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Für »barrierefreien« Kauf von Büchern

Mit der angebahnten Großfusion Thalia/Mayersche (hier geht es zum Dossier) hat die Jahrestagung der IG Belletristik und Sachbuch („IG BellSa“) am 24. Januar in München noch ein aktuelles Rahmenthema zur ansonsten eher grundsätzlichen Agenda bekommen. Die Publikumsverlage fürchten die weitere Handelskonzentration und die damit verbundenen neuen Argumentationstränge im Thalia-Konditionenpoker. Konditionenzugeständnisse an den Riesen würden wenig Spielraum lassen, um auch noch den Standorthandel zu stützen und/oder mit Zielgruppenmarketing die in den vergangenen Jahren verloren gegangenen Leser und Käufer zurückzugewinnen.

Das Käuferschwund-Thema, vor einem Jahr auf der IG-BellSa-Tagung von Börsenvereins-Marktforscherin Jana Lippmann mit der Präsentation der Studie  „Buchkäufer – quo vadis?“ in die Branchenöffentlichkeit getragen, steht auch in diesem Jahr auf der Tagesordnung. Nach „Quo vadis?“ heißt der neue Lippmann-Vortrag schlicht „Wie weiter?“.   

Sprecher der Publikumsverlage: Felicitas von Lovenberg, Andreas Rötzer, Annette Beetz (auf der IG-Tagung Belletristik Sachbuch 2018) (Foto: buchreport/TW)

Zum Käuferschwund und den darüber hinaus anstehenden Grundsatzthemen haben sich vor der Tagung die IG-Sprecher Annette Beetz (bis November 2018 bei Random House), Felicitas von Lovenberg (Piper) und Andreas Rötzer (Matthes & Seitz) im buchreport-Interview eingelassen.

 

Ein weiterer Umsatzeinbruch ist zwar ausgeblieben, aber 2018 wurden erneut weniger Romane verkauft: Wie ernst ist die Lage?

Felicitas von Lovenberg: Grundsätzlich ist es erfreulich, dass sich die Leser dem Sachbuch stärker zuwenden – darin drückt sich die wichtige Auseinandersetzung mit den drängenden Themen und Fragen unserer Gegenwart aus. Gleichwohl bedeutet das meines Erachtens nicht, dass das Bedürfnis nach gut erzählten Geschichten deshalb nachgelassen hat. In der von Ihnen genannten Statistik spiegelt sich vielmehr die Tatsache, dass wir im vergangenen Jahr keinen überragenden Roman-bestseller hatten, wie das in den Vorjahren oft der Fall war. Es gab einige sehr erfolgreiche Belletristiktitel, aber eben keinen Megaseller, der alles überstrahlt hat.

Die Käuferschwundstudie ist vergangenes Jahr vielfach präsentiert worden: Was kann die Branche nun tatsächlich tun, um Bücher gegen die zeitfressende Medienkonkurrenz zu positionieren? 

»Es gab im vergangenen Jahr eben keinen Megaseller, der alles überstrahlt hat.«

Annette Beetz: Im Rahmen der „Quo vadis, Buchkäufer?“-Workshops haben die Beteiligten zwei wichtige Initiativen erarbeitet, zu denen auf unserer Tagung der aktuelle Stand berichtet werden wird. Im Zentrum steht, Menschen sowohl zum Lesen zu motivieren als auch zum Buchkauf im stationären Buchhandel. Denn für die Positionierung von Büchern gegen andere Medien ist vor allem die breite Sichtbarkeit von Büchern und damit der Erhalt der Vielfalt der Buchhandelslandschaft im deutschsprachigen Raum entscheidend. Daran arbeiten Handel und Verlage gemeinsam und mit hohem Einsatz von Ressourcen und von Kreativität. 

»Für die Positionierung von Büchern gegen andere Medien ist vor allem die breite Sichtbarkeit und damit der Erhalt der Vielfalt der Buchhandelslandschaft entscheidend.«

Hier dürfen wir aber nicht stehen bleiben. Sie nennen die Studie zu Recht „Käuferschwundstudie“. Wir wissen, dass wir über den Buchhandel allein längst nicht mehr alle Zielgruppen und potenziellen Käufer erreichen. Das hat zum einen mit der notwendigen Selektion der Sortimente durch den Händler zu tun, zum anderen damit – und das ist nicht neu –, dass wir nicht alle Kundensegmente über den Buchhandel erreichen.

Was tun?

