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Karl-Ludwig von Wendt: Stehen Sie in der Todeszone?

Karl-Ludwig von Wendt: Stehen Sie in der Todeszone?

Mehr als 99% aller Spezies auf der Erde sind ausgestorben. Vermutlich sind auch 99% aller jemals gegründeten Unternehmen inzwischen vom Markt verschwunden. Nur diejenigen, die sich an veränderte Umweltbedingungen anpassen können, überleben. Wie ist es mit Ihnen?

In meiner Arbeit als Unternehmensberater bitte ich meine Kunden zu Beginn eines Projekts gern, ihr eigenes Unternehmen anhand von zwei Kenngrößen auf einer Skala von 0 bis 10 einzuschätzen: Erstens, wie groß ist der Veränderungsdruck des Marktes? Zweitens, wie groß ist die Veränderungsfähigkeit des Unternehmens? Diese simple Selbsteinschätzung funktioniert meist recht gut und offenbart bereits die Richtung, in die gearbeitet werden muss.

Die Ergebnisse lassen sich in ein Vier-Felder-Diagramm eintragen. Jedes der Felder beschreibt eine andere Situation mit jeweils unterschiedlichen Anforderungen und Handlungsalternativen.

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Unten links befindet sich die „Ruhezone“ – in einem unveränderlichen Markt können es sich Unternehmen erlauben, ihre bestehenden Strukturen zu optimieren, ohne sich permanent neu erfinden zu müssen. In Zeiten des Internet und des globalen Wettbewerbs muss man solche Märkte allerdings lange suchen. In der Buchbranche wird man sie wohl kaum finden.

In der „Pionierzone“ unten rechts lässt es sich gut leben und verdienen, denn als Pionier ist man allein auf dem noch weitgehend wettbewerbsfreien „Blue Ocean“. Allerdings weckt man schnell den Zorn derjenigen, die sich in ihrer Ruhe gestört fühlen. Die Versandapotheke DocMorris ist ein Beispiel für einen Pionier, der eine bis dahin recht verschlafene Branche ordentlich aufgemischt hat. Im Büro des Firmengründers Ralf Däinghaus habe ich gerahmte Karikaturen gesehen, die er aus der Apotheker-Zeitung ausgeschnitten hatte. Darin wurde er als rücksichtsloser Geschäftemacher mit finsteren Absichten dargestellt – ganz ähnlich, wie manche in der Buchbranche Amazon-Gründer Jeff Bezos sehen. Beiden hat diese Missgunst ihrer Branchenkollegen nicht geschadet – wohl aber den Missgünstigen selbst, die die Chance verpasst haben, von den „Störenfrieden“ zu lernen.

Oben rechts befindet sich die „Turbulenzzone“, in der sich wohl die meisten erfolgreichen Unternehmen in unserer heutigen Zeit rapiden technischen Wandels wiederfinden. Hier muss man sich permanent verändern, um überhaupt mithalten zu können – eine sehr anstrengende Situation. Amazon selbst würde sich wohl eher hier als rechts unten einordnen, denn Jeff Bezos‘ Sorge sind nicht deutsche Buchhändler, sondern innovative Giganten wie Google und Apple, die ihrerseits permanent von neuen Wettbewerbern wie etwa Facebook attackiert werden. Wie leicht es ist, den Anschluss zu verpassen und aus der Turbulenzzone herausgedrängt zu werden, zeigen zahllose Beispiele einstiger Innovationsführer wie Nixdorf, Quelle, AOL oder Nokia.

Oben links schließlich befindet sich die „Todeszone“, gepflastert mit den Leichen derjenigen, die es nicht geschafft haben, sich dem Wandel ihres Marktes anzupassen. Bei aller gebotenen Zurückhaltung muss man wohl davon ausgehen, dass in 5-10 Jahren ein großer Teil der heute noch erfolgreichen Anbieter im deutschen Buchmarkt in dieser Zone enden wird – zum Nischenanbieter geschrumpft, von anpassungsfähigeren Wettbewerbern übernommen oder ganz aus dem Markt gedrängt.

Es empfiehlt sich eine kritische Selbsteinschätzung: Wo stehen Sie heute? Dabei sollten Sie sich nicht nur mit ihren direkten Wettbewerbern vergleichen, sondern auch mit neuen Anbietern im Markt, die Ihnen mittelfristig Ihr Geschäftsmodell streitig machen könnten. Was den Veränderungsdruck des Marktes betrifft, wird dieser nur selten überschätzt, setzen Sie den Wert hier also lieber etwas höher an. Wer sich selbst links unten in der Matrix einordnet, sollte sich zumindest kritisch fragen, wie lange er wohl noch ungestört in seiner Nische wird leben können.

