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Mehr als Bauchgefühle

Foto: Finepic

Kaum jemand in der Branche verfügt über mehr Erfahrung mit Werbung: In der Serie „Seitenwechsel“ spricht Kerstin Reitze de la Maza über Marketing bei Markenartiklern und Verlagen. 


Zur Serie: Ein Seitenwechsel ist immer spannend; er bringt Chancen und Risiken. Vor allem aber bringt er einen Wechsel der Perspektive mit sich und ein vollständigeres Bild der Dinge. Michael Lemster hat mehrfach die Seiten gewechselt: vom Journalismus zum Verlag zum Versandhandel zum E-Commerce zum Consulting. Für buchreport befragt er Grenzgänger nach ihren Motiven und ihrem Standort – und nicht zuletzt danach, ob ihre Pläne aufgegangen sind.

Kerstin Reitze de la Maza machte 14 Jahre Markenartikelwerbung, bevor sie als Werbeleiterin zu Rowohlt und nach acht Jahren als Marketingleitung zu Droemer Knaur ging. Seit Februar 2014 ist sie Chefin ihrer eigenen Agentur bridge3 in Hamburg.

Wie viele Leute haben Sie heute, denen Sie etwas delegieren können?
Wir arbeiten an Projekten mit drei bis vier Leuten, eine davon bin ich. Dazu kommt eine freie Texterin.
Ist das ein großer Wandel?
Im Vergleich zum Buchverlag ja. Ich stecke immer tief im Tagesgeschäft, aber es bringt viel Spaß – und es ist das, was ich auch früher gemacht habe.
Welche Kunden betreut bridge3?
Wir haben gerade vor sechs Monaten angefangen. Zu unseren ersten Kunden zählen der Fischer Verlag, die „Zeit“ und das deutsche Modedesignerlabel „Estomo“. Ich mache die Strategie, Konzeption und Abwicklung.
Im Jahr 2001 kamen Sie in die Verlagsbranche, nachdem Sie 14 Jahre Werbung in internationalen Werbeagenturen hinter sich gebracht hatten. Sie waren Etat-Direktorin – klingt mächtig. Ist es das auch?
Man kann diese Position mit der Werbeleitung eines Unternehmens gleichsetzen. In der Agentur gibt es drei Hauptdisziplinen: Texter, Grafiker und Berater. Der Etatdirektor hat die leitende Position auf der Beraterseite. Ich leitete bei KNSK BBDO das fünfköpfige Beraterteam. Da hatte ich viel mit den Kunden sowie deren Strategien zu tun und musste ihnen die passenden Konzepte vorschlagen; diese setzten die Kreativen um. Darüber stehen die Geschäftsführer.
Welche Kunden haben Sie betreut?
Ich habe zum Beispiel die Neueinführung von National Geographic mit Strategie und Konzeption begleitet und auf dem Etat des „stern“ gearbeitet, aber auch mit Wella oder Lucky Strike.
Was für Budgets werden da so verbraucht?
Die können jeweils für Kreativität und Media-Etat im mehrstelligen Millionenbereich liegen. 
Dann gingen Sie als Werbeleiterin zu Rowohlt – eine Umstellung?
Eine Riesenumstellung. Wenn Sie vorher nur in Agenturen arbeiten und dann ins Unternehmen wechseln, haben Sie mit ganz anderen Leuten zu tun, nicht nur mit Werbern. Das erste Jahr war hart. Sie müssen wahnsinnig viele Informationen verarbeiten. Wenn Sie dann im Halbjahr 25 Spitzentitel und 200 weitere Bücher haben und für all diese die Cover verantworten sollen, müssen Sie sich mit allen Titeln befassen, und das alles in sehr kurzer Zeit.
An der Werbe-Ecke war die Verlagsbranche schon immer durchlässiger als sonstwo – korrekt?
Das stimmt auf jeden Fall, es wird immer wichtiger, Marketing- und Werbeprofis in die Verlage zu bekommen. Die Budgets für die großen Titel werden höher. Daher muss die Werbung professioneller werden, auch die Mediaplanung. Da muss man Marktforschung einsetzen und nicht nur sein Bauchgefühl, wie früher.
Wenn Sie Markenartikler mit Verlagen vergleichen, worin unterscheiden sich diese Werbewelten?
Der ganz entscheidende Unterschied ist, dass Sie in Buchverlagen mit stets wechselnden Marken zu tun haben, mit Ausnahme der Bestsellerautoren, die Sie als langfristige Marken führen können. Die Werbung im Verlag ist ganz stark auf Abverkauf fokussiert und nicht auf die Etablierung eines langfristigen Image wie bei den Markenartiklern.