Beetz: Für den Fortbestand eines reichhaltigen Buchangebots ist es essenziell, den Kauf von Büchern dort zu ermöglichen, wo ein Kaufinteresse besteht oder wo es geweckt und umgehend bedient werden kann. Das schließt sämtliche Geschäftsmodelle und Handelsformen ein. Den Kauf von Büchern (format-agnostisch zu verstehen) „barrierefrei“ zu gestalten, stellt angesichts der Konkurrenz um die Zeitbudgets unserer Zielgruppen eine immer dringlichere Aufgabe dar. Es geht darum, sowohl den „wohlinformierten“ Buchkauf von Lesern inklusive guter Beratung zu fördern als auch den „spontan motivierten“ Buchkauf von Konsumenten. 

Den Spontankauf zu befeuern, dürfte die größere Herausforderung sein.

Beetz: Wenn wir es tatsächlich ernst damit meinen, dem Schwund von Buchkäufern wirksam begegnen zu wollen, dann müssen wir unsere Zielgruppen in ihrem Aufmerksamkeitsradius erreichen. Auch das ist übrigens nicht neu – nur die Diskussion über die Kanäle, in denen dies erfolgt und darüber, wer welche Kanäle bedient, gewinnt an Brisanz. Mir persönlich fällt es inzwischen daher wirklich schwer, nachzuvollziehen, warum eine Buchaktion wie zuletzt bei Aldi, zumal zu gebundenen Ladenpreisen, in den Fokus der Kritik rücken kann. Wie viele neue Leser und Buchkäufer und neue Fans konnten hiermit gewonnen werden? Wer sagt, dass davon nicht die gesamte Branche profitieren wird? 

»Mir fällt es wirklich schwer, nachzuvollziehen, warum eine Buchaktion wie zuletzt bei Aldi, zumal zu gebundenen Ladenpreisen, in den Fokus der Kritik rücken kann.«

Als Interessensgemeinschaft halten wir den Dialog zwischen Verlagen und Handel über probate Mittel zur Käufergewinnung für wichtig. Natürlich setzt das ein Klima des Vertrauens zwischen Verlagen und Handel voraus. Die Wachstums- oder gar Überlebensstrategie eines Händlers oder eines Verlags wird immer wieder Komponenten beinhalten müssen, die die Ziele des jeweils anderen zu gefährden scheinen. Dass wir gemeinsam, Verlag und Handel, unseren Zielgruppen, Lesern und den Buchkäufern verpflichtet sind, sollte uns einen und nicht entzweien. Ohne Vertrauen zueinander wird es aber nicht gelingen, unsere ganze schöpferische Energie auf dieses gemeinsame Ziel hin zu fokussieren. Wir sehen hier durchaus Entwicklungspotenzial. 

»E-Books können ausbleibende Käufe physischer Exemplare bisher nicht vollständig auffangen.«

Lässt sich der Absatzrückgang im physischen Buch digital kompensieren?

v. Lovenberg: Nein, nicht in Gänze. Zwar sind vor allem im Genre die E-Book-Anteile recht hoch und die Digital-label expandieren und wachsen. Dennoch können diese Entwicklungen ausbleibende Verkäufe physischer Exemplare bisher nicht vollständig auffangen.

Der stationäre Buchhandel signalisiert mehr Selektion und kürzere Verweildauer im Sortiment. Was bedeutet das für die Ausrichtung der Verlage?

v. Lovenberg: Vor allem, dass man immer mehr darüber nachdenken muss, welches Buch sich an welche Zielgruppe richtet – und wie man diese Relevanz sichtbar machen kann. Das ist die eigentliche Herausforderung. Neben gezieltem, messbarem, kreativem Marketing müssen wir neue Wege der Vermittlung suchen und gehen, um die Leser besser zu erreichen.

»Auf Dauer wird sich der stationäre Buchhandel, wenn er nicht wieder verstärkt auf inhaltliche Relevanz setzt, selbst abschaffen.«

Andreas Rötzer: Leider richtet sich die Verweildauer nicht mehr nach inhaltlicher Relevanz, sondern nach Umschlaggeschwindigkeit. Auf Dauer wird sich der stationäre Buchhandel, wenn er nicht wieder verstärkt auf inhaltliche Relevanz setzt, wie es viele unabhängige Sortimenter in der Mehrzahl tun, selbst abschaffen. Das Buch ist kein Produkt wie jedes andere und der Buchhändler kein Einzelhändler wie jeder andere, darauf sollte er stolz sein und sich nicht zum Büttel von Umsatzforderungen machen. Wir Verlage müssen uns aber selbst an die Nase fassen, da wir die Beschleunigung durch massiven Vertriebsdruck und Überproduktion noch befördern. Dagegen hilft nur noch mehr Sorgfalt bei der Buchherstellung, noch bessere Programme und keine austauschbaren Bücher.

