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Ehrhardt F. Heinold: Ein weiterer Angriff auf Verlage und Buchhandel?

Communitys wie Lokalisten oder gutefrage.net sind nicht nur ein Phänomen im Publikumsbereich, sondern es gibt diese mittlerweile auch zu (beinahe) allen zu Fach- und Special-Interest-Themen. Verlage haben auf diese Entwicklungen schon seit längerem reagiert, vor allem durch die Gründung eigener Communitys (wie z.B. im Rechtsbereich die nwb-Community), oder durch Akquisition wie z.B. bei Chefkoch (Gruner und Jahr) oder Holidaycheck (Burda).

Die meisten Communitys erzielten bisher jedoch kaum nennenswerte Umsätze, und zwar aus zwei Gründen: Entweder funktioniert die Werbefinanzierung nicht, oder der Ansatz ist nicht kommerziell (wie bei Wikipedia). Zudem ist ein Internetprodukt oft keine Konkurrenz zu klassischen Verlagsprodukten wie Bücher oder Zeitschriften. Der lange gefürchtete und viel beschworene Kannibalisierungseffekt tritt oft nicht ein, eher im Gegenteil: Durch Communityportale findet eine Marktausweitung statt, es werden neue Kundengruppen erreicht.

Doch was könnte passieren, wenn Communitys plötzlich klassische Velagsprodukte erstellen können? Mehr noch, wenn jedes Communitymitglied seine eigenen Publikationen mit dem (oft sehr wertigen) Content erstellen kann? Beim Wikipedia-Lexikon gibt es diese Möglichkeit ja schon länger – und zwar mit der Pediapress: Nutzer können aus den Inhalten individuelle Bücher zusammenzustellen.

Jetzt ziehen die Wiki Communitys nach. Durch das Projekt „HP MagCloud print-on-demand for Wikia users„, auf das ich durch Beraterkollege Hugo E. Martin aufmerksam geworden bin, bekommt dieser Ansatz eine neue Dimension. Die Community, aber auch jeder einzelne Nutzer, kann mit dem Softwaretool MagCloud eine Zeitschrift erstellen: „Wikia members will see the MagCloud widget already enabled when they log in. New Wikia members simply click the „MORE“ button on your favorite Wikia community site, add the magazine widget and you are ready to get publishing. To publish a full-color magazine for friends, the coffee table, or order a copy for yourself, simply select the articles you like, pick a cover, and place your order on MagCloud.“

Wikipedia-Gründer und Mastermind Jimmy Wales bezieht sich in seinem Blog explizit auf den Wettbewerb zu traditionellen Verlagen: „Recently, Conde Nast announced the closure of Gourmet Magazine. What happened there? It’s really very very simple: the traditional magazine has not kept pace with the needs of readers or advertisers. It isn’t that reading is going out of style – quite the opposite. It isn’t that people don’t care about quality – quite the opposite. The death of the traditional magazine has come about because people are demanding more information, of better quality, and faster.“

Wales sieht nach wie vor den Bedarf für eine qualitätsgeprüfte und gedruckte Auswahl, also ein „verlegerisches“ Printprodukt: „There still *is* value in the paper form-factor and there still *is* value in carefully selected “best of” content, delivered on a per-issue or subscription basis: and that’s where the MagCloud/Wikia partnership comes in.“

Wales, der mit Wikipedia den Verlagen schon das Fürchten gelernt hat und noch voller Web 2.0-Enthusiasmus ist, glaubt an die Power von Communitys und sieht eine massive Konkurrenz auf Verlage zukommen: „Communities can now produce print magazines of higher quality, and of a more timely and customized nature than traditional print magazines can. YOU can publish your own cooking magazine or cookbook on Wikia. (Make one for your family, with all your great grandmother’s favorite recipes?) I predict that this could end up having a huge impact on dozens of titles. How soon will car magazines be replaced by our auto wikis?“

Fazit: Ein weiteres Projekt zum Megatrend Selfpublishing und Web-to-Product, das zeigt, wie sehr sich in Zukunft das traditionelle Publikationsmodell verändern kann. Viele Fragen stellen sich: Welche Rolle werden Verlage (und Buchhandlungen) in dem wachsenden Selfpublishing-Markt einnehmen? Werden sie Communitys (eigene, aber auch andere) durch Inhalte und Services (z.B. Layout, Redaktion, Druck, Distribution, Abrechnung) publikationsfähig machen, ohne Angst vor Konkurrenz zu bestehenden Verlagsprodukten? Werden Verlage dann endgültig zu jenen Community-Publishern, die bisher vor allem durch die Powerpoint-Charts von Business Developern und Beratern geistern?

Ehrhardt F. Heinold

Verlagsberater und Geschäftsführer der Unternehmensberatung Heinold, Spiller & Partner

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