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Daniel Speck: »Ich bin weg, und sie sind da«

Wo entstehen Bücher? Und welchen Routinen folgen Autoren eigentlich beim Schreiben? In der buchreport-Serie „Mein Schreibtisch” gewähren Autoren Einblick in ihre Arbeit.

Dieses Mal: Daniel Speck, der seinen Schreibtisch für den langweiligsten Ort zum Schreiben hält und sich lieber auf Reisen vor Ort inspirieren lässt.

Dieser Beitrag ist zuerst erschienen im buchreport.magazin 12/2018.

(Foto: privat)

„Woher kam Ihnen die Idee?“ Mit dieser Frage kann man jeden Autor zum Wahnsinn treiben. Kein Interview, keine Lesung ohne diese Frage. Gut gemeint und aus echtem Interesse, löst sie bei kreativen Menschen doch allergische Reaktionen aus. Der Grund dafür ist (psst, nicht weitersagen!): Wir wissen es nicht. Echt nicht. Keinen blassen Schimmer, woher die Ideen kommen. Wüsste ich es, hätte ich ein Abo. Ich würde meine Zelte an dieser Quelle aufschlagen, um mich Tag und Nacht am kosmischen Ideengral zu laben. Aber leider hat noch niemand diesen Ort gefunden. Und falls einer ihn findet, wird er ihn sicher keinem Kollegen verraten. Manche munkeln, Stephen King habe ihn gefunden, würde aber behaupten, wie jeder andere Autor täglich an einem profanen Schreibtisch zu sitzen.

Das Einzige, was ich sicher weiß, ist, wo meine Ideen nicht herkommen: aus meinem Arbeitszimmer. Mein Schreibtisch ist so ziemlich der langweiligste Ort zum Schreiben. Lieber staple ich dort Rechnungen, Visitenkarten, Taxibelege von Lesereisen … Dinge des täglichen Lebens. Um Ideen für meine Geschichten zu bekommen, muss ich raus. In eine andere Umgebung, die mir hilft, den Alltag zu vergessen. Denn ich schreibe aus dem gleichen Grund, warum ich lese: Um in andere Welten einzutauchen; andere Zeiten, andere Länder, andere Menschen. Je weiter ich mich von mir wegbewege, desto näher komme ich mir – so paradox das klingen mag. Der Mythologe Joseph Campbell schrieb einmal: „Wo du dachtest, einem Fremden zu begegnen, triffst du in Wahrheit dich selbst.“

Meine Geschichten handeln oft von Menschen auf Reisen, und so wie jedes Leseerlebnis eine Reise im Kopf darstellt, ist auch der Schreibprozess eine Reise, mit allen Unwägbarkeiten, Entdeckungen und Grenzerfahrungen. Meine Ideen entstehen, während ich die Schauplätze meiner Geschichten besuche und mit den Menschen vor Ort spreche. Für „Bella Germania“ waren es Mailand und Sizilien, für „Piccola Sicilia“ waren es Sizilien und Tunis.

Und dort stehen auch meine Lieblingsschreib­tische. Der eine ist ein weißer Bistrotisch auf der Terrasse des Hotel Signum auf der Insel Salina. Er ist winzig klein, der Wind weht meine Blätter weg, und ringsherum trinken Italiener Kaffee. Aber der Blick aufs Meer ist atemberaubend, die Luft riecht nach Thymian, und über mir ist nichts als freier Himmel. Nur hier konnte ich Sizilien so beschreiben, wie es sich mit allen Sinnen anfühlt. Mein zweiter Schreibtisch ist blau und noch kleiner. Auch er ist rund und steht in einem Hotel: Die Villa Bleue in Sidi Bou Said, einem Vorort von Tunis. Wenn ich Glück habe, bekomme ich eins der beiden Zimmer mit Balkon. Selbst im Sommer weht hier immer ein frisches Lüftchen, die Luft duftet nach Jasmin, und das Meeresrauschen wiegt mich in eine kreative Trance. Hier vergesse ich alles, woran mich der heimische Schreibtisch erinnert: Mails beantworten, die Rechnung für den Automechaniker bezahlen, Tomaten kaufen. Und wenn ich ganz besonders viel Glück habe, vergesse ich sogar, mich zu fragen, woher meine Ideen kommen. Dann ist alles ganz einfach: Ich bin weg, und sie sind da.

 

(Foto: Kevin Faingnaert)

Daniel Speck
erreichte mit „Bella Germania“ (S. Fischer) Platz 8 der Jahresbestsellerliste 2016 Paperback Belletristik und legte damit das erfolgreichste Debüt des Jahres vor. 2017 belegte er Platz 7 der Jahresbestseller.

Der 1967 in München geborene Autor studierte Filmgeschichte u.a. in Rom. Von ihm stammen die Drehbücher zu „Maria, ihm schmeckt’s nicht“ sowie „Zimtstern und Halbmond“. Für „Meine verrückte türkische Hochzeit“ erhielt er den Grimme-Preis und den Bayerischen Fernsehpreis.

 

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