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Man muss die richtigen Fragen stellen

Big Data ist in aller Munde – doch bisher wissen die wenigsten Buchverlage, ihre Daten zielgerichtet auszuwerten und zu nutzen. Das Problem ist aus Sicht von Datenspezialist Lutz Finger (Foto) nicht der Mangel an Informationen – sondern die Kenntnis, wie man „Big Data“ nutzen kann. Wie Buchverlage soziale Netzwerke zielführend auswerten können, erläutert im Interview mit buchreport.de.

Am 9. Juli referiert Finger zum Thema auch auf der 3. Social Media Konferenz der Akademie des Deutschen Buchhandels in München. 

Big Data lautet das neue Zauberwort – woher rührt die Begeisterung für Daten?
Eigentlich ist Big-Data ein „Hype“-Wort. Das kann man am besten sehen, wenn man sich Google Trends anschaut. Erst seit 2011 gibt es einen exponentiellen Anstieg von Nutzern, die nach dem Wort suchen.  
Das hat zwei Gründe: Die Technik hat sich so weit entwickelt, dass wir mit vielen Datenmengen preiswerter umgehen können als früher. Das Zauberwort heißt hier „Hadoop“. Zum anderen sind mehr Daten öffentlich geworden – dank Facebook, Twitter und Youtube und anderen Sozialen Medien.

Bisher waren solche massiven Datenmengen nur einer kleinen Minderheit vorbehalten: So hatten Versicherungskonzerne immer schon viele Daten, sie konnten z.B. die Wahrscheinlichkeit errechnen, mit der man in einer bestimmten Stadt mit einem bestimmten Auto einen Unfall haben wird. Diese Vorhersagen wurden fernab der Öffentlichkeit berechnet. Durch die sozialen Medien sind zahlreiche Informationen für alle verfügbar.

Hierzulande beschäftigen sich noch nicht viele Verlage mit Big Data bzw. Social Media. Warum nicht?
Die Verlage haben bereits seit langer Zeit viele Daten vorliegen und können beispielsweise recht genau ausrechnen, welche Themen sich über welche Vertriebskanäle am besten verkaufen. Mit den sozialen Netzwerken kommen zahlreiche Informationen hinzu – nur werden diese oft noch nicht so ausgewertet, wie traditionelle Kennzahlen aus der Vertriebsorganisation. Das Problem ist hier nicht die Technik an sich, sondern die Kenntnis, wie man all diese Informationen nutzen kann. 
Man kann Big Data zur Veranschaulichung mit Öl vergleichen: Die Menschen wollen nicht in erster Linie Öl – sie wollen reisen. Dazu muss ein Flugzeug erfunden werden. Das Flugzeug braucht einen Treibstoff und um diesen zu gewinnen, muss Öl gefunden, gewonnen, raffiniert und verarbeitet werden. Man muss es also andersherum denken: nicht vom Öl zum Urlaub, sondern vom Urlaub zum Öl. 
Zurück zu Big Data heißt das: Man muss sich klar werden, welche Frage man beantwortet haben möchte. Und erst dann sollte man auf die Daten schauen. Nicht umgekehrt. Firmen im Allgemeinen – und das bezieht sich nicht nur auf Verlage – haben bei diesem Schritt noch allzu häufig Schwierigkeiten. Was ist machbar? Was sind sinnvolle Kennziffern?
Wie wichtig ist Social-Media-Marketing für Verlage? 
Extrem wichtig. Leider sind die sozialen Medien an den meisten Verlagen bisher vorbeigegangen. Ich habe mich bei der Veröffentlichung meines Buches ganz bewusst für O’Reilly Media entschieden, weil er der Verlag mit der stärksten Social-Media-Präsenz ist. Wenn O’Reilly meinen Buchtrailer auf Youtube postet, sehen das mindestens 50.000 Personen. Tweetet der Verlag über mein Buch, sehen das 60.000 Follower. Jeder Autor sucht einen Verlag, der einen gut vermarktet.

