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Gewohnheit – die starke Macht in Change-Prozessen

Change-Berater Günther Wagner. Foto: Wagner Consulting

Change-Berater Günther Wagner. Foto: Wagner Consulting

Märkte wandeln sich immer schneller. Damit steigt der Veränderungsdruck. Wer in seinem Verantwortungsbereich diese Veränderung bewirken will, muss lernen, mit einer starken Macht umzugehen: der Gewohnheit. Es wäre ein Irrweg, Gewohnheit als Angst oder Trägheit zu verteufeln. Denn Gewohnheit ist im menschlichen Hirn tief verwurzelt und erfüllt wertvolle Dienste. Um so subtiler muss Führung ansetzen.

Veränderung – der unheimliche Begleiter

Es vergeht kaum ein Tag im Business, an dem es nicht darum geht, was alles geändert werden soll oder muss. Man geht davon aus, dass die Veränderungen verständlich und gut angeordnet werden müssen, und dann läuft es schon. Aber Veränderungen, auch wenn diese faktisch nur scheinbar rationale Aspekte von Tätigkeitsroutinen betreffen, lösen in der Folge weit mehr Herausforderungen aus, als man meinen würde. Deshalb scheitern auch die meisten Change-Prozesse.

Jede Veränderung löst laut Forschung eine Unmenge an Hirnarbeit und Hirnturbulenzen aus – weit mehr als in den meisten Change-Prozessen bedacht und berücksichtigt wird.

Das soll kein Vorwurf sein an all jene, die die Change-Prozesse planen und/oder durchführen. Nur fehlt eben manchmal ein Aspekt, den ich im Business allgemein oft vermisse. Deshalb bewerte ich dieses Fehlen nicht als Fehler, sondern als blinden Fleck im Business. Und ich möchte Sie heute einladen, Ihren Blick auf diesen blinden Fleck in Bezug auf Veränderungs-Prozesse zu richten.

Was man tatsächlich ändern kann und was nicht

Auch wenn das Gehirn fast uneingeschränkt zu Veränderungen fähig ist, hat es einen extrem starken Drang zur Beharrung und zum Festhalten am Gewohnten. Ursache dafür sind aber nicht Ignoranz oder Widerspenstigkeit, sondern der unbewusste Einfluss der limbischen Prägung. Manche Hirnblockaden in Bezug auf Veränderungen lassen sich zwar mit sehr viel Durchhaltevermögen, Motivation und Hilfe von außen verändern, sofern man die Veranlagung dazu hat, aber einige lassen sich nie endgültig überwinden. Möglicherweise haben auch Sie schon die Erfahrung gemacht, wie schwierig es sein kann, beispielsweise die eigenen Ernährungsgewohnheiten zu ändern.

Die unfassbare Macht der Gewohnheit

Der Bremer Hirnforscher Gerhard Roth hat sich mit den Veränderungsschwierigkeiten von Menschen intensiv auseinandergesetzt, mit dem Ergebnis, dass Veränderungen im Verhalten und im Tun, auch im Beruf, äußerst schwierig sind. Der Grundstein für die Veränderungsbereitschaft bzw. Veränderungsoffenheit wird in den ersten drei Lebensjahren im limbischen System, dem Hauptsitz der Gefühle und des emotionalen Gedächtnisses, gelegt. Das hat zur Folge, dass man ein Leben lang mit diesem inneren Kind und seinen Erfahrungen sein Leben lebt und seinen Beruf ausübt. Dieses innere Kind lässt sich im Beruf dann auch nicht durch Anordnungen zwingen, Tätigkeiten zu ändern, selbst wenn diese Anordnungen sehr gut gemeint sind. Mag sein, dass man als Erwachsener zwar die Entschlossenheit spürt, etwas zu ändern, weil es gut wäre. Aber dabei vergessen wir immer wieder das innere Kind bzw. unseren mit dem inneren Kind verbundenen tückischen Gegenspieler, die Gewohnheit.

Die Gewohnheit hat eine unfassbare Macht über uns. Die Gewohnheit ist tief im Gehirn verankert und belohnt jeden Schritt, den wir auf alten, ausgetretenen Pfaden gehen – selbst dann, wenn diese von außen betrachtet gar nicht so gut sind.

Angst und Gewohnheit, die ungleichen Brüder

Das heißt: die Belohnungen, die das menschliche System braucht, werden ausgeschüttet, wenn man gewohnheitsgetreu agiert. Dann gibt es als Belohnung Sicherheit, Geborgenheit, ein Wohlgefühl. Der mächtige Wunsch nach Bindung, das Anklammern und die damit zusammenhängende Belohnung sind unsere Natur – auch im Business. Loslassen, auf Belohnung und Bindung verzichten, das müssen wir erst lernen. Bindung ist grundlegend in uns angelegt, und Bindung aufgeben heißt: Uns mit Unbehagen und Angst auseinanderzusetzen. Aber das ist für die meisten nicht das, was sie sich wünschen. Und es wird nicht mit Sicherheit und Geborgenheit belohnt. Selbst dann, wenn wir Veränderungen etwas abgewinnen, reagieren wir meist mit Angst und Unbehagen. Bei Erwachsenen zeigen sich der Bindungswunsch und die damit gesetzten Verhaltens- und Gewohnheitsmuster nicht mehr so offensichtlich, aber das heißt nicht, dass diese nicht mehr wirken. Sobald Angst aufkommt, egal ob im Beruf oder privat, wird das Bindungssystem aktiviert und Gewohnheit gesucht.

