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Kein Mystery-Mann

In einem Kiosk im Kölner Hauptbahnhof trafen sie aufeinander: der Geisterjäger höchstpersönlich und einer seiner vielen Jünger. Zwei Taschenbücher von John Sinclair hielt dort einer seiner Leser in der Hand, als Jason Dark von der Seite auf ihn zutrat und ihm freundlich anbot, sie zu signieren. „Willst du mich verarschen“, frotzelte der Leser zurück.
Vielleicht ist diese denkwürdige Begegnung, die der Autor der Gespenster-Romane mit einem Lächeln auf den Lippen erzählt, damit zu erklären, dass Jason Dark alias Helmut Rellergerd nichts, aber auch absolut gar nichts Gespenstisches oder Mysteriöses an sich hat: keine langen Haare und Psycho-Blick wie der Mystery-Mann Wolfgang Hohlbein; kein dunkles Schloss auf dem Land, sondern ein bürgerliches Einfamilienhaus in der Nähe von Bensberg; keinerlei Affinität zu Esoterik oder Totenkult. „Ich glaube nicht an Geister – höchstens an Weingeister“, sagt der 57-jährige gebürtige Dortmunder und schiebt wenig später hinterher: „Ich bin eher ein kreativer Beamter.“ In dieser Funktion schickt Rellergerd täglich ab halb acht seinen Helden, den Scotland-Yard-Inspektor John Sinclair, mit seiner alten „Monica“-Schreibmaschine los, um die Welt vor der dunklen Seite zu retten. Rund 35 Seiten schafft er dank seiner eisernen Beamten-Moral am Tag, einen kleinen Gespenster-Roman pro Woche, plus ein Taschenbuch im Monat.
Und das seit 1973, seit „Der Nacht des Hexers“, Sinclairs erstem Abenteuer. Mit 270 Millionen verkauften Exemplaren der nun 1.600 Sinclair-Heftchen beansprucht Rellergerd den Titel des meistverkauften Autors Deutschlands. „Ich bin vielleicht der Nachfolger der Brüder Grimm“, sagt derjenige, der das Volk das Gruseln lehrt. Nicht nur diese Zahlen, sondern insbesondere die 160.000 Leserbriefe, die Rellergerd archiviert hat, dokumentieren den Erfolg der Bastei-Reihe: „Die Geschichten sind spannend, aber nicht so brutal wie andere“, sucht Rellergerd nach Erklärungen für den Erfolg. „Krimis sind zu normal, erlauben zum Beispiel keine Zeitreisen. Und bei mir passiert mehr als bei Max Frischs ,Homo Faber`, der 15 Seiten über den Rasierapparat nachdenkt – so ein Mist.“
Auch die Figur der Inspektors komme den Lesern – etwa 60 Prozent seien Frauen; Durchschnittsalter: 25 Jahre – entgegen: „Er hat Schwächen, schafft nicht immer, ein Opfer zu retten.“ Schließlich spielen Sinclairs Abenteuer dezidiert in der Gegenwart. „Ich baue alles ein, was ich greifen kann: Lady Di’s Tod, die Anschläge von Bali oder die Flutkatastrophe – alles kam vor.“ Nach Jahrzehnten Erfahrung als Roman-Autor – neben dem Geister-Genre auch Western, Kinderbücher oder Agenten-Krimis – hat Rellergerd sein Handwerk rationalisiert: Politische, historische oder wissenschaftliche Fernseh-Sendungen dienen dem Autor ebenso wie der sonntägliche Spaziergang mit der Gattin zur Inspiration. Begegnen die Rellergerds dabei etwa einem Leichenwagen, wird Sinclair dies später wohl auch tun. Besonders in Ostdeutschland hat Rellergerd in den vergangenen Jahren Leser hinzugewonnen, daneben aber auch in Tschechien, Holland, Brasilien, Finnland und Frankreich, wo übersetzte Ausgaben erschienen sind. In Rumänien und der Türkei sind sogar Raubdrucke der Gespenster-Serie aufgetaucht. In Ländern wie Spanien oder Italien macht Sinclair keinen Boden gut. „Für diese Länder sind die Geschichten zu harmlos: zu wenig Sex und Gewalt“, erklärt Rellergerd. Im kommenden Jahr feiern Rellergerd und sein Verlag Jubiläum: 50 Jahre Bastei, 30 Jahre Sinclair. Kein Grund zum Aufhören. „Mir wird nie langweilig“, versichert er, und heckt schon die nächste Gruselei aus: „Eine Frau geht in die Kirche und sieht dort eine Engel-Figur mit ihrem Gesicht. Beim nächsten Besuch fehlt der Kopf des Engels“, assoziiert Rellergerd. Voraussichtlicher Titel des Abenteuers: „Der kopflose Engel“.

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