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Ist diese Branche noch entwicklungsfähig?

Die Buchbranche ächzt unter dem Ver­än­de­rungs­druck durch neue Me­dien­for­mate, sich auffächernde Vertriebswege, neuartige Kundenbeziehungen und Kommunikationsformen. Zur Neuausrichtung der Verlage gehören neue Leute mit Erfahrungen und Ideen, die nicht aus der Branchensozialisation er­wachsen. Helena Bommersheim (54, Foto: Bommersheim Consulting), nach Führungspositionen in Buchhandlungen und Verlagen seit acht Jahren Unternehmens- und Personalberaterin, kennt den wachsenden Bedarf an digital kompetenten Mitarbeitern, idealerweise mit Affinität zu den Inhalten und Ideen für neue Geschäfte.

 

Die Verlagsbranche ist im Umbruch: Hat sie und bekommt sie die richtigen Leute?
Nicht per Fingerschnippen. Für die Entwicklung des vorhandenen Mitarbeiterstamms lautet die Frage: Wie machen wir aus unseren Unternehmen lernende Organisationen? Bei der Gewinnung neuer Mitarbeiter müssen sich Verlage fragen, ob sie als Unternehmen und als Branche für gute Leute ausreichend attraktiv sind. Da gibt es in diesen Tagen einige Ernüchterung.
Vor der Personalentwicklung und Mitarbeiterakquise steht die Frage nach der Strategie: Wissen die Verlage, wohin sie gehen wollen?
Wir sind in einer Phase eines grundlegenden Change-Prozesses und dazu gehört, dass man sich strategisch neu aufstellt. Da sind die Verlage unterschiedlich weit, manche fangen gerade erst an. Für die Umsetzung der Strategie braucht es dann die richtigen Menschen, die das alles auf den Weg bringen. Aber selbst dort, wo bereits länger an einer Neuausrichtung gefeilt wird, steht die Strategie immer wieder auf dem Prüfstand. Wir erleben eine große Dynamik in diesem Veränderungsprozess und niemand kann sa­gen: Ja, diesen Weg gehe ich jetzt die nächsten zwei Jahre oder fünf Jahre. So läuft das nicht mehr.
Was heißt das für die personelle Aufstellung? 
Es erfordert Menschen, die dieser Dynamik gewachsen sind. Die nicht davor zurückschrecken, immer wieder klar zu überprüfen, ob das, was man gerade unternimmt, auch richtig ist. Auf der einen Seite ist unerschrockenes Voranschreiten gefragt, auf der anderen Besonnenheit und ein anderer Mut, nämlich Fehlentscheidungen auch wieder zu korrigieren und Dinge zurückzunehmen.
Funktioniert die Personalentwicklung?
Das wird sie müssen, schon weil es wenig Alternativen gibt. In den Fachinformationen hat es meist gut funktioniert, auch der Situation geschuldet, dass der Markt für be­stimmte Themenfelder gar nicht genügend Personal bereithält.
Das vernetzte Content-Kontext-Denken der digitalen Welt schlägt sich in der Arbeitsweise der Projektteams nieder. Die Frage lautet: Was ist vorhanden und wie entwickeln wir es? Dazu kommt die Herausforderung, kluge Köpfe zu gewinnen mit kreativen Ideen. Idealerweise sind dies bereits digital versierte Netzwerker, die möglichst noch eine Vorstellung für neue Geschäftsmodelle haben und vielleicht sogar eine Affinität zum jeweiligen Content.
Wie attraktiv ist die Verlagsbranche mit ihren vielfältigen Inhalten?
Insgesamt ist der Wettbewerb um die klugen Köpfe enorm hoch. Und man muss eines deutlich sagen: Content is everywhere. Das ist nicht etwas, was wir für uns als Alleinstellungsmerkmal reklamieren können. Es gibt viele Unternehmen, die unmittelbar angrenzen. Technologieunternehmen, rein netzorientierte Start-ups, die ihren Markt neu erfinden. All das zählt selbstverständlich zum Wettbewerb.
Wie steht es um die anderen Medienbranchen, die auch nicht alle vor Kraft strotzen?
Die anderen Medienbranchen sind zum Teil noch stärker unter Druck, sind aber oft ein ganzes Stück weiter als die Buchverlagsbranche. Sie sind attraktiver aus Gründen der Internationalität, weil es völlig neue Ge­schäftsmodelle gibt, weil be­reits Arbeitsmodelle speziell für junge Leute angeboten werden, weil eigene Thinktanks vorhanden sind, weil interessante Konferenzen veranstaltet werden, die auch ein internationales Publikum ansprechen und, und, und.
Ist die Buchbranche demgegenüber zu introvertiert und leise?

Ja, das ist so. Oder die Auftritte sind zu defensiv und negativ besetzt, wenn wir an die Urheberrechtsdiskussion um ACTA denken. Das Thema wurde durch die Medien und Talkshows gejagt und die Urheberrechtsbranchen sahen sich in einem negativen Kontext. Das hat erheblichen Einfluss genommen auf unsere Rekrutrierungsprozesse. Ich bin noch nie so oft mit der Fragestellung konfrontiert worden: Ist denn diese Branche überhaupt entwicklungsfähig? Ergeht es ihr womöglich wie der Musikindustrie? Was sollten die Beweggründe sein, dass ich ausgerechnet dahin wechsle?

Welches Image hat die Buchbranche? 
Das Bild, das wir nach draußen abgeben, gerade für die klugen Köpfe, ist kein optimistisches. Diese jüngeren, hervorragend ausgebildeten Menschen, die informiert sind, die natürlich ganz extrem die Netzaktivitäten verfolgen, stellen uns diese Fragen. Zum Teil werden Absagen erteilt mit der Begründung, dass sie sich nicht in eine Branche begeben wollen, deren Überlebensfähigkeit eher mit einem Fragezeichen versehen ist. Es wird sehr in Frage gestellt, ob wir die Innovationskraft haben, in dieser Branche künftig noch Geld zu verdienen. Ob wir noch eine Branche sind, die sich überhaupt noch so weiterentwickeln kann, dass sie auch weiterhin einen Markt bedient.

Die Fragen stellte Thomas Wilking
Zur Person: Helena Bommersheim

1958 geboren, Ausbildung zur Sortimentsbuchhändlerin, dann als jüngste Führungskraft zur Großbuchhandlung Stern Verlag (Düsseldorf) und als Bertelsmann-Stipendiatin in London und in den USA. Ab 1987 elf Jahre beim Droemer Knaur Kindler Verlag in Vertrieb und Marketing, zunächst als Verkaufsleiterin, dann als Vertriebs- und Marketing­leiterin. Ab Juli 1998 als Geschäftsführerin Aufbau des DuMont Monte Verlags in Köln. Seit 2004 selbstständig mit Bommersheim Consulting (www.bommersheim.de

Veranstaltung: „Kluge Köpfe“ – Recruiting und Personalentwicklung“

Am Frankfurter Buchmesse-Mittwoch (10. Oktober, 10 Uhr) steht im Forum Verlagsherstellung (Halle 4.0) das Thema „Most wanted: Kluge Köpfe für den Wandel. Recruiting und Personalentwicklung in der Medienbranche“ auf der Agenda mit den Verlagsgeschäftsführern

  • Urban Meister (Cornelsen)
  • Frank-H. Häger (Ganske)
  • Birte Hackenjos (Haufe Lexware)
  • Christian Schumacher-Gebler (Ullstein)
  • Helena Bommersheim (Keynote und Moderation)
  • Akademie des Deutschen Buchhandels (Partner).

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