Die Preisfrage: Die Publikumsverlage haben in den vergangenen Jahren die klassischen Preisgrenzen 9,99 Euro fürs Taschenbuch übersprungen und auch viele Hard­cover deutlich oberhalb von 20 Euro positioniert. Wie groß schätzen Sie die verbleibenden Preisspielräume ein?

v. Lovenberg: Wichtig ist, die Frage nach den Preisspielräumen aus Sicht der Konsumenten zu beantworten und nicht vornehmlich aus der des Handels. Im Taschenbuch und im Genre gelten andere Regeln und Erwartungen als bei edlen gebundenen Ausgaben, so wie die Preisfrage für etablierte Autoren häufig weniger sensibel ist als für neue Stimmen. 

»Als Verlage sollten wir das Buch nicht zu einem Luxusmedium machen, also sehr genau auf die unteren Preisschwellen achten.«

Rötzer: Diese Frage kann man nicht pauschal beantworten. Im oberen Segment, also beim schön gestalteten und aufwendig ausgestatteten Buch, scheint es kaum Preissensibilität zu geben, im unteren hingegen zählt jeder Cent. Diese Spreizung spiegelt auch die in Deutschland auseinandergehende Schere zwischen Arm und Reich wider. Als Verlage sollten wir darauf reagieren und das Buch nicht zu einem Luxusmedium machen, also sehr genau auf die unteren Preisschwellen achten und sie nicht überschreiten.

Bei E-Books haben eine ganze Reihe von Publikumsverlagen Geschmack am Preismarketing gefunden durch be- ­fristete Preissenkungen: ein probates Mittel, Bücher stärker ins Gespräch zu bringen und sichtbarer zu machen?

Beetz: Ja, absolut, und sicherlich wird hier in Zukunft auch noch stärker mit Streaming- und Abomodellen experimentiert werden.

Und schließlich: Wird 2019 das Jahr, in dem die Einschweißfolie entscheidend zurückgedrängt wird?

v. Lovenberg: Das glaube ich auf jeden Fall, vor allem, weil die viel beachtete Initiative von Bonnier und Ullstein zu einem neuen Bewusstsein bei Handel und Lesern geführt hat. Plötzlich ist die Folie nicht mehr selbstverständlich. Mit solchem Nachdenken beginnt Veränderung.

»Gemeinsam mit dem Handel prüfen, welche Auswirkungen das Weglassen der Folien haben kann.«

Beetz: Es lohnt sich auf jeden Fall, es auszuprobieren. Ausprobieren bedeutet aber keineswegs „spontane flächendeckende Umsetzung“. Der Verbraucher wird die Veränderung rasch akzeptieren, dennoch möchte er ein komplett unbeschädigtes Buch kaufen, wenn er ein neues Buch kauft. Gemeinsam mit dem Handel zu prüfen, welche Auswirkungen, wenn überhaupt, das Weglassen der Folien haben kann, zum Beispiel auf die Remiquote eines Titels, wäre sinnvoll. Konterkariert eine um wenige Prozent höhere Remiquote eines aufgrund von Gebrauchsspuren remittierten Titels die geplante Entlastung der Umwelt und der Budgets? Und resultiert in steigendem Logistik- und Handlingaufwand? Das sollten wir durch Erfahrungswerte ganz nüchtern ausschließen können, bevor wir die Einschweißfolie vollends verbannen.

Rötzer: Ich glaube, wir müssen über ökonomische Erwägungen hinaus unserer Verantwortung als Branche, die bewusstseinsbildend in die Bevölkerung hineinwirkt, gerecht werden und schnell und so weit es geht vollständig auf die Folie verzichten. Die Buchkäufer werden es annehmen, wenn alle Verlage schnell mitziehen. Man muss auch bedenken, dass in keinem Land so viel eingeschweißt wird wie in Deutschland und gleichzeitig in keinem Land Plastik so verdammt wird wie in Deutschland. Antiplastikbücher gab es genug im letzten Jahr, aber alle waren in Plastik eingeschweißt, Verlage sollte sich selbst treu sein.

 

Die offizielle Tagungsordnung der IG Belletristik und Sachbuch sieht folgende Punkte vor:

  • Heinrich Riethmüller: Grußwort des Vorstehers
  • Alexander Skipis, Börsenvereins-Geschäftsführung: Themen der Branche 2019
  • Thomas Krüger, Bundeszentrale für politische Bildung: Auftrag „Demokratie stärken“ – Wie erreiche ich meine Zielgruppe?
  • Benjamin Talin, Morethandigital.info: (Digitale) Transformation: von talk-the-talk zu walk-the-walk
  • Jana Lippmann, Börsenverein-Marktforschung: „GfK – Käuferstudie“ – wie weiter?
  • Thomas Hesse, Media Markt Marketing: Programmatic advertising bei Media Markt
  • Christian Sprang, Börsenvereins-Justiziar: Aktuelle rechtliche Entwicklungen
  • Tim Leberecht, The Business Romantic Society: Der Business Romantiker – Gegen das Effizienzdogma

 

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