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Karl-Ludwig von Wendt: Das Dilemma des Innovators

Karl-Ludwig von Wendt: Das Dilemma des Innovators

Gerade erfolgreichen Unternehmen fällt es oft schwer, ihren Marktvorsprung zu halten und innovativ zu bleiben. Die naheliegende Erklärung liest man überall: Erfolg macht träge und selbstgefällig, die Manager ruhen sich zu oft auf ihren Lorbeeren aus und verschlafen die Markttrends. Doch so einfach ist es nicht.

In den Neunzigerjahren untersuchte der Harvard-Professor Clayton Christensen die Markveränderungen bei Computer-Festplatten. Er stellte fest, dass es innerhalb weniger Jahrzehnte mehrere technologische Umbrüche gegeben hatte. Jedes Mal waren es nicht die etablierten Marktführer, sondern bis dahin unbekannte Start-Ups, die die neue Generation erfolgreich einführten und damit den Markt aufrollten. Christensen stellte jedoch verblüfft fest, dass es stets die etablierten Marktführer waren, die die neue Technologie als erste entwickelt hatten. Statt sie jedoch aktiv zu vermarkten, agierten sie zurückhaltend, verschenkten ihren Vorsprung und überließen schließlich anderen das Terrain, was am Ende in vielen Fällen zur Pleite des ehemaligen Marktführers führte.

Christensen dehnte seine Untersuchung auf andere Branchen aus und fand dasselbe Phänomen in so unterschiedlichen Märkten wie Motorrädern, Baggern und sogar Stahlwerken. Er nannte es „Das Dilemma des Innovators“ und schrieb darüber ein Buch, das ich jedem Verlags- und Buchhandelsmanager auf den Nachtschrank wünsche.

Die Essenz seiner Erkenntnis lautet: Es gibt zwei verschiedene Kategorien von Innovationen – „erhaltende“, die die bisherigen Kundenbedürfnisse besser erfüllen, und „disruptive“, die neue Kundenbedürfnisse schaffen oder erschließen. Ging es um erhaltende Innovationen, hatten die jeweiligen Marktführer fast immer die Nase vorn. Bei disruptiven Innovationen dagegen waren es stets neue Anbieter, die den Markt eroberten.

Eine disruptive Innovation spricht oft neue Käuferschichten an. Sie verändert die Kriterien, nach denen Produkte ausgewählt werden. Beispielsweise war das entscheidende Kaufkriterium für Festplatten der ersten Generation der Preis pro Speichermenge. Doch mit dem Aufkommen neuer Computerformen kam es nicht mehr nur darauf an, möglichst viel Platz auf der Festplatte zu haben. Neue Technologien ermöglichten es, dieselbe Datenmenge auf weniger Platz zu speichern und damit kleinere Laufwerke zu bauen. Diese neuen Laufwerke waren pro Megabyte wesentlich teurer als die alten, aber sie erlaubten es, statt der bisherigen Mainframes Minicomputer zu bauen.

Das Tückische daran ist, dass disruptive Innovationen oft von den eigenen Kunden abgelehnt werden. Die Hersteller von Mainframes hatten überhaupt keinen Bedarf an kleinen Laufwerken. Also sahen die führenden Laufwerkshersteller auch keine Veranlassung, welche zu bauen, obwohl sie die Technologie dafür bereits entwickelt hatten. Erst als die Mainframe-Hersteller nach und nach aus dem Markt gedrängt wurden, erkannten die Manager der Festplattenbauer ihren Fehler: Sie hatten zu sehr auf ihre Kunden gehört.

Hinzu kommt, dass disruptive Innovationen für die Marktführer oft unattraktiv sind. Zunächst handelt es sich meist um Nischenmärkte. Die erzielbaren Margen sind zudem oft geringer als die der etablierten Produkte. Der Vertrieb hat keine Lust, sich mit diesem „Nebenkriegsschauplatz“ zu befassen, der ihm sein eigenes lukratives Geschäft kaputt zu machen droht. Erst, wenn offensichtlich ist, dass die neue Technologie den Markt vollständig verändert, erkennt man, dass man handeln muss. Doch dann ist es oft bereits zu spät.

