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Wer hat Angst vor dem Standard?

Andrea Tenorth.

Andrea Tenorth ist Coach und Beraterin. Seit knapp 20 Jahren befasst sie sich mit Software-Einführungen.

Jeder Verlag möchte einzigartig sein und sich abheben – nicht nur durch seine Leistungen, sondern auch dadurch, wie er diese Leistungen erbringt. Das schmeichelt dem einzelnen Unternehmen und seinen Mitarbeitern – es zerstört aber wichtige Geschäftsgrundlagen! Warum?

In den meisten Branchen suchen die Verantwortlichen den Leistungsprozess zu standardisieren und sind überzeugt: Das macht ihre Unternehmen für neue Marktbedürfnisse reagibel und verbessert die Produktqualität. Daher können sie ihre Prozesse IT-technisch leicht und ohne Ausnahmen abbilden. Das Beharren auf Sonderwegen und deren Implementierung in die Software-Regeln sieht nicht nur Coach und Beraterin Andrea Tenorth als Manifestation von „Turn-around-Problemlösungen“, sondern auch als entgangene Chance, Entscheidungsschwächen und „Systemwucherungen“ aufzudecken –und zwar über alle Führungsebenen hinweg bis in die Chefetagen. Im IT-Channel von buchreport.de zeigt sie die Vorteile der Standardisierung auf.

 

„IT löst keine Prozessprobleme, sondern beschleunigt sie“

Das war einer der ersten Sätze, die ich gelernt habe, als ich mich zu Beginn der 2000er Jahre das erste Mal intensiv mit der Einführung von Verlagssoftware beschäftigt habe. Heute würde ich hinzufügen: Wenn man anfängt, eine zentrale Software zur Verwaltung der Prozesse und ihrer Ergebnisse einzusetzen, kann man nicht mehr vorbeischauen an den Problemen in Organisationen, zu deren „Lösung“ man Prozesse implementiert, ohne die Probleme zu lösen. Und das ist das Dilemma eines jeden Software-Einführungsprojektes. In dem Moment, wo man sich entschieden hat, eine (Standard)-Software einzuführen, muss man sich damit auseinandersetzen, wie man arbeitet: Prozess-Probleme werden aufgedeckt, Entscheidungen und Nichtentscheidungen werden transparent.

Diese Themen anzugehen, braucht ein klares Commitment aller Beteiligten und eine zusätzliche Kompetenz neben reinem Fachwissen über IT-Technik und Projektmanagement, weil zunächst andere Probleme gelöst werden müssen: Es braucht Vereinbarungen darüber, wie gearbeitet werden soll, oder zumindest klare Ziele – und ich meine damit eineindeutige, smarte Ziele! –, damit man Soll-Prozesse entwickeln kann.

IT kann alles abbilden, aber wenn zu jedem Button oder zu jedem Eingabefeld ein umfangreiches Regelwerk erforderlich ist, wann und warum der Button geklickt oder die Eingabe gemacht werden soll und wann nicht, hilft IT nicht wirklich weiter. Deshalb muss es Entscheidungen dazu geben, wie standardmäßig gearbeitet werden soll.

Es gibt in vielen Unternehmen heute durchaus Prozessverständnis und geregelte Prozesse – meistens aber nicht abgestimmt über Abteilungen hinweg und zu wenig standardisiert. Das verursacht unzählige Schnittstellenprobleme: unfertig übergegebene Teilprodukte, fehlende Metainformationen, unpünktliche Übergaben, Missverständnisse über Qualität, Kommunikationsprobleme etc.– die Liste ist lang.