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Selbst Macht und die mit der Macht verbundene Belohnung werden zur Gewohnheit, wodurch ein Change auch in Führungskreisen immer wieder skeptisch betrachtet wird. Nach außen überspielt man oft seine Unsicherheit, aber insgeheim beunruhigen Veränderungsprozesse viele Führungskräfte. Das führt zu Stress, und Stress sabotiert den Change, wie ich an anderer Stelle geschrieben habe.

Gewohnheit spart Energie

Das Gehirn braucht zur Verarbeitung von ungewohnten, neuen Handlungsfeldern sehr viel Energie, weit mehr als für gewohnte Reaktionen. Das Gehirn will aber gar nicht so viel Energie verbrauchen und möchte Energie sparen. Deshalb belohnt uns das Gehirn dann, wenn wir energiesparend, sprich konform nach Gewohnheit, arbeiten.

Dann schüttet das Gehirn körpereigene Opiate, also Wohlfühldrogen, aus. Erst durch einen kaum noch zu ertragenden Leidensdruck wagt man den Sprung in das Ungewohnte und lässt Veränderungen zu. Selbst Extremsportler, die regelmäßig Grenzen überschreiten, haben ihre Angst vor dem Unbekannten und versuchen Veränderungen in ihrem Verhalten aus dem Weg zu gehen. So hatte zum Beispiel Felix Baumgartner in der Vorbereitung auf seinen Stratosphärensprung mit seinem Druckanzug heftige Probleme, die in regelrechten Panikattacken gipfelten. Zwei Jahre lang versuchte er dieses Problem zu verheimlichen und die mit dem Anzug verbundenen Verhaltensänderungen aufzuschieben. Dabei hat er viel getrickst und die anderen angelogen.

Erfolgsfaktor Gewohnheit

Die meisten Menschen kämpfen nicht mit der Angst vor Neuem, sondern mit dem Verzicht auf den gewaltigen gehirneigenen Bonus, der bei gewohnheitskonformen Verhalten ausgeschüttet wird.
Wir dürfen aber jetzt Gewohnheiten nicht nur negativ bewerten. Gewohnheiten ermöglichen effizientes Handeln, sind kognitiv sinnvoll und ressourcensparend. Gewohnheiten haben sich nicht zufällig herausgebildet, sondern jene Handlungen gestärkt, die irgendwann einmal erfolgreich waren.

Gewohnheiten haben somit erfahrungsbasiert eine hohe Wahrscheinlichkeit, weiterhin erfolgreich zu sein. Gerade zu Beginn der Menschheitsgeschichte war das überlebenswichtig. Gleichzeitig verhindern aber die Gewohnheit und der damit verbundene Wunsch nach Sicherheit und Wohlgefühl, dass man Änderungen wagt. Die durch Veränderung aufkommenden Gefühle von Unsicherheit und Unwohlsein lösen Stress aus, und Stress verstärkt wiederum die gewohnten Verhaltensmuster. Selbst Zufriedenheit und Glück lassen sich kaum durch äußerliche Reize ändern, sondern pendeln sich immer wieder erneut auf dem ursprünglich angelegten Zufriedenheitslevel, einem gewohnten Level, ein. Auch der Psychologe Roy Baumeister von der Florida State University hat in Experimenten eindeutig zeigen können, dass es für das Gehirn wirklich ein außerordentlicher Kraftakt ist, Gewohnheiten zu widerstehen und Veränderungen zuzulassen. Disziplin hilft hier nicht, denn Disziplin erschöpft sich ähnlich wie Muskelkraft.

Nur 20% sind neugierig

Nur 20% der Menschen haben genetisch bedingt tatsächlich Spaß am Neuen. 80%, sprich die Mehrheit der Menschen, brauchen hingegen Routinen, Verlässlichkeit, Gewohnheit, um sich wohlzufühlen – selbst dann, wenn ihnen das Gewohnte nicht gut tut.

Hans-Georg Häusel spricht bei den 80% von den Balance-Typen, die durch entsprechende im Körper wirkende Antriebssysteme durch das Leben bewegt werden.
Häusel hat sich intensiv mit dem limbischen System auseinandergesetzt und festgestellt, dass Menschen wie auch Tiere und ebenso die Bakterien sich in drei verschiedenen Motivations-Emotions-Antriebssystemen (Instruktoren) bewegen: Im Stimulanz-, im Dominanz– und im Balancesystem. Die limbische Prägung ist zu über 60% angeboren und arbeitet sprachlos, sprich reagiert auf Bilder, Symbole und Rituale. Die Prägung versucht alles, um Unlustgefühle zu vermeiden und entsprechend der Prägung Lustgefühle hervorzurufen.