Da man die anderen Vertriebs- und Marketingaktivitäten eines Verlags als Außenstehender kaum einsehen kann, haben die Social-Media-Aktivitäten eine Signalwirkung, die ein Verlag nicht unterschätzen sollte. Ein Verlag, der auf Facebook und Twitter sehr aktiv ist, sichert sich letztlich auch die besseren Autoren. 

Zusätzlich kann und muss ein Verlag über die sozialen Medien seine Kompetenz jeden Tag aufs Neue beweisen. Qualität zählt und wird sich durchsetzen.
Können Sie das an einem Beispiel erläutern?
Nehmen wir zum Beispiel eine Gartenverlag, der ein Buch über Rosen veröffentlicht hat. Natürlich können die Leser auch im Netz recherchieren, wie man Rosen schneidet. Jeder kann Inhalte erzeugen und beispielsweise auf einem eigenen Blog einstellen. Man muss noch nicht einmal selber schreiben. Jeder kann über Curation Tools Inhaltesammlungen zusammenstellen. Was ist der Mehrwert von Verlagen? Seine Kompetenz! Das Internet ist sehr laut. Nicht alles, was hier gesagt wird, ist auch wahr oder macht Sinn. Hier braucht man eine Wissenskompetenz.
Wenn ich an Rosen denke, gehe zu einem bestimmten Verlag, zu einer Marke, die mir die Inhalte gibt, an die ich glaube. Nur wie baut man eine solche Marke auf? Im Falle der „Rosen“ kann sich der Verlag profilieren, indem er seinen Lesern über Twitter, Facebook und Youtube praktische Tipps zum Rosenschneiden gibt – einen Tweet abschickt, wenn es Zeit ist, die Rosen zu pflanzen oder seine Leser und Zuhörer auffordert, Videos zu posten. Der Verlag wird so zum zentralen Wissenspool, auf den der Nutzer gerne zurückgreift. Der Verlag könnte der Garant von Wahrheit und Qualität sein.
Zurück zu Big Data: Wie kann der Verlag diese Informationen aus den Sozialen Netzen auswerten?
Indem er analysiert, wie die Leser und Nutzer auf seine Soziale Medien reagieren. Wer re-tweeted einen, wer hat ein Video geposted, was wird das „beste“ Video, etc.. Außerdem könnte der Verlag messen, wie sich sein Image verändert, wenn er in den sozialen Medien aktiv ist, bzw. wie viel Vertrieb er über diesen neuen Kanal machen kann.
Soziale Medien sind natürlich nicht die einzige Informationsquelle. Es gibt auch zahlreiche Daten abseits der sozialen Medien: Zum Beispiel die Verkaufszahlen von bestimmten Pflanzensorten. An solchen Zahlen in Kombination mit sozialen Media Messungen kann man Trends ableiten und die Verlagsstrategie besser abstimmen. 
Lassen sich aus den Daten neue Geschäftsmodelle entwickeln?
Ja – ein solches Trend-Publishing wäre genau das. Doch bevor man ein Geschäftsmodell findet, ist das wichtigste die richtige Frage. Die richtige Frage verbindet das Business mit den Möglichkeiten bzw. den Wunsch nach Urlaub mit dem Öl. 
Stelle ich die falsche oder nur grob formulierte Frage – wie etwa die Figuren in Douglas Adams’ Roman „Per Anhalter durch die Galaxis“ – dann lautet die Antwort 42. Das ist keine Antwort und somit kann ich daraus auch kein Geschäftsmodel entwickeln. Deshalb ist es so wichtig, die Frage richtig zu formulieren. 
Die Fragen, die man den Daten stellen kann, lassen sich in zwei Kategorien einteilen: Benchmarks und Vorhersagen. Ein Benchmark ist, wenn ich mein Image als Verlag zum Thema Garten vergleiche mit anderen Anbietern oder mit einem früheren Status. Benchmarks sind extrem wichtig, doch konkrete Geschäftsmodelle lassen sich am besten aus Vorhersagen gewinnen. 
