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Drei Horizonte für Neues: Optimieren, erobern, spielen

Neue Angebots- und Produktformate, ein verändertes Kundenverhalten, vielfältige Marketing-Optionen, erweiterte Vertriebswege – so viel Veränderungs- und Reaktionsbedarf war lange nicht. Wie können Verlage die notwendigen Innovationsprozesse organisieren und Spiel-räume schaffen, ohne das Kerngeschäft zu beeinträchtigen? Das „Three Horizons Model“ bietet einen Ausweg aus diesem Dilemma: Durch die Unterscheidung von drei Innovationshorizonten bekommt jede Innovationsform einen optimalen Entwicklungsrahmen.

Platz für Innovationen schaffen

Start-up-Unternehmen haben es leicht: Sie sind getrieben von einer Idee, die Innovatoren sind oftmals die Gründer, sie folgen einer Vision. Ein Kerngeschäft existiert nicht, alle Energie fließt in das Neue. Bestehende Unternehmen haben es dagegen schwer: Das Kerngeschäft muss nicht nur am Laufen gehalten, sondern durch Innovationen zukunftsfähig gehalten werden. Genügend Platz für Innovationen außerhalb der Kernprodukte gibt es selten. 

Gängige Antworten auf dieses Dilemma:
  • Die Mitarbeiter erhalten Freiräume für Innovationen (Google-Modell).
  • Eine Innovationsabteilung (Business Development, Forschung und Entwicklung) soll für die Neuerungen sorgen. 
  • Die Geschäftsführung ist die Innovationsabteilung in Personalunion.
  • Ein Start-up wird gegründet oder akquiriert.
Das sind alles praxiserprobte Ansätze, die jedoch die unterschiedlichen Zukunftsebenen vermischen. Dieser Befund wird deutlich durch das Modell der drei Horizonte, das im deutschen Verlagswesen vor allem von der Haufe-Gruppe umgesetzt wird. Das Modell wurde bereits 1999 in dem Buch „The Alchemy of Growth“ von Merhdad Baghai, Stephen Coley und David White beschrieben. Die Kernidee der drei Autoren ist einfach, es werden drei Innovations- und Wachstumshorizonte unterschieden:
  • Horizont 1 betrifft das Kerngeschäft, in dem die Erlöse und vor allem die Rendite erwirtschaftet werden. Auch im Kerngeschäft sind Innovationen überlebenswichtig, denn kein Markt steht heute still.
  • Horizont 2 beschreibt das bereits absehbar funktionierende Zukunftsgeschäft. Hier werden Geschäftsfelder und -modelle entwickelt, die Erträge in zwei bis vier Jahren erwarten lassen.
  • Horizont 3 beschreibt vage Zukunftsoptionen, deren Erfolgsaussichten ungewiss sind.

Horizont 1 – Wachstum im Kerngeschäft: zwischen Optimierung und Innovation

Das Kerngeschäft sichert nicht nur die kurzfristige Existenz, sondern dient vor allem dazu, die Investitionen für die Horizonte 2 und 3 zu erwirtschaften. Damit dies auch weiterhin so bleibt, muss das Kerngeschäft zukunftsfähig gehalten werden. 

Die Anforderungen für das Kerngeschäft-Management ergeben sich aus den Regeln gesättigter Märkte: Es herrscht hoher Wettbewerb, der über den Preis, über Produktverbesserungen, Zusatzservices oder Marketingkonzepte ausgetragen wird. Die Wettbewerber reagieren schnell auf Innovationen, der Vorsprung ist immer nur temporär. 

Dieses Phänomen kennen Verlage nur zu gut: Kaum ist ein Buch erfolgreich, wird das Konzept von Wettbewerbern kopiert. Geschwindigkeit zählt deshalb auch in diesem Markt; allerdings dienen Innovationen in diesem Bereich einzig dem Zweck, die Rentabilität zu sichern. Neben Innovationen innerhalb des bestehenden Geschäftsmodells geht es hier um Effizienz und Kostenoptimierung, um Kontinuität und Beharrlichkeit, um Qualitätsmanagement, Prozessoptimierung und kontinuierliche Produktverbesserung. Die Herausforderung besteht darin, in einer an Effizienz und Ertrag ausgerichteten Organisation genug Freiräume und Entwicklungsmöglichkeiten zu schaffen, um Innovationen zu ermöglichen. 

Horizont 2 – Innovationsprojekte mit Start-up-Spirit umsetzen
Wenn die Innovationen dem bestehenden Geschäftsmodell nicht entsprechen und gänzlich neue Parameter für den Erfolg gelten, dann knirscht es oft im Innovations?prozess: Die angestrebte Umsetzungsgeschwindigkeit wird nicht erreicht, und der Businessplan bzw. das Controlling definiert nicht realisierbare Erfolgserwartungen. 

