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Hartwig Schulte-Loh: Die Zukunft des Börsenvereins

Hartwig Schulte-Loh: Die Zukunft des Börsenvereins

Mehr als ein Jahrhundert lang war der Börsenverein Meinungsführer der Buchbranche. Diese Vorherrschaft entgleitet dem Verband seit einiger Zeit. Die Initiative einer grundlegenden Branchendiskussion, die ohnehin seit vielen Jahren geführt wird, ist ein Vorwand. Sie dient als Vehikel, die sichtbare Erosion der Macht zu stoppen. Es geht nicht um die wirtschaftliche Zukunft der Branche – sondern um die Zukunft des Börsenvereins.

Der Börsenverein wurde 1825 gegründet. Schnell  wurde der Verband zu einer Vertretung des gesamten Berufsstandes und zementierte mit der Verkehrsordnung,  der Krönerschen Reform und der Bremer Übereinkunft seine zentrale Branchenstellung. Urheberrecht und der feste Ladenpreis sind bis heute wesentlicher Bestandteile seiner Arbeit.

Auf wesentliche Branchenfragen eine Antwort zu finden, ist historischer Teil seiner Legitimation. Dieses ist aber in einer zunehmend fragmentarischen Branche nicht mehr möglich. Damit ist die Gefahr des Auseinanderbrechens der Branche virulent.

Mit ihren 55 Thesen wollen die drei Spartenvertreter des Verbands eine breite Branchendiskussion zu grundlegenden Zukunftsthemen entfachen. Mehr als die Hälfte der Thesen betrifft den Börsenverein und seine Unternehmen und spiegelt lediglich den Diskussionsstand der Branche. Die methodischen Unklarheiten und Beliebigkeiten sind vielfach erwähnt worden.

Ein Beispiel: Um stichhaltige Prognosen zu entwickeln, ist es in der Marktforschung üblich, Expertenmeinungen einzuholen. Die Befragung der Experten erfolgt nach sehr ausgefeilten Vorgaben (Delphi-Methode) und sieht ein mehrstufiges, dokumentiertes Interviewmodell vor. Methodische Überlegungen sind  nur unzureichend in die Entstehung der 55 Thesen eingeflossen. Zumindest eine Evaluation der Thesen durch ein unabhängiges Institut wäre zwingend erforderlich.

Es würde mehr nutzen unter Einbeziehung der IT-Wirtschaft einen Think Tank zu installieren, der Ideen entwickelt und regelmäßig laufende Entwicklungen kommentiert.

Es würde mehr nutzen durch eine massive Offensive (mit der IT-Wirtschaft), das Technikwissen der Branche deutlich zu verbessern.

Es würde mehr nutzen die schwerfälligen ehrenamtlichen Strukturen zu beenden. Denn: Wir sind doch „eine große Familie“ ist längst Geschichte.

Es gibt so viele neue Möglichkeiten, neue Ansätze und neue Geschäftsmodelle. Was diese Branche einen könnte, ist nicht das leblose Prinzip Buch, sondern die Leidenschaft für das Buch, in welcher Form es auch immer produziert, gelesen oder vertrieben wird.

Es gab mal einen Frankfurter Buchhandelsunternehmer, der oft erst mittags in seinem Geschäft erschien. Der Grund war seine Vorliebe für das Frankfurter Nachtleben. Wenn er dann aber in seinem Geschäft ankam, zog er aus allen Taschen Zettel und halbe Bierdeckel hervor, auf denen Buchbestellungen notiert waren, die er in der Nacht gesammelt hatte.


Hartwig Schulte-Loh war Geschäftsführer beim Berliner Kulturkaufhaus Dussmann und zuletzt Berater der Edel AG im Musikgeschäft. Aktuell lässt er sich zum Coach ausbilden und berät Firmen mit seinem Unternehmen Buchnet.

Kommentare

1 Kommentar zu "Hartwig Schulte-Loh: Die Zukunft des Börsenvereins"

  1. Einspruch Euer Ehren: Der Börsenverein ist in seiner grundsätzlichen Funktion als Sprachrohr nach außen und regulativ nach innen von außerordentlicher Bedeutung. Ich blicke ja ständig nach Großbritannien und in die USA – dort entfalten die Verbände nur einen Bruchteil der Wirkung des Börsenvereins.

    Wenn die Fähnleinführer der Branchengruppen sich die Mühe machen, Thesen zur Zukunft unserer Branche zu entwickeln, dann reicht es einfach nicht, diese Mühe damit abzuqualifizieren, dass man auf möglicherweise bessere Vorgehensweisen hinweist – das ist nicht mehr als Defätismus. Mit den Thesen ist zumindest deutlich geworden, dass der Verband seine Rolle für die Branche ernst nimmt und sich nicht auf das Verteidigen des Status Quo beschränkt.

    Und weiter: Wie der Börsenverein seine Arbeit erledigt, unterliegt der Kontrolle der Mitglieder. Und hier ist sicherlich unstrittig, dass die Mehrzahl dieser Mitglieder sich fröhlich eingerichtet hat in der Nische der Karteileichen und sich höchstens ab und zu einmal mit Gemaule zu Wort meldet.

    Dabei wäre, gerade ob der nicht unumstrittenen Aktivitäten der Wirtschaftstöchter, nicht weniger Ehrenamt, sondern mehr Ehrenamt wichtig – besonders für das Hauptamt und für eben diese Wirtschaftstöchter. Ich kann mich noch gut erinnern an die heftigen Diskussionen, die im Aufsichtsrat der AuM stattfanden und bei denen ich seinerzeit als Pressesprecher der Buchmesse vom Wissen und den Einwänden der Aufseher gegen unsere Ideen (Ulmer, Hugendubel, Kurtze, Honnefelder, Schwarz, Saur, Links u.v.a.) enorm viel gelernt habe. So etwas nennt man konstruktiv-kritische Begleitung. Die Buchmesse hat die zeitweise unbequem kurze Leine nie genossen – tough luck, kann ich nur sagen, profitiert hat sie davon in jedem Fall. Inwieweit die heute installierten Aufsichtsgremien den Willen haben, in ähnlicher Weise die Arbeit der Wirtschaftstöchter zu begleiten, vermag ich nicht zu beurteilen.

    Und zum Abschluss: Es ist einfach zu billig, die vielfältigen Aufgaben in der tatsächlich in Fragmentarisierung begriffenen Branche auf ein paar wenige Personen abzuwälzen, die bereit sind, ehrenamtliche Verbandsarbeit zu leisten.

    Mit Wolfgang Niedecken deshalb der Appell: „Arsch hoch, Zähne auseinander!“

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