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Gigantischste Kopier- und Enteignungsmaschine

Seit gestern stehen die Betreiber einer der größten Internettauschbörsen vor Gericht (buchreport.de berichtete). Führende Film- und Musikkonzerne aus den USA sind als Nebenkläger beteiligt. Auch deutsche E-Books („Harry Potter…“) und Hörbücher („Der Baader-Meinhof-Komplex“) werden auf der schwedischen Seite thepiratebay.org zum Download angeboten. Im Interview mit buchreport.de beschreibt der auf Urheberrecht spezialisierte Rechtsanwalt Björn Frommer (Foto) die Auswirkungen des Verfahrens, verteidigt DRM und beklagt die Hürden im Rechtssystembei der Verfolgung der Piraten.

Laut „Times“ ist der Prozess gegen thepiratebay.org der „Internet-Piraterie-Prozess des Jahrzehnts“. Welche Auswirkungen hat er für deutsche Verlage?
Das Internet macht einerseits alles so schnell erreichbar und nah; andererseits ist ein Gerichtsverfahren in Schweden wenig greifbar, weit entfernt. Das werden zumindest einige denken, sollte sie das Thema aktuell überhaupt schon erreicht haben. Der Prozess wird sie auf die ein oder andere Weise trotzdem einholen, sie betreffen. Denn ein Gerichtsverfahren gegen Piratebay, noch dazu in einem liberalen Land wie Schweden, könnte keine größere Symbolik entfalten: Die Hüter eines in der physischen Welt bewährten Rechtswesens auf der einen Seite – diejenigen, die im virtuellen Raum längst alle Regeln über Bord geworfen haben, auf der anderen.

Ja, das Verfahren ist wichtig, wenn nicht sogar wegweisend. Es bleibt zu hoffen, dass das schwedische Rechtssystem funktioniert. Denn eine virtuelle Welt ist und bleibt das Ab- und Spiegelbild einer realen Welt, der Gesellschaft, der auch die „Macher“ des Internets angehören. Das virtuelle Zusammenleben wird daher auf Gesetze genauso wenig verzichten können, wie die Onlinebestellung auf den Postboten. Das Internet hat vieles revolutioniert. Doch Secondlife, Tauschbörsen, Facebook & Co. haben eines gemeinsam, sie brauchen den Menschen dahinter, der sich bekanntlich ohne Regeln reichlich schwer tut.

„Die Symbolik ist fast wichtiger als der wirkliche Sieg“

Wie groß ist der Schaden durch Piratebay?
Einer aktuellen Studie der TU Delft zufolge stützt Piratebay mit seinen Servern (Trackern) innerhalb des populärsten P2P-Tauschbörsennetzes „BitTorrent“ den Großteil des weltweiten Filesharings und leistet damit seinen ganz besonderen Beitrag für die derzeit gigantischste Kopier- und Enteignungsmaschine des Internets. Nach eigenen Angaben greifen knapp 20 Millionen User (Seeder und Leecher) weltweit auf die Server von Piratebay zu. Dass hier neben Filmen, Musik und Software auch Verlagsprodukte in all ihren Facetten zu finden sind, versteht sich von selbst. Piratebay sollte endlich abgeschaltet werden, egal wer die Lücke danach zu schließen versucht. Die Symbolik ist fast wichtiger als der wirkliche Sieg, der im Internet bekanntlich oft nur von kurzer Dauer ist.

Der Trend in der Musikbranche geht weg von DRM – eine Kapitulation vor den Piraten?
Nein, keine Kapitulation vor den Piraten. Der – teilweise – Verzicht auf Kopierschutz ist nur Teil einer langen Entwicklung, die uns alle noch auf Jahre begleiten wird. Wird der Kopierschutz zum Beispiel nur ein einziges Mal überwunden und gelangt diese nunmehr ungeschützte Datei „ins Netz“, spielt es faktisch kaum eine Rolle, ob alle übrigen Dateien noch geschützt sind oder nicht. Der Damm ist längst gebrochen.

Kopierschutz sollte daher auch mehr ein Bewusstsein schaffen, als einen hundertprozentigen Schutz bieten. Dies wurde und wird oft falsch verstandenen. Genau da sehe ich das Problem. Die nach wie vor fehlende Akzeptanz der Verbraucher, digitale Produkte schützen zu dürfen, ist ein Spiegel der gesamten Situation. Der Verbraucher missversteht seine digitalen Möglichkeiten im Sinne einer neuen Grenzenlosigkeit. Es ist alles erlaubt, was die Technik ermöglicht.

„Teilweiser Verzicht auf Kopierschutz ist keine Abkehr von der Pirateriebekämpfung“

Also ist DRM tot?
Nein, keinesfalls. In dem Maße, in dem Urheberrechtsverletzungen durch den technologischen Fortschritt revolutioniert wurden, werden auch die Methoden der Bekämpfung weiter entwickelt. Die technische Entwicklung ist hier noch nicht abzusehen. Den Spekulationen über einen gänzlichen und unwiderruflichen Verzicht auf digitalen Schutz sollte man daher besser nicht allzu viel Raum geben. Ein teilweiser Verzicht auf Kopierschutz stellt keine Abkehr von der Pirateriebekämpfung dar. Auch künftig werden illegale Angebote konsequent verfolgt werden.

Sind Verlage in Deutschland nicht eher zu zaghaft bei der Verfolgung von Piraten?
Unserer Einschätzung nach: Nein. Insbesondere die großen Verlagshäuser haben frühzeitig erkannt, dass sie Markenartikler sind, die ihre Produkte genauso schützen müssen, wie es Adidas & Co. seit Jahrzehnten tun. Jede Branche, sei es die Automobilbranche, die Chemische Industrie, die Bekleidungsindustrie, die Luxusartikler u.s.w., setzen seit jeher auf eine konsequente Verfolgung. Die großen Verlage gehen ähnliche Wege, kleinere Verlagshäuser folgen ihnen nahezu täglich.

Wo sind die größten Hürden bei der Verfolgung?
Mit Sorge und Frustration erleben wir, wie schwer sich ein Rechtssystem tut, die oftmals hauptverantwortlichen Steigbügelhalter in die Verantwortung zu nehmen. Ein Hostprovider, dessen Dienste theoretisch auch legal genutzt werden können, der jedoch sehenden Auges illegale Verbreitungen über seine Server nicht nur fördert, sondern geradezu herausfordert, ist schwerlich in seiner Gesamtheit abzuschalten. Hier beginnt ein für Rechteinhaber müßiges Katz-und-Maus-Spiel, das in ausgewählten Musterprozessen vor ausgewählten Gerichten bei ausgewähltem Repertoire zwar zum juristischen Sieg führen kann. Das eigentliche Geschäftsmodell bleibt oftmals jedoch unangetastet.

Dennoch sind diese Verfahren wichtig, um die Rechtsordnung der digitalen Zukunft mit zu gestalten. Denn eines hat sich gezeigt. Der Gesetzgeber kann mit der technologischen Entwicklung kaum mithalten. Im Medienzeitalter müssen die Gerichte zunehmend diese Lücken ausfüllen. Juristische Präsenz ist daher auch bei nur schrittweisen Erfolgen unverzichtbar.

Björn Frommer verfolgt als Rechtsanwalt der Münchner Kanzlei Waldorf Rechtsanwälte im Auftrag von Buch- und Hörbuchverlagen Urheberrechtsverstöße.

Die Fragen stellte Daniel Lenz

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