Ein Beispiel?
Die wohl bekanntesten und besten Beispiele haben nichts mit Sozialen Medien zu tun. Die Handelskette Target in den USA hat z.B. festgestellt, welche Kunden gerade schwanger sind. Eine solche Information ist wichtig, da die meisten von uns Alltagsprodukte nicht wechseln –  wir kaufen zum Beispiel immer die gleiche Zahnpasta. Nur wenn es in unserem Leben einen Umbruch gibt –  eine neue Liebe, ein Studienabschluss oder eine Schwangerschaft – nur dann sind wir bereit, Neues zu probieren. Deshalb hat Target mithilfe von Daten gezielt Schwangere gesucht und ihnen Gutscheine für Babyprodukte angeboten. 
Diese Daten berühren auch die Privatsphäre. Konzerne könnten viel mehr wissen als die meisten Kunden sich vorstellen können. Im Fall Target hat sich ein Vater über die Windel-Werbung beschwert. Ob Target denn seiner 14-jährigen Tochter etwas suggerieren wolle? Später dann entschuldigte sich eben dieser Vater öffentlich. Er hätte – anders als Target – bestimmte Entwicklungen in der Familie nicht mitbekommen. 
Was kann die Buchbranche daraus lernen?
Auch für die Buchbranche bieten die sozialen Netzwerke viele Möglichkeiten, neue Geschäftsmodelle anhand von Vorhersagen zu entwickeln. So kann man in sozialen Netzwerken analysieren, mit welchen Themen sich die Menschen zurzeit beschäftigen und die Redakteure briefen, solche Themen gezielt zu akquirieren. 
Eine anderer Bereich sind natürlich die Autoren selber: Wie berühmt ist er, wie reagieren seine Leser auf ihn,  was mögen sie an ihm? Wir haben einmal solch eine Analyse für alle Goldmedaillengewinner bei den Vancouver Olympischen Spielen durchgeführt. 
Man kann sich auch anschauen, wie schnell und wie stark bestimmte Inhalte raubkopiert werden. Bei Filmen zum Beispiel vertreiben die Hacker ihre Kopien auch über Facebook und rühmen sich, den Film geknackt zu haben. 
Sprich, es gibt viele Möglichkeiten – wenn man die richtigen Fragen stellt.
Wo sind die Grenzen von Big Data?
Ich glaube, wir haben noch gar nicht richtig begriffen, wie sehr die Daten unsere Welt verändern werden. Wir stehen vor großen Umbrüchen, denen wir weder strukturell, noch emotional gewachsen sind. 
Die Möglichkeiten scheinen grenzenlos. Mit Big Data lässt sich unglaublich viel machen – dieses Potenzial wird in Zukunft auch ausgeschöpft werden. Die Frage ist nur wie wir darauf reagieren als Gesellschaft – und wo wir Grenzen setzen.

Die Fragen stellte Lucy Mindnich 

Lutz Finger
ist Data Scientist, Unternehmer und Quantenphysiker und Autor des Buches „Competing On Data“. Das Buch soll im Sommer 2013 bei O’Reilly Media erscheinen. Mit seiner Firma Fisheye Analytics hat er nicht nur Firmen wie Telefonica oder die Daily Mail Group beraten, sondern auch Regierungen und Nichtregierungsorganisationen unterstützt
Am 9. Juli referiert Finger auf der 3. Social Media Konferenz der Akademie des Deutschen Buchhandels in München zum Thema „Competing on Data – How to use Social Media Analytics for your business“.

Kommentare

1 Kommentar zu "Man muss die richtigen Fragen stellen"

  1. INDIM Josenhans | 28. Mai 2013 um 9:37 | Antworten

    Sehr lesenswerter und anschaulicher Artikel. Wenig Technik, viele Beispiele. Super!

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