IT-Grundlagen und Technologien der Zukunft

Mehr zum Thema IT und Digitalisierung lesen Sie im IT-Channel von buchreport und Channel-Partner knk. Hier mehr…

Und selbst in Unternehmen, in denen gut kommuniziert und sehr teamorientiert zusammengearbeitet wird, staunen die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, wenn man anfängt, Prozesse zu visualisieren, darüber, wie unterschiedlich die Prozesse tatsächlich gelebt werden. Im Detail gibt es viele Abweichungen, die nur so lange funktionieren, wie immer alles gleich gemacht wird und gleich bleibt, das heißt wenn Produkte und Mitwirkende sich nicht verändern. Absolut verständlich, dass man zum Beispiel Angst davor haben kann, bei Veränderungen die Kontrolle zu verlieren, Fehler zu machen und sein Pensum nicht mehr geschafft zu bekommen.

Für mich ist es daher wichtig, dass es allerspätestens mit dem Beginn der Einführung bzw. des Aufsetzens des Softwareprojektes auch die Erlaubnis und die Ressourcen dafür gibt, nicht nur die Ist-Prozesse mit den Beteiligten anzuschauen, sondern auch genau hinzuschauen, warum die Prozesse so gelebt werden – frei nach dem Motto: „Für welches Problem ist die augenblickliche Situation die Lösung?“

Meine Erfahrung nach 19 Jahren aktivem Prozessmanagement als Betroffene, aber auch als Coach und Beraterin, ist: Es gibt zu viele Möglichkeiten, zu wenig Geld und zu wenig Zeit! Wir reden heute mehr denn je bei Prozessoptimierung nicht mehr davon, ideale Prozesse zu schaffen, sondern Mangel zu verwalten – „die Decke ist zu kurz!“.

Standards sind vorweggenomme Entscheidungen

Und da kommen Standards genau richtig, da Standards „vorweggenommene Entscheidungen“ sind, mit denen man sehr gut arbeitsteilig, effektiv und effizient arbeiten kann:

  • Standards in der Abbildung von Prozessergebnissen ermöglichen allen den Zugriff auf Informationen und Daten
  • Standards als Definitionen, wann ein Prozessschritt abgeschlossen ist, regeln die Qualität der Übergabe von Teilergebnissen oder Teilprodukten
  • Standards sichern die Qualität (etwas, was man übrigens nur in der Medienbranche erklären muss!)
  • Standards regeln zusätzlich den Umgang mit Ausnahmen
  • Standards geben Raum für neue Projekte, Produktentwicklungen und Ausnahmen
  • Standardsoftware bietet eine einheitliche Logik für die Abbildung von Prozessen und Prozessergebnissen, standardisiert aber nicht die Produkte

Es lohnt sich also bei zunehmender Komplexität und Veränderungsdynamik, sich damit auseinanderzusetzen, wie man bisher gearbeitet hat. Man darf nur nicht blauäugig loslegen und „nur“ technisch auf die Sache schauen. Menschen und Systeme sind komplex und haben ihre eigene Dynamik, und der Umgang damit erfordert mindestens genauso viel Zeit und Expertise wie das Projektmanagement zur Softwareeinführung.

Aber es bietet sich wie bei jedem Projekt dieser Art die Chance, das anzugehen, was man durch die Prozessanalyse an Problemen gespiegelt bekommt. Man muss nur berücksichtigen: Wie bei einer Krankheit sind die Symptome nicht gleichzeitig Ursachen. Die Ursachen von Prozessproblemen liegen meistens tiefer und an anderer Stelle. „Pflasterkleben“ oder die Einführung von Standardsoftware ohne die Bereitschaft von Führung und Management, ihren Teil an Veränderung dazu beizutragen, macht die Umsetzung sehr, sehr teuer und langwierig.

Für mich gibt es in unserer heutigen digitalen Welt keinen anderen Weg als über Standards, um überhaupt eine Chance zu haben, Komplexität zu bewältigen. Und Standardsoftware gehört dazu, allein schon aus dem Grund, dass kein Unternehmen Zeit und Kapazität hat, bei technisch nötigen Updates immer wieder neu zu programmieren.

 Mehr zum Thema erfahren Sie im Rahmen des knkServices Workshops „Wer hat Angst vor dem Standard?“ am 26. Juni 2019.

 

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