Wo fängt in der Buchwerbung das an, was Sie „ein tolles Budget“ nennen würden?
Das kommt ganz darauf an. Bei belletristischen Titeln – sagen wir: Spannungstiteln – haben Sie die größtmögliche Zielgruppe. Bei Sachbüchern kann sie sehr spitz sein. Je breiter die Zielgruppe, desto größer muss das Werbebudget sein. Dasselbe, was Sie bei einem Thriller mit 200?000 Euro erreichen, können Sie bei einem Buch zum Thema Finanzen schon mit 30?000 Euro erzielen. Auch feine literarische Titel können Sie mit kleineren Budgets schon sehr gut bewerben. Da brauchen Sie keine teure bundesweite Plakatierung.
Von Online-Marketing haben Sie noch gar nicht gesprochen – spielt das keine Rolle in Ihrer Welt?
Der Fokus von bridge3 liegt auf den drei Säulen Markt- und Trend-Analysen, Entwicklung von Kommunikationskonzepten und Kreation. In der letzten Disziplin bieten wir alles an, vom Buchcover über Promotionartikel bis hin zu großen integrierten Werbekampagnen. Insofern denken wir natürlich das Online-Marketing mit. Das ist aber eine Disziplin für sich, die von Social Media über Bannerwerbung bis hin zum CRM-Marketing viele Fassetten hat. Die Detailausarbeitung und Umsetzung geben wir deshalb an Spezialisten raus. Bücher sind eine der meistnachgefragten Artikelkategorien im Web, daher kommen die Verlage um diesen Kanal und die entsprechenden Experten nicht herum, ähnlich wie bei der Mediaplanung, da brauchen Sie Mediaagenturen mit ihren Auswahl- und Auswertungstools.
Sie haben einige Branchen-Awards gewonnen. Auf welchen sind Sie besonders stolz?
Auf den Grand-Prix-Buchmarkt-Award 2004 für beständige außergewöhnlich kreative Leistungen, den bisher nur Rowohlt jemals bekommen hatte.
Sie haben 14 Jahre im Holtzbrinck-Universum verbracht: Acht Jahre Hamburg bei Rowohlt und fünf Jahre München bei Droemer. Wo sehen Sie Unterschiede?
Der große Unterschied ist, dass Rowohlt einen ganz hohen Anteil an literarischen Titeln besitzt, den Droemer in diesem Sinne nicht hat und der für mich eine ganz andere Form des Werbens bedeutete. Da ist die Wort-Bild-Mechanik viel subtiler, und sehr viel läuft über die Persönlichkeit, den Namen des Autors, zum Beispiel in der Headline.
Wir haben es aber auch bei literarischen Autoren anders versucht, z.B. bei Jeffrey Eugenides, bei dem niemand wusste, wie sein Name klingt. Da titelten wir „Ein unaussprechlicher Name, ein unvergesslicher Roman“. Oder bei Jonathan Franzen „Die Korrekturen“: „Lesen, worüber alle schreiben.“
Welche der Städte inspiriert Sie mehr?
Hamburg ist meine Heimat, und was Heimat bedeutet, habe ich erst festgestellt, als ich in München war. Die Inspiration ist in Hamburg größer. Wenn Sie glücklich sind, haben Sie auch gute Ideen.
Vor einem halben Jahr gingen Sie zurück nach Hamburg – mit welchen Erwartungen?
Meine Firma zu gründen und mich wieder ganz heimisch und wohlzufühlen. Nach 14 Jahren Agentur und 14 Jahren Verlag will ich das dritte Drittel meiner Berufstätigkeit dem eigenen Unternehmen widmen. Das wollte ich schon vor Rowohlt, dann kam mir der Buchverlag in die Quere und hat mich seither nicht losgelassen. Ich arbeite viel für die Buchbranche und möchte das auch weiterhin tun, da sie mir sehr nahesteht.
Auf welchem Weg sehen Sie die Buchbranche insgesamt?
Die Buchbranche ist seit Kurzem – und das wird sicherlich zunehmen – in einer kompletten Umbruchphase, die sie vor große Herausforderungen stellt. Die Branche hat begriffen, dass das nicht spurlos vorbeigeht. Das Erzählen von Geschichten wird weiterleben, auch das gedruckte Buch. Die größte Herausforderung für die Verlage ist es, zu beweisen, dass es ohne sie nicht geht.

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