Wenn Sie sich oben links eingeordnet haben: Wie können Sie den Wandel in Ihrem Unternehmen beschleunigen und aus der Todeszone ausbrechen? Oben rechts: Wie können Sie verhindern, dass Ihr Unternehmen den Anschluss verliert und nach links abrutscht? Diesen Fragen werde ich in zukünftigen Blogbeiträgen nachgehen.

Karl-Ludwig von Wendt studierte Betriebswirtschaftslehre und promovierte über künstliche Intelligenz. Er hat neun Jahre Erfahrung als Unternehmensberater mit dem Schwerpunkt Online-Transformation im Handel und in der Telekommunikation. Zwölf Jahre war er Unternehmer in der New Economy, wo er zwei Start ups gründete und u.a. mit dem eConomy-Award der Wirtschaftswoche für das “Start up des Jahres” ausgezeichnet wurde. Als Karl Olsberg schreibt er Thriller, Jugend- und Sachbücher. Im Januar 2012 gründete er die briends gmbh, die Verlage insbesondere bei der Entwicklung von Contentmarken sowie Social Writing unterstützt.

Kommentare

4 Kommentare zu "Karl-Ludwig von Wendt: Stehen Sie in der Todeszone?"

  1. @Bernd Küsgens: DocMorris hat sicher rechtliche Grenzen ausgetestet. Als „notorischen Gesetzesbrecher“ kann man die Firma aber wohl kaum bezeichnen, sonst säße Ralf Däinghaus längst im Gefängnis. Es gab jede Menge gerichtliche Auseinandersetzungen mit dem Apothekerverband ABDA, von denen DocMorris viele gewonnen, aber auch einige verloren hat. 2009 ist die Firma mit dem Versuch gescheitert, das deutsche Fremdbesitzverbot bei Apotheken vor dem Europäischen Gerichtshof zu kippen, und Däinghaus verließ die Firma. Nichtsdestotrotz ist DocMorris ein erfolgreicher Pionier, der einen Markt grundlegend verändert hat.

    Mir geht es aber nicht darum, DocMorris als „Vorbild“ hinzustellen. Ebenso wenig würde ich Amazon als Vorbild empfehlen. Beide sind aber marktverändernde Kräfte, ob man das nun gut findet oder nicht. Wichtig ist es aus meiner Sicht, von ihnen zu lernen statt sie zu dämonisieren.

    So haben einige deutsche Apotheken das Versandmodell recht erfolgreich übernommen. Nach meiner Kenntnis wird inzwischen der größte Teil des Umsatzes mit dem Versand von Medikamenten von deutschen Apotheken gemacht. Viele Kunden profitieren heute von der Bestellmöglichkeit, die es früher so nicht gab. Am Ende war das in meinen Augen für alle Beteiligten eine positive Entwicklung, auch wenn sich die Branche mit Zähnen und Klauen dagegen gewehrt hat.

  2. Lieber Seeyou,

    Sie wären der erste Buchhändler, der meine „schlechten Krimis“ verkaufen „muss“ – soweit ich weiß, haben Sie zumindest als unabhängiger Händler immer noch die Freiheit, zu entscheiden, was Sie ins Regal stellen bzw. Ihren Kunden empfehlen und was nicht.

    Ebenso ist es Ihre Entscheidung, wo Sie sich in der von mir beschriebenen Matrix einsortieren. Wenn Sie der Überzeugung sind, dass sich im Buchhandel in den nächsten Jahren nur wenig verändern wird und Sie für sich selbst keinen Anpassungsbedarf sehen, ist das selbstverständlich Ihr gutes Recht.

    Herzliche Grüße

    Karl von Wendt

  3. Bernd Küsgens | 6. Mai 2012 um 11:41 | Antworten

    „Die Versandapotheke DocMorris ist ein Beispiel für einen Pionier, der eine bis dahin recht verschlafene Branche ordentlich aufgemischt hat.“
    Wenn jemand als notorischer Gesetzesbrecher als Vorbild für den Fortschritt gesehen wird, dann sollte man diese Ansichten des Autors tolerieren, richtiger werden sie dadurch aber nicht.

  4. Ach ja, der Untergang ist nah, gäähn.. Obwohl, dann müßte ich als
    Buchhändler wenigstens nicht mehr Ihre
    schlechten Krimis verkaufen.

    Zu Ihrem Glück müssen Sie ja wohl nicht von diesen Einnahmen leben sondern verdienen ganz gut als „Apokalyptiker“.

    Viele Grüße

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