Kommt Ihnen das bekannt vor? Es ist offensichtlich, dass es sich bei E-Books um eine disruptive Innovation handelt. E-Books sind keine „besseren“ Bücher: Sie haben gegenüber gedruckten Büchern sogar erhebliche Nachteile, weil sie z.B. nicht ohne Lesegerät funktionieren, nicht ins Regal gestellt oder verliehen werden können. Aber sie bieten einen ganz neuen Nutzen: Der Leser kann ein komplettes Bücherregal in seiner Jackentasche mit sich herumtragen. Er kann jedes beliebige Buch innerhalb von Sekunden herunterladen und mit dem Lesen beginnen, ob im Urlaub, in der U-Bahn oder auf dem Sofa. Ganz neue Produktformen sind möglich – von der einzelnen Kurzgeschichte bis zum 2000-Seiten-Epos, von bunten Multimedia-Apps bis zu nichtlinearen Erzählformen. Damit bieten E-Books die Chance, neue Bedürfnisse anzusprechen und sogar neue Käuferschichten zu erobern.

Der Haken ist: E-Books verschieben die Markt-Spielregeln. Plötzlich ist für den Erfolg nicht mehr die Präsenz auf der Ladenfläche, sondern beispielsweise die Aufmerksamkeit in sozialen Medien wichtig. Doch wenn es darum geht, die neuen Chancen zu nutzen, dann sind es meist kleine Start-Ups und unbekannte Autoren, die konsequent neue Wege gehen. Die etablierten Marktführer haben zu viel zu verlieren – man will ja seine bestehenden Partner nicht verärgern. Statt selbst die Technologie voranzutreiben, die das eigene Kerngeschäft auf Dauer zerstören wird, versucht man, diese Zerstörung möglichst lange hinauszuzögern. Dies kann man beispielsweise am prohibitiven Pricing für E-Book-Ausgaben von Hardcovern deutlich erkennen.

Doch wie schon die Hersteller von Computerfestplatten werden irgendwann auch Buchhändler und Verlage erkennen, dass sich die Marktveränderung nicht aufhalten lässt. Die einzige Chance, auch in Zukunft noch eine führende Rolle zu spielen, liegt darin, sein eigenes Geschäftsmodell kreativ zu zerstören. Ansätze dafür habe ich in den bisherigen Beiträgen aufgezeigt.

Oft jedoch scheitern Veränderungen nicht an der Erkenntnis ihrer Notwendigkeit, sondern an der Fähigkeit, sie im eigenen Unternehmen um- und durchzusetzen. Mit der Frage, wie man Mitarbeiter auf einschneidende Veränderungen vorbereitet, werde ich mich daher im nächsten Beitrag befassen.

Karl-Ludwig von Wendt studierte Betriebswirtschaftslehre und promovierte über künstliche Intelligenz. Er hat neun Jahre Erfahrung als Unternehmensberater mit dem Schwerpunkt Online-Transformation im Handel und in der Telekommunikation. Zwölf Jahre war er Unternehmer in der New Economy, wo er zwei Start ups gründete und u.a. mit dem eConomy-Award der Wirtschaftswoche für das „Start up des Jahres” ausgezeichnet wurde. Als Karl Olsberg schreibt er Thriller, Jugend- und Sachbücher. Im Januar 2012 gründete er die briends gmbh, die Verlage insbesondere bei der Entwicklung von Contentmarken sowie Social Writing unterstützt.

Kommentare

3 Kommentare zu "Karl-Ludwig von Wendt: Das Dilemma des Innovators"

  1. Jaja, „auf den Punkt“, prima 😀

    Man könnte auch einfach die Unternehmerweisheit „Kannibalisiere dich selbst, bevor es ein anderer tut“ herbeiziehen. Das sagt alles. Weiß jeder. Wirkliche Ratschläge suche ich hier aber auch vergebens.

    • Dr. Karl-Ludwig von Wendt | 28. November 2012 um 18:49 | Antworten

      „Wirkliche Ratschläge“ gibt es teilweise in meinen anderen Blogbeiträgen, z.B. zum Thema Umgang mit Fehlern (siehe Link im Beitrag). Aber ein Blogbeitrag kann natürlich keine Pauschalantwort auf fundamentale Unternehmensprobleme liefern. Im konkreten Fall muss man schon etwas genauer hinschauen, was man tun kann und sollte.

  2. Prima auf den Punkt – danke!

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