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Habe Mut zur Lücke gelernt

Viele Literaturverlage läuten das Frühjahr mit Nachwuchsautoren ein. Die Wege und Ziele dieser neuen Autoren beleuchtet buchreport.de in der Reihe „Ball der Debütanten“. Im fünften Teil der Serie stellt sich Andreas Martin Widmann (Foto) vor. Sein Roman „Die Glücksparade“ erscheint bei Rowohlt.

© Martina Pipprich

Mein Roman in drei Sätzen.
Neun Monate, nach denen nichts mehr ist wie zuvor. Ein Campingplatz, ein Vater mit abenteuerlichen Plänen und ein Sohn, der davon erzählt, wie sie scheitern. Eine einfache Geschichte aus unserer Zeit.

Meine literarischen Vorbilder.
Die Liste wird fast jeden Tag länger. Drei Namen, die mir seit Langem wichtig sind: Charles Dickens, besonders wegen seiner Figurenzeichnung. J.D. Salinger wegen seines jugendlichen Antihelden Holden Caulfield, der auch eine Haltung verkörpert und eine unangepasste Weltsicht. Schließlich Bruce Springsteen, der keine Bücher schreibt, sondern Songs. In Liedern wie „Nebraska“ oder „Sinaloa Cowboys“ erzählt er ganze Filme für den Kopf und beschwört Stimmungen, die mehr sagen als lange Erklärungen. Ob sich in meinem Roman etwas davon wiederfindet, kann ich schwer beurteilen. Die unbewusst aufgenommenen Einflüsse sind vielleicht viel wichtiger.

Mein Weg zu Rowohlt.
Im Sommer 2008 war ich Stipendiat im Klagenfurter Literaturkurs, dort hat meine heutige Lektorin Katja Sämann mich angesprochen. Als ich letztes Jahr eine Rohfassung meines Romans fertig hatte, habe ich ihr das Manuskript geschickt. Offenbar hat es ihr gefallen …   

Was meine Lektorin getan hat.
Die Zusammenarbeit war vor allem Arbeit am Text. Katja Sämann hat mir Mut zur Lücke gemacht. Sie hat mir geraten, auf die Geschichte, die Figuren und die Fantasie des Lesers zu vertrauen, also manches zu straffen. Ihr Sprachgefühl und ihr genauer Blick für Details, verzichtbare genauso wie unverzichtbare, waren dabei sehr wichtig.

Gedruckt oder digital?
Wenn ich es mir aussuchen kann, wünsche ich mir Leser, die mein Buch lieber ins Regal stellen als zu ihren Downloads. Ich selbst lese längere literarische Texte bislang nur gedruckt. Als Hilfsmittel, z.B. für Recherchen, benutze ich auch Online-Ausgaben und natürlich das Internet überhaupt. Für mich ist es eigentlich keine Entweder-oder-Entscheidung. Ich wünsche mich nicht ins vordigitale Zeitalter zurück, sondern ich glaube, dass digitale Medien gedruckte Texte gut ergänzen können, ohne ihnen zwangsläufig etwas wegzunehmen. Wie man weiß, bringen beide Formen ein unterschiedliches Leseverhalten hervor. Beide haben ihre Berechtigung und beide sollten gepflegt werden.  

Meine Lieblingsbuchhandlung.
In der näheren Umgebung die Karl Marx Buchhandlung in Frankfurt/M., weil sie unabhängig ist und über das Tagesgeschäft hinaus gut sortiert. Außerdem führt sie geisteswissenschaftliche Bücher und literarische Magazine.  

Der Literaturbetrieb.
Wahrscheinlich fühlt jeder, der mit dem sogenannten Betrieb in Berührung kommt, bald den Drang, ein Buch darüber zu schreiben. Ab und zu tut es auch jemand. Meine eigene Idee dazu: Ein Mockumentary nach dem Vorbild von „Spinal Tap“. Statt einer Rockband wird ein Schriftsteller von einem Kamerateam begleitet. Er findet auf der Buchmesse den Stand seines Verlags nicht, redet Unsinn im Interview, zeigt Journalisten seine besonderen Notizbücher (Sie haben eine Seite mehr als normal!). Er trifft erfolgreiche Hype-Autoren, windige Agenten und Leser. Sein Buch erhält schlechte Rezensionen, er erfindet sich neu mit neuer Brille, neuer Frisur und neuem Stil. Dann das Ganze wieder von vorn …

Mein Plan B.
Entweder man schreibt oder man hat einen Plan B. Aber natürlich habe ich auch schon anderes getan. Ich habe unterrichtet und als Werbetexter gearbeitet, habe, wie sich das gehört, Gelegenheitsjobs gemacht, war Grabungshelfer oder Fernsehstatist. Bei nüchterner Betrachtung sehe ich also gewisse Möglichkeiten. Im besten Fall bleiben es Möglichkeiten.

Zur Person
1979 in Mainz geboren, studierte Germanistik, Anglistik und Theaterwissenschaft, promovierte 2008 in Neuerer Deutscher Literatur und unterrichtete zeitweise Deutsche Sprache und Literatur an der University of London. Er veröffentlichte in zahlreichen Literaturzeitschriften und Anthologien und erhielt mehrere Preise, zuletzt den Robert-Gernhardt-Preis 2010.

Andreas Martin Widmann: Die Glücksparade
208 S., Rowohlt, 16,95 E
ISBN 978-3-498-03565-5

Bislang sind in der Serie folgende Teile erschienen:  

    Die komplette Serie lesen Sie im buchreport.magazin 3/2012 (hier zu bestellen)

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