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Ist Lesen im Kreis spießig, Herr Böhm?

Im angelsächsischen Raum haben Lesekreise eine Tradition. Die meisten deutschen Verlage haben das Potenzial aber bislang noch nicht erkannt. buchreport hat mit Thomas Böhm (Foto: Manfred Wegener), Autor von „Das Lesekreisbuch“ (Berlin Verlag Taschenbuch, 7,95 Euro) über das gemeinsame Lesen gesprochen.

Warum sind Lesekreise in Großbritannien und den USA so populär, während sie hierzulande wenig beachtet werden?

Im deutschen Literaturbetrieb ist das Phänomen „Lesekreise“ wenig präsent: Es gibt nur zwei Verlage, die Taschenbuch-Ausgaben für Lesekreise anbieten, d.h. Ausgaben, die im Anhang Materialien zur Diskussion für einen Lesekreis enthalten. In den USA ist es dagegen weit verbreitet, die Verlage publizieren sogar Sonderausgaben für Lesekreise und nutzen dieses Format fürs Marketing. Darüber hinaus gibt es eine ganze Reihe von Internetseiten, die sich gezielt an Lesekreise richten. Ich kenne keine vergleichbare deutschsprachige Lesekreisszene. Gleiches gilt für die Homepages der Autoren: In Amerika ist es gang und gäbe, dass es ein Angebot für Lesekreise gibt.

Sie fordern auf: „Bildet Lesekreise!“ An wen richten Sie sich?

Es ist der allgemeine Aufruf, das geteilte Leseglück zu verstetigen. Aus eigener Erfahrung weiß ich, wie bereichernd es ist, an einem Lesekreis teilzunehmen. Die positiven Effekte reichen bis ins Berufsleben: In Großbritannien etwa betreibt die Kaufhauskette Marks & Spencer ein Lesekreisprogramm, um das Betriebsklima in ihrem Unternehmen zu verbessern und die Mitarbeiter fortzubilden. Lesekreise sind ein Mittel der Weiterbildung, man kann sich nicht nur über schöne Literatur, sondern auch über Fachpublikationen austauschen.

Das Wort „Lesekreis“ hat nicht besonders viel Sexappeal, es könnte die Befürchtung wecken, dass einem liebgewordene Literatur zerredet wird.

Jeder Lesekreis stellt die Regeln selbst auf, wie über Literatur geredet wird. Sollte jemand in einem Lesekreis sein und das Gefühl haben, das Sie beschreiben, dann nimmt er daran nicht mehr teil oder ändert die Regeln. Es stimmt schon, dass das Wort diesen Beiklang hat, wie seltsamerweise alles, was mit einer gemeinschaftlichen Auseinandersetzung mit Literatur zu tun hat: Lesungen etwa haben auch damit zu kämpfen, dass sie im Ruf stehen, eine bildungsbürgerliche Pflichtveranstaltung zu sein. Aber jeder, der einmal in einem Lesekreis gewesen ist, weiß, wie lebendig es zugeht, dass es überhaupt nichts mit Spießbürgertum, sondern mit Leidenschaft für Literatur zu tun hat.

Wie kann der Buchhandel Lesekreise fördern: Sollte jeder Sortimenter jetzt einen eigenen Lesezirkel gründen?

Wenn ich einen Lesekreis gründen wollte, dann wäre meine Buchhandlung die erste Adresse, an die ich mich wenden würde: Dort gehen Menschen hin, die sich für Literatur interessieren und wie ich die Empfehlungen meines Buchhändlers schätzen. Eine Buchhandlung, die sich versteht als ein Ort, an dem Lesekreise zusammenfinden können, hätte viel gewonnen.

Wie lässt sich das in der Praxis umsetzen?

Der Buchhändler könnte damit anfangen, dass er ein schwarzes Brett für Lesekreise einrichtet, an dem Interessierte, die einen Lesekreis gründen möchten, einen Aushang machen können. Er könnte selbst Empfehlungen für Lesekreise geben, denn er wird in jedem Fall unter seinen Kunden Menschen haben, die in einem Lesekreis sind. Auf diese Weise kann die Buchhandlung zum Ort werden, wo Lesekreise miteinander kommunizieren oder sich treffen.

Was hat der Buchhändler davon?

Er gewinnt ein ideales Mittel der Kundenbindung: Er kann seine Stammkunden ansprechen und seine Buchhandlung zum Treffpunkt eines Lesekreises machen. Es wird auf jeden Fall Effekte haben. Was glauben Sie wohl, wo diese Leute ihre Bücher kaufen werden? Sicherlich in der Buchhandlung, in der sie zusammengekommen sind.

Verlage im deutschsprachigen Raum haben das Potenzial offenbar noch nicht entdeckt…

Ich habe bislang die Erfahrung gemacht, dass sich viele Verlage eine solche Lesekreiskultur für Deutschland wünschen, aber umfassend initiativ geworden ist noch keiner, denn es bedeutet letztlich, eine neue Struktur im Verlag zu schaffen: Man muss Personal aufwenden, um auf den Homepages spezielle Seiten einzurichten und die Bücher für Lesekreise aufzubereiten. Dieser Aufwand lohnt sich aber allemal: Es ist nicht nur ein Mittel, neue Bücher zu lancieren, sondern eine fantastische Möglichkeit zur Backlistpflege. Bloomsbury fängt mit meinem Buch und einem Lesekreispaket für Buchhändler gerade an.

In Großbritannien vergibt Penguin einen Preis für die besten „Reading Groups“ und räumt Lesekreisrabatte ein. Könnten deutsche Verlage mit ähnlichen Aktionen profitieren?

Dass die englischen und amerikanischen Verlage Lesekreise so sehr in den Mittelpunkt stellen, ist Ausdruck davon, dass Lesekreise mittlerweile ein Faktor auf dem Buchmarkt geworden sind. Wenn ein Buch ein großes Echo in Lesekreisen findet, dann wird es durch Mund-zu-Mund-Propaganda zum Bestseller, an jeder Kritik und allen anderen Mechanismen des Buchmarktes vorbei. Das berühmteste Beispiel ist Khaled Hosseinis Roman „Drachenläufer“, der in Amerika innerhalb kürzester Zeit auf sämtlichen Empfehlungslisten von Lesekreisen stand und dadurch zum Bestseller avancierte.

Das Internet erscheint als ideales Medium, um über Bücher zu diskutieren. Finden Lesekreise künftig vor allem in sozialen Netzwerken statt?

Natürlich nimmt das Internet Einfluss auf unsere Lesekultur. Wenn Mitglieder in sozialen Netzwerken ein Buch diskutieren, ist das ein Lesekreis im Internet. Mich interessiert aber in erster Linie die persönliche Begegnung, dass man über die Jahre eine Beziehung zueinander entwickelt, dass man Anteil nimmt am Leben anderer. Ich bin überzeugt, dass Lesekreise sogar Ausdruck eines gegenläufigen Trends sind: Weil alles immer virtueller wird, wollen sich die Menschen persönlich treffen und austauschen.

Das komplette Interview ist im buchreport.magazin 9/2011 nachzulesen

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