Diese Antriebssysteme bzw. Instruktoren beeinflussen bei allen Menschen alle vier Ebenen des Lebens:

  1. die physisch-körperliche Ebene,
  2. die soziale Ebene (menschliches Zusammenleben),
  3. die kognitive Ebene (Denken und Wahrnehmung) und
  4. die gnostische Ebene (Glauben und Sinn).

Entwicklungsgeschichtlich ist die Balance-Instruktion der älteste limbische Antrieb mit einem Alter von mehr als 3,5 Milliarden Jahren. Hauptaufgabe der Balance-Instruktion ist, ein Höchstmaß an Sicherheit, Stabilität und Konstanz in unserer äußeren Lebensumwelt, in unserem Denken und in unserem Körper zu erreichen und zu erhalten. Der amerikanische Motivationspsychologe Eric Klinger drückt es so aus:

„Das Loslassen von Gewohntem kommt einem psychischen Erdbeben gleich.“

Gewohnheits-Management im Change-Prozess

Spätestens jetzt werden Sie sich vermutlich die Frage stellen, was Sie mit all diesem doch eher psychologischen Wissen tun sollen? Sie sind ManagerIn und keine PsychologIn. Sie wollen und müssen Change-Prozesse im Unternehmen erfolgsversprechend verankern und durchführen. Was können Sie tatsächlich tun, um die Herausforderung „Gewohnheit“ zu bewältigen und Mitarbeiter dazu zu bewegen, Gewohntes bleiben zu lassen und Neues zu wagen?

Empfehlungen für erfolgsversprechende Change-Prozesse

Wenn Sie als Führungskraft einen Change erfolgsversprechend durchführen wollen, dann sollten Sie neben dem, was geändert werden soll, intensiver als vielleicht bisher mit den evolutionär tief verankerten Gewohnheiten und tief verwurzelten Bindungswünschen der MitarbeiterInnen – und nicht zu vergessen mit den eigenen Bindungswünschen – auseinandersetzen. Das löst bei den meisten Unmut und Widerspruch aus wie beispielsweise: Das sei Aufgabe von Psychologen und nicht von Führungskräften. Für so etwas fehle im Business die Zeit. Das sei gar nicht notwendig, man müsse nur die Kommunikation verbessern, und vieles mehr. Mit all diesen Argumenten haben Sie sicherlich Recht, doch genügt Rechtbehalten, um Change-Widerstände besser in den Griff zu bekommen?

Das, was geändert werden muss, ist sicherlich wichtig und richtig. Doch in der Praxis genügt das „Was“ nicht, um den Change erfolgsversprechend umzusetzen, wie so oft zu sehen ist. Es fehlt das „Wie“? Wie versuchen Sie die anstehenden Veränderungen umzusetzen? Mit welcher Haltung und mit welchem Wissen ordnen Sie Änderungen an? Hirnstrukturen sind ein Leben lang plastisch, also veränderbar. Doch Sie blockieren die Veränderungsbereitschaft, wenn Sie nur mit gut gemeinten rationalen Anordnungen die Veränderungen anzuregen versuchen. Es braucht etwas mehr. Es braucht im Prozess einen erweiterten Blick – einen Blick über den wirtschaftlichen Faktentellerrand hinaus. Das heißt: Es braucht neben den wirtschaftlichen Fakten auch menschliche Rücksichtnahme, Fingerspitzengefühl im Umgang mit den inneren Kindern der MitarbeiterInnen und deren Gewohnheiten.

Deshalb müssen Sie als Führungskraft nicht gleich ein Therapeut werden. Ein gesunder Menschenverstand, sprich ein kooperatives Zusammenwirken von Ratio und Emotionen, etwas Demut und ein Basiswissen über die limbischen Prägungen können Ihnen als Führungskraft schon sehr helfen, Veränderungen im Unternehmen erfolgversprechend anzuleiten und durchzusetzen.

  1. Budgetieren Sie mindestens 60% in Change-Prozessen für Maßnahmen zur Mentalitätsentwicklung.
  2. Überwinden Sie Bildungs-Allergien und Ängste und reduzieren Sie Stress.
  3. Verankern Sie frühzeitig Veränderungen als sinngebende Visionen in den Köpfen aller, und geben Sie den MitarbeiterInnen genug Zeit und Möglichkeiten, sich mit dem Neuen auseinanderzusetzen.
  4. Lassen Sie durch sinnvolle Begleitung und ausreichende Weiterbildung alte Routinen zu neuen Gewohnheiten werden.
  5. Auch Achtsamkeit, der Universalschlüssel für viele Herausforderungen, ist im Umgang mit Veränderungen und Veränderungswiderständen ein äußerst wirksames Instrument.

Abschließen möchte ich diesen Beitrag mit einer persönlichen Frage an Sie:

Wie stehen Sie persönlich zu Veränderungen? Fällt es Ihnen leicht, sich zu ändern bzw. sich auf neue Herausforderungen einzulassen – auch dann, wenn das Unsicherheit, Angst und Unwohlsein bei Ihnen auslöst?

 

Günther Wagner ist Experte für Change Management und (Digital) Leadership, Coach und Speaker und arbeitet als Brückenbauer zwischen Old and New Economy.

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