Die Aufgabe eines Horizont-2-Projektes liegt im Aufbau von neuen Produktlinien oder neuen Geschäftsfeldern unter veränderten Bedingungen: 

  • Das Wettbewerbsumfeld verändert sich. Konkurrenten sind oft branchenferne, aber technikaffine Unternehmen oder Start-ups, die sich nicht die gewohnten Branchen?usancen halten.
  • Die Kunden bzw. Kundenbedürfnisse sind neu, manchmal so neu, dass klassische Formen der Marktforschung nicht greifen.
  • Das Erlösmodell ist noch unerprobt oder sogar noch nicht endgültig definiert, Wettbewerber mit Venture-Finanzierung preschen mit kostenlosen Angeboten vor, um Marktplätze zu besetzen ohne Rücksicht auf Rentabilität (beispielhaft praktiziert von Amazon).
Aus diesen Rahmenbedingungen lässt sich als zentrale Zielsetzung für den Horizont-2-Bereich ableiten, ein neues Geschäftsmodell schneller als der Wettbewerb zu entwickeln, um so die Märkte der Zukunft zu besetzen. Damit das gelingen kann, müssen eine Reihe von Rahmenbedingungen erfüllt sein:
  • Geschwindigkeit und Entscheidungsfähigkeit: Der Aufbau des neuen Geschäftsmodells muss so schnell wie möglich erfolgen.
  • Flexibilität: Erfahrungen müssen sofort verwertet werden. Funktioniert z.B. das Erlösmodell nicht, so muss dieses „on the fly“ im Projekt verändert werden. Diese Flexibilität schließt das Scheitern ein: Wenn die Idee nicht funktioniert, sollte sie verändert oder nicht weiter verfolgt werden.
  • Neue Formen der Produktentwicklung: Durch permanente Feedback-Runden und Kundenintegration, durch Rapid-Prototyping-Methoden und Projektorganisation wird ein Produkt schon im Entstehungsprozess getestet, angepasst und verändert.
  • Andere Kennziffern: Nicht an dem gewohnten Rentabilitätsziel sollte der Bereich gemessen werden, sondern an klar definierten Wachstumsparametern (wie z.B. Unique User, Marktanteil bzw. Reichweite, Nutzungsdauer- und Intensität, Aufbau von relevanten Nutzerdaten). Das heißt: Wachstum geht vor Rentabilität, wenn das Geschäftsmodell mittelfristig tragfähig ist.
  • Passende Mitarbeiter: Horizont-2-tauglich sind Mitarbeiter, die gern Neues kreieren und vor allem aufbauen. Sie müssen neugierig, lernfähig, teamaffin, entscheidungsfreudig, handlungs- und wachstumsorientiert sein und keine Angst vor Irrwegen haben.
Der Horizont-2-Ansatz kann auf drei Wegen umgesetzt werden:
1. Ausgründung als eigenes Unternehmen
2. Eigene Organisationsstruktur innerhalb des bestehenden Unternehmens
3. Integration in die bestehende Organisationsform
Wie auch immer die Umsetzung erfolgt: Horizont-2-Projekte benötigen eine Mischung aus Freiheit (für die Geschwindigkeit) und Struktur (für die Zielerreichung): Sie sind weder eine reine Spielwiese (Horizont 3) noch eine sichere Bank (Horizont 1).

Horizont 3 – Spielen und Lernen: ein Zukunftslabor für Innovation

Wie entstehen Innovationen? Natürlich: Durch die Anwendung von Planungs- und Entwicklungsinstrumenten, durch Kunden- und Marktanalysen, durch systematische Vorgehensweisen also, die auf aggregiertem Wissen basieren, auf Erfahrungen und möglichst abgesicherten Erkenntnissen. Diese Innovationsmethode strebt nach Sicherheit, nach Validierung der Annahmen und des Konzeptes. Aber welche Art von Innovationen können auf diesem Weg entstehen? Sind es nicht zumeist Innovationen im bestehenden System oder Geschäftsmodell? 
Die Erfahrung mit disruptiven Innovationen, aber auch mit erfolgreichen Start-up-Projekten zeigt: In diesen Fällen spielte das eben beschriebene Sicherheitsdenken keine Rolle, sondern: Da waren Visionäre am Werk, die keine Marktforschung betreiben, sondern eine Idee verfolgen, bei der oft nicht einmal klar ist, ob sie jemals ein Geschäftsmodell werden kann (und ein funktionierendes schon gar nicht). In forschungsnahen Industriebereichen tut man sich mit diesem Ansatz leichter, denn hier gab es schon immer das Konzept der Grundlagenforschung, die zunächst nicht nach Gewinn, sondern nach Erkenntnis strebt. Der symbolische Ort dafür ist das Labor. 
Braucht ein Verlag einen Horizont-3-Ansatz? Eine Spielwiese, ein Labor ohne mittelfristige Rentabilitätsperspektive? Ein solches Labor kann gut skaliert werden. In der kleinsten Ausführung ist es ein digitaler Zettelkasten, in dem Ideen gesammelt werden. Oder ein jährlicher Kreativworkshop, der ausdrücklich zum „Spinnen und spielen“ einlädt (z.B. in Form eines internen Barcamps). Wie auch immer die Ideensammlung erfolgt, wichtig ist ein definierter, transparenter und kommunizierter Umsetzungsprozess, der klar regelt, was mit den Ideen passiert, wo sie landen, welche Gremien auf welcher Basis Entscheidungen fällen, welche Projektmittel zur Verfügung stehen etc.
Drei Horizonte für den Kopf
Wie lässt sich das „Three-Horizons-Model“ in einem Verlag umsetzen? Ein Großverlag wie Haufe kann sich den Luxus leisten, jeden Horizont in einer eigenen Einheit zu managen. Kleinere Verlage hingegen müssen Kompromisse eingehen, z.B. indem sie Horizont 2 und 3 in einer Abteilung bündeln, diese dann aber so organisieren, dass die gewünschten Wachstums- und Innovationsimpulse tatsächlich erfolgen. 

Abseits dieser organisatorischen Fragen scheint mir der mentale Aspekt am wichtigsten: Vor allem im Führungsteam sollte ein Bewusstsein über die differenzierten Anforderungen der drei Horizonte bestehen. Damit existierende Strukturen nicht überfrachtet und mögliche Neuerungen nicht verhindert werden. 

von Ehrhardt F. Heinold

(aus buchreport.spezial: Herstellung & Management 05/2014)

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