheit entschiedene Förderer des Modells, in den Fokus der Diskussion:

  • Sie müssen aktiv ihre wirtschaftlichen Mittel aus der klassischen Erwerbung von Inhalten zur Finanzierung von Open Access umschichten.
  • Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in Universitäten und anderen Institutionen erhalten so deutlich mehr direkten Einfluss auf die Mittelverwendung.
  • Der klassische Bestandsaufbau der Bibliothek wird dadurch unmöglich.

Dazu müssen Abläufe zwischen Verlagen, neuen, spezialisierten Anbietern und der Bibliothek neu etabliert werden. In einem Segment, das für seine Innovationsfähigkeit nicht gerade berühmt ist, eine veritable Herausforderung. Und der Fachhandel, bei vielen Modellen bisher wich­tiges Bindeglied zwischen den Akteuren, bleibt bei Open Access bisher praktisch vollständig außen vor.

Klar scheint zu sein, dass bei der Finanzierung der wissenschaftlichen Informa­tionsversorgung die Bäume nicht in den Himmel wachsen. Zentrale Akteure wie die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) weisen seit Jahren darauf hin.

 

Illegale Modelle – ein Risiko für alle

Open Access ist nicht nur ein stark wachsendes Geschäftsmodell, es ist auch Tummelplatz für Initiativen, die sich deutlich jenseits der Legalität bewegen. Allen voran Sci-Hub, eine Piratenplattform, die mit rund 65 Mio Artikeln den Wissenschaftsverlegern den Schweiß auf die Stirn treibt: Es ist ein zentrales Repositorium entstanden, das unter einer einheitlichen Such­oberfläche praktisch alles publizierte Wissen der Welt kostenlos bereitstellt. Ähnlich wie die Musiktauschplattform Napster Anfang der 2000er-Jahre dürften Modelle wie Sci-Hub gerade deshalb nicht mehr zu stoppen sein, weil sie dem Anspruch der Nutzer – namentlich bei der Benutzerfreundlichkeit – deutlich besser entsprechen als die Angebote von Verlagen.

 

Open Access für Bücher

War Open Access bisher im wesentlichen ein Phänomen im Zeitschriftenmarkt, werden Verlage in letzter Zeit deutlich aktiver im Bereich des OA für Bücher. Parallelen zur Digitalisierung drängen sich auf, auch dort wurden Journalartikel deutlich eher als Bücher online gebracht. Kooperative Modelle wie Luminos und Knowledge Unlatched haben Finanzierungsmodelle aufgebaut, die Bibliotheken dabei helfen sollen, Mittel aus dem klassischen Erwerb in die Finanzierung von OA umzuschichten; der Eintritt großer Verlage steht unmittelbar bevor.

Kollektive OA-Finanzierung

Beim gängigen Open Access finanziert der Autor (bzw. seine Institution) die für Nutzer frei verfügbare Veröffentlichung. Eine Alternative ist eine Art Crowdfunding durch Bibliotheken: Statt wie herkömmlich ausgewählte Titel zu erwerben, werden gemeinsam Open-Access-­Publikationen finanziert oder bei Verlagen „freigekauft“. Beispiele:

  • Die 2012 gegründete Kooperative Knowledge Unlatched schnürt E-Book-Pakete mit ausgewählten Titeln für die kollektive Finanzierung durch Bibliotheken, mehr: www.knowledgeunlatched.org
  • Die University of California hat mit Luminos einen Fonds eingerichtet, in den verschiedene Bibliotheken einzahlen. Aus dem Fond werden Open-Access Publikationen kofinanziert, mehr: www.luminosoa.org

 

Wie geht es weiter?

Open Access hat sich für Verlage zu einem Wachstumsmodell entwickelt, das praktisch kein Marktteilnehmer mehr ignorieren kann. Bibliotheken sind nun nach Ansicht vieler Beobachter gefordert, die erforderlichen Mittel bereitzustellen, um die anfänglich politische Debatte zu weiterer ökonomischer Relevanz zu verhelfen. Dadurch ergibt sich eine Vielzahl von Herausforderungen, denn alle Beteiligten müssen die Wirksamkeit des Modells und damit die sinnvolle Verwendung von Mitteln belegen. Insofern ist Open Access mittlerweile ein integraler Bestandteil in der wissenschaftlichen Informationsversorgung geworden.

Sven Fund  sven.fund@fullstopp.com

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